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Der Irrglaube an Wundertechniken

Die Treibhausgasemissionen müssen drastisch gesenkt werden, doch die Politik setzt auf Scheinlösungen

Von Eva Gelinsky

Rauchende Schornsteine in New York, im Vordergrund das Meer.
Kann einmal entwichenes CO2 wieder eingefangen werden? Im Prinzip ja, aber das lenkt von einer wichtigen Frage ab: der Vermeidung von Emissionen. Foto: Ale Alvarez/Unsplash

Die Warnungen vor einer sich verschärfenden Klimakrise nehmen zu und die Folgen der Erderhitzung sind in Gestalt von Hitzewellen, Dürren, Gletscherschwund sowie Starkregen und Überschwemmungen längst in Europa angekommen. Diese Entwicklungen machen einmal mehr klar, dass es für eine schrittweise sozialökologische Transformation keine Zeit und keinen Spielraum mehr gibt. Der weiteren Verschärfung der Klimakrise angemessen sind nur noch Strategien, die einen Bruch mit dem kapitalistischen Wachstumszwang einleiten. Zu den vordringlichsten Maßnahmen, um die Erderhitzung zu bremsen, gehören eine massive Senkung des Energieverbrauchs und ein grundlegender Umbau der Landwirtschaft

Die herrschende Politik allerdings verlässt sich, wenig überraschend unter kapitalistischen Verhältnissen, einmal mehr auf Technologien, um die Probleme in den Griff zu bekommen: Carbon Capture and Storage (CSS) und CRISPR/Cas heißen die technologischen Werkzeuge, deren Ausbau und Nutzung gerade mit hohem Tempo vorangetrieben werden. Als »Technofix« besteht ihre Funktion darin, die durch den Wachstumszwang geschaffenen Probleme zu lösen, damit das Wachstum ungestört weitergehen kann. Welche Folgen werden die Förderung und der Ausbau dieser Technologien haben? Und um welche Art von Problemlösung geht es hier eigentlich?

Spekulative Technologie 

CCS (siehe Kasten) wurde in den 1950er Jahren von der Ölindustrie entwickelt, um schwer zugängliche, tiefe Ölvorkommen zu fördern (Enhanced Oil Recovery (EOR), so die ursprüngliche Bezeichnung). Dabei wird unter Druck stehendes COin Ölreservoirs gepumpt, um Reste aus versiegenden Ölfeldern zu extrahieren oder um anderweitig unzugängliches Öl zu fördern. Eine aktuelle Untersuchung zeigt: Von zwölf bestehenden CCS-Projekten in den USA verwenden elf das abgeschiedene CO2 für die verstärkte Ölgewinnung, also für EOR. Eine umfassende Überprüfung von CCS-Projekten, die zwischen 1995 und 2018 weltweit durchgeführt wurden, ergab, dass »die Mehrheit gescheitert ist«. In den letzten Jahren wurden größere Anlagen mit höherer Abscheidungskapazität nach ihrer Testphase beendet oder auf Eis gelegt; in der EU, Australien, Kanada, China und den USA wurden bereits geplante Projekte wieder eingestellt. Das Fazit der Wissenschaftler*innen ist eindeutig: Biologische Methoden zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre – also ein Schutz bestehender Wälder, Aufforstung und die Förderung des Humusaufbaus – wären deutlich effektiver, kostengünstiger und ressourceneffizienter als CCS.

Die Deregulierung neuer gentechnischer Verfahren bedeutet faktisch das Ende der konventionellen und ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft in der EU.

