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|Thema in ak 701: Anti-AfD

Land in Sicht?

Was bringen Proteste gegen die rechte Hegemonie in Ostdeutschland – ein Überblick in drei Akten

Von Friederike C. Domrös und Marcel Hartwig

Sitzblockade gegen einen Nazi-Aufmarsch in Cottbus 2014. Foto: picture alliance / zb | Andreas Franke

In Hamburg, Berlin oder Frankfurt am Main gehört es in postmaterialistischen Milieus zum guten Ton, gegen rechts zu demonstrieren. Engagement gegen die AfD ist akzeptiert. In ostdeutschen Städten riskiert zerstochene Reifen, psychische Einschüchterung oder direkte Bedrohung, wer sich erkennbar gegen rechts engagiert. Protest gegen rechte Dominanzräume im Osten? Geht da was? Ein Überblick in drei Akten.

Erster Akt: Die 1990er Jahre – Feuerwehr-Antifa

Rechte Dominanz- und Hegemonieräume sind in Ostdeutschland nicht vom Himmel gefallen. Sie wurden mit Gewalt durchgesetzt. Nach der deutschen Einheit verging keine Woche, in der Neonazis nicht Obdachlose anzündeten, Jagd auf Migrant*innen machten, Punks zu Tode prügelten oder Asylunterkünfte in Brand setzten. Sie setzten in Schulen und Jugendeinrichtungen, im Bus und auf Zeltplätzen ihren Anspruch auf Deutungshoheit mit massiver Gewalt und Einschüchterung durch. Um vom Ausmaß der Gewalt genaue Kenntnis zu bekommen, bedurfte es im Zeitalter vor dem Internet persönlicher Kontakte in die Region oder der Lektüre der damals schon lückenhaften Pressemitteilungen der Polizei in der Lokalzeitung. Nicht wenige der rechten Gewalttaten blieben ungesühnt, da es Polizei und Justiz an Mitteln und Willen fehlte, die Täter*innen zu ermitteln und zu bestrafen.

Angesichts solcher, in ihrem Kern in einigen Regionen bis heute fortbestehenden Zustände ging es um antifaschistische Interventionen vor Ort. Sie reichten von Bemühungen, einen präventiven Schutz für Unterkünfte von Geflüchteten zu organisieren, bis hin zu Versuchen einer Kooperation mit antirassistischen Engagierten und eben Demonstrationen. Organisierte Antifaschist*innen aus den Metropolen agierten dabei als eine Art politische Feuerwehr, die den rassistischen Flächenbrand jener Jahre jedoch nicht löschen konnte.

Nicht selten glichen die Demonstrationen symbolischen Strafexpeditionen, bei denen Antifas aus guten Gründen vermummt durch die Straßen einer Kleinstadt zogen. Zu Betroffenen rechter Gewalt konnten sie keinen direkten Kontakt aufnehmen – allenfalls schafften sie es, dem einen oder anderen Nazi an der Demoroute eine Lektion zu erteilen. Antifas wurden von schwer bewaffneten Polizist*innen im Wanderkessel durch die Stadt eskortiert, jede fallengelassene Bierflasche war der Polizei Anlass, eine Demonstration zu stoppen oder zu beenden. Solche Interventionen erwiesen sich manchmal als Bumerang. Lokale alternative Jugendliche wurden montags nach einer Antifa-Demo von örtlichen Nazi-Schlägern für den antifaschistischen Besuch am Wochenende zur Verantwortung gezogen, Polizei, Innenministerien und Lokalpresse überschlugen sich nach einer kleinen Antifa-Demo in ostdeutschen Regionen ritualisiert mit Berichten: Nur dank massiver Polizeipräsenz sei es gelungen zu verhindern, dass linke Randalierende eine friedliche Kleinstadt ins Chaos stürzen.

Die eigentliche Gefahr, so die Botschaft, gehe nicht von den rechten Jungs und deren Gewalt in der eigenen Stadt aus, sondern von zugereisten Chaot*innen aus Leipzig und Berlin. Auf diese Weise wurden der rechte Konsens vor Ort gestärkt und jene, die ihm widersprachen, gezwungen, zu schweigen oder den Ort zu verlassen. Dass rechte Hegemonieräume von heute im Osten auf der Gewalt der Jahre nach der Wende 1989/90 basieren, ist vielen nicht bewusst und wird erst jetzt zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschungen über die Reichweite rechter Einstellungen, über das Wahlverhalten und rechte Erlebniswelten. Die gegenwärtig in Ostdeutschland wöchentlich stattfindenden Demonstrationen, organisiert von regionalen rechten Bewegungsunternehmer*innen bedürfen nicht mehr der direkten Gewaltausübung gegenüber ihren Gegner*innen. Weil diese nicht mehr vorhanden sind, lassen die rechten Demoteilnehmenden ihren Hass an Journalist*innen aus.

