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Global leben lernen

Gesundheitspolitik geht uns alle etwas an – warum also selektiv sein, wenn es um Lektionen aus der Pandemie geht?

Von Paul Dziedzic

Poster einer Klinikeröffnung am 24. April 1971. Illustration eines Arztes, der ein Kind untersucht. Darüber steht "People's Free Health Center".
Auch die Black Panther Party wusste um die Bedeutung einer Community-Gesundheitsversorgung. Foto: National Archives, Public Domain

Es ist Frühjahr 2020. In den Nachrichten dominiert nur ein Thema: das neue Virus, dessen Ansteckungsgefahr höher ist als die vorhergegangener Pathogene. Expert*innen sind alarmiert, Politiker*innen deuten das Wissen wiederum, je nach Couleur, unterschiedlich. Dann klopft es an der Tür, da steht ein freundliches Gesicht aus der Nachbarschaft. Die Person macht etwas mit Gesundheit, das wissen alle im Block. Es geht um das neue Virus, um die Informationen, die es dazu gerade gibt – wie ansteckend es ist, was die Nachbarschaft am besten tun, wer wem mit Einkäufen oder anderen Dingen helfen kann und so weiter. Und wenn man krank ist, ist die Person erreichbar, vermittelt zu einer Klinik, hat Zeit, alle wichtigen Infos aufzunehmen und übernimmt in einem Team mit anderen die Kontaktverfolgung. Das freundliche Gesicht aus der Nachbarschaft gehört zu einem Team der Community Health Worker. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert als Community Health Worker Freiwillige aus den Gemeinden, in denen sie aktiv sind und als Verbindung zwischen den Gemeinden und dem primären Gesundheitssystem fungieren. In vielen Ländern auf dem afrikanischen Kontinent sind sie ein unverzichtbarer Teil des Gesundheitssystems. Gerade in Überlegungen zu einem solidarischen Gesundheitssystem hierzulande sind die Community Health Worker unterbeleuchtet.

Große Teile Afrikas kamen bisher relativ gut durch die Pandemie. Und das, obwohl den meisten Ländern dank auferlegter Dauer-Austeritätspolitik nur wenige Ressourcen zur Verfügung stehen. Noch vor der Corona-Krise hieß es, die Staaten des Westens seien für eine Pandemie bestens vorbereitet. Die Länder wiederum, die auf allen Karten ohnehin immer rot angestrichen sind, nicht. Doch diese Karten müssten revidiert werden. Denn gerade die wegrationalisierten und von postkolonialen Eliten vernachlässigten Gesundheitssektoren wurden durch Maßnahmen »von unten«, die sich vor allem auf Kommunikation und Prävention konzentrieren, komplementiert.

Professor Agnes Binagwaho von der University of Global Health Equity in Kigali, Ruanda, analysierte schon vor einem Jahr in der Zeitschrift Medical News Today, warum afrikanische Länder im Schnitt besser durch die Krise kamen als die europäischen. Einer der wichtigsten Punkte war die schnelle, kontinentweite Koordinierung. In der pan-afrikanischen Gesundheitsbehörde African Center for Desease Control (CDC) trafen sich die ersten Expert*innen über zehn Tage vor dem ersten Ausbruch in Afrika , um ihre Wissensstände über das neue Virus auszutauschen. Die Länder der Ostafrikanischen Gemeinschaft koordinierten, welche Güter systemrelevant sind und durch die geschlossenen Grenzen dürften, Covid-Testresultate wurden elektronisch und über Grenzen hinweg bei Bedarf geteilt.

Das Handeln ist aber nicht nur auf die staatliche Ebene zu reduzieren, ganz im Gegenteil. Staatliches Handeln hat mit den Kräfteverhältnissen zu tun, die nicht angetastet werden dürfen. Nicht selten hat es auch Versuche gegeben, Aufstände, von denen es 2019 viele gegeben hat, durch Covid-Maßnahmen zum Erliegen zu bringen. Den Bewegungen selbst war die Gefahr der Pandemie bewusst und so taten viele das, was sie gut können: sich solidarisch organisieren. Mit der Zeit nahm die Unzufriedenheit über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu, vor allem, wo Auslgeichsmaßnahmen fehlten und viele ohne Einkommen und Sicherheit zurückgelassen wurden. Die Konzentration auf Covid-Maßnahmen hat teilweise andere Gesundheitsleistungen zurückgedrängt und Menschen so andersweitig in Gefahr gebracht.

Wo Regierungen wenig Vertrauen genießen, ist es bei den Community Health Workers anders. Sie betreiben Kommunikation, Prävention, koordinieren Tests und Kontaktnachverfolgung. Doch genauso wie die Kolleg*innen hier gibt es für die Community Health Worker nicht nur zu wenig Anerkennung, sondern auch zu wenig Geld. Das CDC schätzt, dass ungefähr zwei Millionen Community Health Worker fehlen, um eine Grundversorgung (über die Pandemie hinaus) zu erreichen. Obwohl sich die Impfstoff-hortenden Länder weiterhin weigern, die Patente freizugeben oder auch nur ihre versprochenen »Spenden« zu liefern, werden die Community Health Worker in Zukunft ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Zustellung und Verabreichung der Impfstoffe spielen.

Community Health Worker stellen sich auf die Seite der Patient*innen.

Die Verbindung zwischen sozialer – oder in diesem Fall gar geopolitischer – Lage und Gesundheit ist klar. Wer wenig hat, bekommt auch weniger. Das gilt sowohl hier als auch auf dem afrikanischen Kontinent. Unter anderem deshalb braucht es ein System, das Zugänge schafft. Die Vorzüge einer lokalisierten und autonomen Gesundheitsversorgung im neoliberalisierten Zeitalter sind quasi universell. Community Health Worker, so heißt es in einem Paper im New England Journal of Medicine, stellen sich auf die Seite der Patient*innen und sind Brücken zwischen Communities und der primären Gesundheitsversorgung. Ihnen sind die Verbindungen zwischen sozialer Lage und Gesundheitsversorung meist auch auf politischer und sozialer Ebene bewusst. In Deutschland gibt es Versuche, solche Systeme auszubauen, beispielsweise in den Polikliniken, die in mehreren deutschen Städten entstanden sind. Diese solidarische Infrastruktur ersetzt natürlich nicht die großen Krankenhäuser oder Forschungseinrichtungen. Dafür schaffen sie niedrigschwellige Angebote besonders dort, wo Menschen sie besonders brauchen und kaum Zugang haben. Wenn solche Systeme eine Pandemie zumindest eindämmen können, ohne die repressive Macht von Staaten zu nutzen, dann müssten sie hierzulande gerade in linken Diskursen präsenter werden. Sie wären auch eine Opposition zu den unzureichenden staatlichen Maßnahmen, zu repressiven liberalen Diskursen von »Freiheit« und zur realitätsfernen Leugnung von rechts. Dafür lohnt es sich schon, sich Rat von dort zu holen, wo man sonst nur rot auf der Karte sieht.