Ungeachtet dessen treiben die Herrschenden in den USA und Großbritannien, in der EU und in Deutschland den Ausbau von CCS voran. Im Net-Zero-Industry-Act der EU wird die Abscheidung und Speicherung von CO2 als eine Schlüsseltechnologie aufgeführt. Die Verordnung soll rechtsverbindlich regeln, dass bis 2030 eine jährliche Injektionskapazität von mindestens 50 Millionen Tonnen erreicht wird. Nach Schätzungen der Kommission wird der Bedarf an CCS im Jahr 2030 auf 80 Millionen Tonnen CO2 anwachsen und im Jahr 2040 mindestens 300 Millionen Tonnen erreichen. Um die Emissionen auf Null zu reduzieren, müsste die EU bis zur Mitte des Jahrhunderts jährlich bis zu 550 Millionen Tonnen CO2 abscheiden. 

Anfang März hat Dänemark als erstes Land der Welt eine CO2-Speicherstätte freigegeben. Das abgeschiedene CO2 soll aus Belgien importiert und in ein erschöpftes Ölfeld unter der dänischen Nordsee injiziert werden. Die Kommission möchte weitere solcher Projekte fördern, um das Risiko von Investitionen in CCS zu verringern. Damit soll ermöglicht werden, dass die Technologie in großem Maßstab eingesetzt wird. Nach dem Gesetzesvorschlag der Kommission sollen die Mitgliedstaaten der EU in Zukunft Daten über Gebiete veröffentlichen, in denen CO2-Speicherstätten genehmigt werden könnten, und jährlich über die Fortschritte bei entsprechenden Projekten auf ihrem Gebiet berichten.

Seit Anfang 2023 arbeitet die Bundesregierung an einer Carbon-Management-Strategie. In dieser sollen Einsatzfelder für die Technologie näher bestimmt sowie die ökonomischen und regulatorischen Rahmenbedingungen für einen möglichen Hochlauf von CCS erarbeitet werden. Im Klartext: Die Strategie soll den Ausbau einer möglichen CO2-Infrastruktur vorbereiten. Nach den vielen Millionen US-Dollar bzw. Euro, die bereits in die praktisch wirkungslosen Testanlagen gesteckt wurden, sollen nun weitere Milliardeninvestitionen in diesen Bereich fließen. 

Carbon Capture and Storage (CCS)

Mit dem CCS-Verfahren soll das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe, der Zement- und Stahlproduktion sowie bei anderen emissionsreichen industriellen Prozessen emittierte CO2 abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden. Das CO2 wird komprimiert und in flüssiger Form per Pipeline transportiert. Unterirdisch gespeichert werden kann es z.B. in ehemaligen Öl- oder Gasreservoirs, salzwasserführenden Gesteinsschichten oder unter dem Meeresboden. Das Verfahren selbst, der Transport und die Speicherung sind energieintensiv; allein das Abscheidungsverfahren erhöht den Energiebedarf beispielsweise bei der Kohleverbrennung um bis zu 30 Prozent. Geolog*innen warnen, dass die Sicherheit der Endlager nicht gewährleistet ist. Die Verpressung von vielen Millionen Tonnen CO2 etwa in salzwasserführende Gesteinsschichten könnte zur Versalzung des Grundwassers führen. Auch schleichende oder plötzliche Leckagen sind nicht ausgeschlossen. Dies gilt auch für CO2-Pipelines, in denen das CO2 vom Kraftwerk zum Speicherort transportiert wird. CO2 ist zwar ungiftig, kann aber in hohen Konzentrationen zum Erstickungstod führen. Im Jahr 2020 kam es in den USA zu einem schweren CO2-Pipeline-Unfall.

