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Wie Teheran mit Palästina Politik macht

Das islamistische Regime in Iran unterstützt die Hamas und die Hisbollah seit ihrer Gründung – auch zum eigenen Machterhalt

Von Mina Khani

Eine teils uniformierte Menschenmenge steht um ein Feuer auf einer Straße, es werden Fahnen geschwenkt, unter anderem die Palästina-Fahne.
Pro-Hamas-Parolen sind fester Bestandteil der Regime-Propaganda – viele Iraner*innen lehnen sie ab. Versammlung der Revolutionsgarden 2018. Foto: Hossein Velayati, Fars News Agency / Wikimedia Commons, CC BY 4.0 Deed

Am 7. Oktober startete die Hamas einen groß angelegten Überraschungsangriff auf Israel und löste damit eine Entwicklung aus, die die gesamte Region erschüttern kann. Die Hamas und verbündete Kämpfer griffen israelische Soldat*innen, aber auch massenhaft Zivilist*innen in grenznahen Orten an und töteten viele. Die Bilder von Frauen, die als Geiseln entführt wurden, haben die Weltöffentlichkeit schockiert. In Videos, die schnell viral gingen, war zu sehen, wie unter Allahu-Akbar-Rufen israelische Zivilist*innen von Hamas-Kämpfern ermordet wurden, man sah Spuren der Vergewaltigungen an Frauen, später folgten die Meldungen über ermordete Kinder.

Die israelische Seite hat massiv auf diese terroristische Attacke reagiert. Bereits jetzt fielen viele hundert Menschen den israelischen Bombardements in Gaza zum Opfer, unzählige wurden verletzt, ganze Häuserblocks liegen in Schutt und Asche. Bei Redaktionsschluss hatte Israel die Bewohner*innen des nördlichen Teils des Gaza Streifens, auch von Gaza City, aufgefordert, ihre Wohnorte binnen 24 Stunden gen Süden zu verlassen.

Nun sind wir mittendrin. Mitten in einem Krieg, der regional weiter eskalieren kann. Die Hamas hat bereits zum islamistischen Jihad in der Region aufgerufen, Israel die Flughäfen in Damaskus und Aleppo angegriffen. In Iran feierte das Regime die Attacken der Hamas zunächst. Später ruderte Staatsoberhaupt Khamenei später zurück und erklärte, Iran würde die Hamas zwar unterstützen, aber »diese Aktion wurde von den Palästinensern selbst organisiert«. Viele Iraner*innen hingegen zeigten sich von Anfang an solidarisch mit den Betroffenen in Israel.

Der Ruf aus der iranischen Opposition, die Revolutionsgarden auf die Liste der terroristischen Organisationen zu setzen, ist noch lauter geworden. Der Grund ist mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum bekannt: Die Revolutionsgarden, der militärische Arm des iranischen Regimes, unterstützen den Terror der Hamas.

Islamistischer Revolutionsexport

Die propagandistische Unterstützung Palästinas ist fast genau so alt wie das iranische Regime selbst. Am 7. August 1979 erklärte Khomeini, der religiöse Führer der islamistischen Revolution, den letzten Freitag jedes Ramadans zum Al-Quds-Tag. Al-Quds ist der arabische Name für Jerusalem: »Al-Quds ist der Tag der Neubelebung des Islams«, »Der Al-Quds-Tag ist nicht nur der Tag für Palästina, sondern der Tag für die islamische Herrschaft«. Khomeini sagte in seiner Rede auch, dass am Al-Quds-Tag die »Unterdrückten gegen die Supermächte gerüstet werden müssten«.

»Genau so, wie Iran aufgestanden ist und die Nase der Supermächte auf die Erde gezogen hat und weiter ziehen wird, müssen alle Nationen aufstehen und den Abschaum in den Müll befördern; an diesem Tag müssen die Handlanger des Schah-Regimes und die Verschwörer der Supermächte in allen Teilen der Welt, insbesondere im Libanon, wissen, was ihr Schicksal sein wird.« Auch an Intellektuelle in Iran war die Rede adressiert: »An diesem Tag muss man die Intellektuellen, die immer noch mit den USA in Verbindung stehen, davor warnen, dass sie, wenn sie nicht damit aufhören, niedergeschlagen werden.«

Seit dieser historischen Rede verfolgt das Regime in Teheran, gemäß der ideologischen Linie Khomeinis, die Strategie des islamistischen Revolutionsexports in die ganze Welt »Der Islam muss in allen Teilen der Welt herrschen, und um die Ankündigung dieser Sache geht es beim Al-Quds-Tag«, so Khomeini damals.