Zweiter Akt: Die fragmentierte Zivilgesellschaft Ost

Die Zivilgesellschaft im Osten ist fragmentiert. Große Akteur*innen fehlen. Seit Jahrzehnten wird das Engagement gegen die extreme Rechte im Osten weniger von großen Organisationen als vielmehr durch Netzwerke von kleinen Initiativen oder Einzelpersonen getragen. Seine Ursache hat dies in der bis heute andauernden Schwäche von Parteien, Gewerkschaften und Verbänden in den kleinstädtischen und ländlichen Regionen im Osten. Der viel zitierte vorpolitische Raum ist im Osten, etwa in Sachsen, wo er institutionell verfasst ist, fest in der Hand konservativer, mit der CDU verbundener Strukturen. Der informelle, vorpolitische Raum im Osten ist hingegen von einer extrem rechten Normalisierung durchdrungen. Rechtsrock, Sonnenwendfeiern, rechte Symbolik sind Teil der Alltagskultur und weitgehend normalisiert, da diese Sozialräume keineswegs getrennt voneinander funktionieren. Die politisch gewollte Entpolitisierung extrem rechter Hegemonie in ostdeutschen Regionen macht die Spezifika rechter Gewalt unsichtbar und blendet die Frage nach der politischen Verantwortung aus. Die Schläger-Nazis der 1990er und 2000er Jahre sind die Elternvertreter*innen, Kleinunternehmer*innen und rechten Demo-Anmelder*innen von heute. Dass sie ungestört agieren können, liegt an den soziokulturellen Leerstellen der ostdeutschen Gesellschaft, die sich aus der Abwanderung, demografischem Umbruch und der Strukturschwäche der Gegenkräfte in den Regionen ergeben. 

Der vorpolitische Raum im Osten ist fest in der Hand konservativer Strukturen.

Es sind soziokulturelle Zentren, kleine Filminitiativen oder Menschen aus Kirchengemeinden, die das Engagement gegen rechte Hegemonie im Osten tragen. In deren Habitus und politischer Agenda kommt linke Radikalität nicht vor, oder sie steht nicht im Vordergrund. Auf Formen der Inszenierung radikal linken Selbstverständnisses reagieren sie mitunter abweisend, was es wiederum antifaschistischen Akteur*innen aus großen Städten schwer macht, sich zu diesen Partner*innen zu bekennen. Die über lange Jahre trotz aller Widrigkeiten existierenden Antifa-Strukturen hielten vielerorts dem Druck der extremen Rechten im Alltag nicht stand. Mit dem Vorwurf des Linksextremismus sind die AfD und ihr Umfeld erfolgreich, weil der konservative Extremismus-Diskurs der CDU wirkmächtig vernebelt, worum es im Kern geht: die Gefahr, die von der extremen Rechten ausgeht. Den rechten Konsens, der vielfach eine stillschweigende Hinnahme der Dominanz der extremen Rechten ist, zu brechen beinhaltet deutlich mehr, als sich mit der regionalen Neonazi-Blase und der AfD auseinanderzusetzen.

Dritter Akt: Aufbruch von unten?

Die Demonstrationen gegen die AfD sind in den ostdeutschen Kleinstädten angekommen. Sie sind ein kleiner, aber entschlossener Aufbruch von unten. Sie werden getragen von den verbliebenen linksbürgerlichen Akteur*innen, Schüler*innen und kulturellen Multiplikator*innen. Die wütenden Reaktionen aus dem Umfeld der AfD gerade auf Kundgebungen in Tangerhütte (Sachsen-Anhalt), Altenburg (Thüringen) oder Bautzen (Sachsen) zeigen, dass die Proteste die extreme Rechte schmerzen. Besonders dann, wenn sie in den rechten Hochburgen stattfinden, wo sich die extreme Rechte für unbesiegbar hält.

Dass die rechten Akteur*innen die Sichtbarkeit ihrer Gegner*innen nicht hinnehmen, war zu erwarten. Es häufen sich Berichte über Angriffe auf Teilnehmende der Kundgebungen gegen die AfD, Versuche der Einschüchterung und Bedrohung. Die Bedrohung geht von bekannten rechten Kadern und deren Gefolgschaft aus. Nicht nur in Gera und Greiz (Thüringen) werden rechte Gegendemonstrationen zu den Kundgebungen gegen die AfD angemeldet. Wer in ostdeutschen Städten gegen die AfD auf die Straße geht, benötigt Mut und riskiert Stigmatisierung, Bedrohung und Verlust eines sicheren Lebensumfeldes, selbst für unbeteiligte Familienmitglieder. Dass ein Chemnitzer Edeka-Filialleiter sein Werbeprospekt zurückzog, das mit einem schlichten Gegen-Nazis-Button versehen war, spricht Bände über das gesellschaftliche Klima in der Stadt.

Die Demonstrationen in Ostdeutschland erreichen ganz gewiss nicht die AfD-Kernwähler*innenschaft oder den erweiterten Resonanzraum der Partei. Doch den verunsicherten Unentschiedenen machen die Kundgebungen in ostdeutschen Kleinstädten ein Angebot, sich gegen die AfD zu bekennen und damit nicht allein zu bleiben. Demonstrationen allein werden rechte Dominanzräume nicht aufbrechen oder gar beenden. Aber sie sind ein Zeichen, dass es in AfD-Hochburgen die Möglichkeit für Widerspruch gibt. Wie daraus regionale Anker gegen die rechte Omnipräsenz werden können, muss sich erweisen. Wer sich vor dem Horizont kommender AfD-Wahlerfolge in ostdeutschen Städten engagiert, wird Unterstützung und Solidarität aus den Metropolen brauchen, gerade dann, wenn die gegenwärtige Mobilisierung nachgelassen haben wird. Es wird einen Transfer von Ressourcen brauchen, um in den kommenden Wahlkämpfen die ostdeutschen Regionen nicht der AfD zu überlassen.

Friederike C. Domrös

war vor und nach der Wende Sozialarbeiterin in einer Mittelstadt in Sachsen-Anhalt. Sie lebt heute im Ruhestand in Schwerin.

Marcel Hartwig

lebt in Leipzig und Halle. Er ist in der Jugendarbeit tätig.

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