Neue Gentechnik contra ökologische Landwirtschaft

Das 2012 erstmals beschriebene Verfahren CRISPR/Cas (siehe Kasten) gehört zu den sogenannten neuen gentechnischen Verfahren. Die Bundesregierung fördert die Forschung und Anwendung der Verfahren im Bereich der Pflanzenzüchtung seit Jahren mit vielen Millionen Euro. Die mit der Technologie verbundenen Versprechen ähneln jenen, die bereits mit der ersten Generation der Gentechnik verbunden waren. Neben den bekannten Behauptungen, dass die Verfahren präzise und sichere Eingriffe ermöglichen, um resistente und ertragreiche Pflanzen zu entwickeln und somit einen Beitrag zur Lösung des Welthungerproblems zu leisten, wird nun auch ihr Potenzial für die Anpassung der Landwirtschaft an die Klimakrise hervorgehoben. So soll es jetzt möglich sein, Pflanzen zu entwickeln, die besser mit Hitze- und Trockenstress zurechtkommen. Obwohl darauf hingewiesen wird, dass es sich bei CRISPR nicht um das Wunderwerkzeug zur Lösung aller Probleme handelt, wird die breite Anwendung der Technologie als unverzichtbar dargestellt.

Auch wenn die Erfolgsbilanz der mittels CRISPR entwickelten Pflanzen bislang äußerst bescheiden ist – auf dem Markt und in Entwicklung sind »blutdrucksenkende« Tomaten (Japan), ein bitterstofffreier Salat (USA) und diverse herbizidresistente Pflanzen (Argentinien) –, will die EU-Kommission die bestehenden Gentechnik-Gesetze »an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anpassen«. Geplant ist eine weitgehende Deregulierung der neuen gentechnischen Verfahren. Diese bedeutet faktisch das Ende der gentechnikfreien (konventionellen und ökologischen) Land- und Lebensmittelwirtschaft in der EU. Dabei wäre gerade der massive Ausbau der (gentechnikfreien) Biolandwirtschaft ein wirksames Mittel, um die Folgen der Erderhitzung auf die Landwirtschaft zumindest abzumildern. Auch hätte der damit verbundene Humusaufbau eine erhöhte CO2-Speicherung zur Folge – ganz ohne teuren und energieintensiven Aufbau neuer industrieller CCS-Anlagen. 

CRISPR

Das CRISPR (engl.: Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats)/Cas (engl.: CRISPR-associated)-System wird im Labor dazu verwendet, möglichst zielgerichtete Veränderungen am Erbgut eines Organismus vorzunehmen. Die gentechnische Methode findet vor allem Anwendung in der Pflanzen- und Tierzucht, der medizinischen Forschung und der Grundlagenforschung. Das System besteht aus einem Enzym (auch Nuklease genannt, z.B. Cas9) und aus einer »Guide-RNA«, mit deren Hilfe jener Abschnitt auf der DNA angesteuert werden kann, der verändert werden soll. Zunächst muss das System mithilfe älterer gentechnischer Verfahren (z.B. Partikelbeschuss) in die Zelle eingebracht werden. Sobald die Guide-RNA »angedockt« hat, trennt das Cas-Enzym den DNA-Doppelstrang auf. Die Zelle aktiviert Reparatursysteme, um den Eingriff zu beheben. Oft kommt es zu Fehlern bei der Reparatur, die zu einer Mutation führen. Auf diese Weise können Basenpaare ausgetauscht, hinzugefügt oder entfernt werden. Gene können stillgelegt oder in ihrer Wirkungsweise verändert werden. Möglich sind zudem komplexere Veränderungen an mehreren Stellen im Erbgut. Das Verfahren ist bei weitem nicht so präzise, wie der öffentliche Hype suggeriert. Auch bedeutet »präzise« nicht, dass ein Eingriff automatisch sicher ist. 

Klimaschädlicher »Produktivismus«

In den kritischen Diskursen über CCS und CRISPR wird völlig zu Recht darauf verwiesen, dass ihr Lösungspotenzial – sofern es überhaupt besteht – äußerst beschränkt ist. Zu kurz kommt meist die Frage, warum der Politik Wahrscheinlichkeiten, Versprechen und Spekulationen reichen, um öffentliche Mittel in Milliardenhöhe zu mobilisieren. Um welche Art von Problemlösung geht es hier also?