Der Hamas und der Hisbollah ist klar, dass sie ohne das iranische Regime kaum überleben würden.

1982 wurde die libanesische Hisbollah als Reaktion auf die israelische Invasion im Libanon von Khomeini und den iranischen Revolutionsgarden mitbegründet. Schon zuvor waren die paramilitärischen Verbände, aus denen die Hisbollah hervorging, unter den Einfluss Irans geraten und von Khomeini ideologisiert worden. Das erklärte Ziel war die Verteidigung der »islamischen Revolution«. Seitdem hat die islamische Republik, wie das Regime in Iran sich selbst nennt, die finanzielle und ideologische Unterstützung der Hisbollah mehrfach bekräftigt. Auch Hassan Al Nasrallah, der Kopf der libanesischen Hisbollah, erklärte 2016 in Reaktion auf die Sanktionen der USA , dass die libanesische Hisbollah von Iran finanziert wird.

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Die Hamas wurde all diese Jahre ebenfalls vom Regime in Teheran finanziell und ideologisch unterstützt. Die Idee dahinter war genau das, was Khomeini bei der Begründung des Al-Quds-Tages einst beschrieben hatte: ein islamistischer Jihad in der Region, gegen die bestehende Weltordnung, mit Fokus auf Palästina. Während der Aufstände in Syrien gegen Assad seit 2011 hat sich das Verhältnis der iranischen Führung zur Hamas zwischenzeitlich abgekühlt. Iran verlangte damals von der Hamas, Syrien zu unterstützen, aber die Hamas wendete sich gegen Assad. Infolgedessen kursierte die These, dass das iranische Regime seine finanzielle Unterstützung für die Hamas eingestellt habe. Fatah, die Partei, die in den Autonomiegebieten regiert, betonte allerdings bereits 2012, dass Teheran der Hamas Millionen US-Dollar angeboten habe, wenn sie sich von der Fatah distanziere.

Umstrittenes Symbol Palästina

Die Beziehung zu Palästina ist in Iran zutiefst umstritten. Das iranische Regime hat die Unterstützung Palästinas wieder und wieder für seine Politik missbraucht – im Innern und in der Region, ideologisch und militärisch. Der Name Palästina wird vom Regime seit Jahrzehnten auch als Symbol für die politische Unterdrückung Irans verwendet. Und seit Jahren ist sowohl für die Hamas wie die Hisbollah klar, dass sie ohne das iranische Regime kaum überleben würden.

Seit den 1990er Jahren soll Teheran viele Hundert Millionen US-Dollar an die beiden radikalislamischen Organisation gezahlt haben. Laut der NGO Counter Extremism Project belaufen sich die jährlichen Zahlungen immer noch auf mindestens 70 Millionen US-Dollar. Die Times of Israel berichtete 2019, dass Iran seine Zahlungen um 30 Millionen Dollar pro Monat erhöhen wolle, wenn die Hamas Informationen über die Lagerung israelischer Raketen liefern könne.

Dies ist einer der Gründe, weshalb sich Iraner*innen, die gegen den iranischen Staat mobilisieren, gegen die Hamas, die Hisbollah und all ihre Verbündeten in der Region stellen. Während der Proteste 2019, ausgelöst durch steigende Benzinpreise und eine hohe Inflation, forderten viele Demonstrant*innen, die finanzielle Unterstützung für Hamas und Hisbollah einzustellen und die Gelder in die eigene Wirtschaft zu investieren. Dabei etablierte sich die Parole »Weder Gaza, noch Libanon, ich opfere mich für Iran«.

Die Parole richtet sich aber nicht gegen die Menschen in Gaza und Libanon. Sie ist eine Botschaft an das iranische Regime: Die Förderung der Hamas und der Hisbollah als Teil der iranischen Einflusspolitik in der Region wird von vielen als Druckmittel gegen die Bevölkerung im eigenen Land empfunden.

Diese Einschätzung trifft durchaus zu. Während der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung erwarteten die Menschen in Iran internationale Solidarität, auch aus der islamischen Welt, doch die blieb spärlich und begrenzt. Klar ist für viele Iraner*innen, dass der Staat ein Jahr nach der Jina-Bewegung und während der Repressionsoffensive zum Jahrestag der Revolte vor einigen Wochen versucht, sich auch regional wieder zu stabilisieren. Stellvertreterkriege helfen dem iranischen Staat seit Jahren, seine Macht weiter aufrechtzuerhalten.

Mina Khani

ist iranische Publizistin und linke Feministin. Sie lebt in Berlin.

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