In beiden Technologiefeldern schafft die Politik aktuell einen Rechtsrahmen, der Investitionen ermöglichen oder erleichtern soll. Technologien wie CCS, egal, wie spekulativ ihr Nutzen ist, versprechen eine allgemeine Win-win-Situation: Die Sicherung der Akkumulation, technische Innovationen, mit denen in der internationalen Konkurrenz Wettbewerbsvorteile erwirtschaftet und Maßstäbe gesetzt werden können, profitable Geschäftsfelder für Unternehmen und ein Beitrag zum Klimaschutz. Energieintensive Branchen wie die Stahl- oder Chemieindustrie können sich dank CCS darauf verlassen, dass sie in Zukunft mindestens ihre »unvermeidbaren Emissionen« bequem kompensieren können. Auch in der Landwirtschaft verspricht CRISPR ein Weiter-so; der Input-intensive und klimaschädliche »Produktivismus« wird damit festgeschrieben. 

In der Klimakrise nimmt der kapitalistische Technikfetischismus aberwitzige Dimensionen an.

Egal, wie weitreichend die Folgen der Erderhitzung sind bzw. sein werden – die Sicherung der Akkumulation hat immer höchste Priorität, auch wenn damit weitere fossile Lock-ins und Pfadabhängigkeiten geschaffen werden. Denn es ist gerade die Öl- und Gasindustrie, also jene Branche, die in einem relevanten Ausmaß für die Misere verantwortlich ist, die mit dem geplanten Ausbau einer CO2-Infrastruktur neue Möglichkeiten für profitable Geschäfte erhält. Damit stärkt die Politik Strukturen, die – siehe RWE & Co. enteignen – eigentlich zerschlagen und rückgebaut werden müssten. Gleiches gilt für CRISPR: Mit der Deregulierung der neuen Gentechnik erhalten vor allem multinationale Chemie- und Saatgutkonzerne wie Bayer & Co. neue Möglichkeiten, um ihre marktbeherrschende Stellung weiter auszubauen. 

Technologien haben also immer auch soziale Wirkungen: Sie sichern bestimmte Interessen, unterdrücken andere und machen repressive Maßnahmen erforderlich. Gerade CCS erfordert starke, zentralisierte und hierarchische Formen der Entscheidungsfindung durch Expert*innen. Bereits 2010 gab es Proteste gegen ein CO2-Endlager in Brandenburg; der geplante Ausbau wird hoffentlich neuen Widerstand provozieren. In den USA formiert sich dieser bereits: Hier führt die derzeit durch die Biden-Administration vorgenommene massive Anschubfinanzierung von CCS dazu, dass die Regulierungsbehörden die Flut an Anträgen für CO2-Endlager bzw. Pipelines nicht mehr bewältigen können. Betroffene befürchten, dass die Unternehmen deshalb ohne eingehende Risikobeurteilung Fakten schaffen könnten. Im Fall von CRISPR existiert bis heute praktisch keine Risikoforschung, die diesen Namen verdient. Sollte die Deregulierung der neuen Gentechnik umgesetzt werden, fallen auch sämtliche Haftungsregelungen. Die Konsequenzen für die landwirtschaftlichen Produzent*innen, aber auch für die Umwelt, werden potenziell weitreichend sein. Einmal mehr gilt: Während die Unternehmen Profite einstreichen, muss die Gesellschaft für die Schäden aufkommen.

Der Glaube, dass Technologien die Lösung sind, ist in der Politik wie in weiten Teilen der Gesellschaft offenkundig unerschütterlich. In der Klimakrise nimmt der kapitalistische Technikfetischismus allerdings neue, aberwitzige Dimensionen an. Für die Klimabewegung muss klar sein: Beide Technologien blockieren die wirklich wichtigen und dringlichen Umbaumaßnahmen. Daher sind ihr weiterer Ausbau und ihre finanzielle Förderung entschieden zu bekämpfen und so schnell wie möglich zu beenden.

Eva Gelinsky

ist Geografin, Agraraktivistin und Redaktionsmitglied bei emanzipation. Zeitschrift für ökosozialistische Strategie.