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Corona: Nochmal auf Anfang

Von Lene Kempe

Stellt gerne dumme Fragen: Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung/Flickr, CC BY-SA 2.0

Eigentlich scheint es kaum noch eine Meldung wert: Der Medizintechnikkonzern Siemens Healthineers hat Anfang Februar neue Zahlen verkündet. 5,1 Milliarden Euro Umsatz im letzten Quartal 2021, 472 Millionen Gewinn nach Steuern. Und: Für das laufende Geschäftsjahr (beginnend im September 2021) rechnet der Konzern damit, allein mit Antigen-Schnelltests rund 700 Millionen Euro Umsatz zu erwirtschaften.

Diese Tests kommen unter anderem in Schulen und Kitas zum Einsatz. Siemens Healthineers verdient sich eine goldene Nase damit, dass sich Kinder und Erwachsene »freitesten« müssen, um unter Pandemiebedingungen in die Schule, zur Kita und zu ihren Arbeitsplätzen zu kommen.

Bekanntermaßen ist Siemens nicht der einzige Corona-Profiteur, sondern der Großteil der deutschen Wirtschaft ist – auch dank staatlicher Hilfen – bis dato prima durch die Pandemiezeit gekommen. Dennoch ist es faszinierend, wie stolz Wirtschaftsvertreter*innen seit Monaten ihre Erfolgsbilanzen verkünden, um dann in das nächste Mikrofon zu maulen, wie schlecht es ihnen in Wahrheit ginge. Nach sorgenvollen Verweisen auf Lieferengpässe, Materialmangel und Lockdown-Diskussionen folgt in der Regel der Hinweis, durchatmen sei auch nach Überwindung der Pandemie nicht angebracht, denn die Wirtschaft stehe vor gigantischen Herausforderungen. Namentlich dem kostenintensiven »klimafreundlichen« Umbau der Ökonomie.

Die Autobauer zum Beispiel, die das zweite Corona-Jahr zum Teil mit Rekordumsätzen beendeten, säßen auf einer »tickenden Zeitbombe«, so verkündete jüngst das Center Automotive Research (CAR), weil Plug-in-Hybrid-Modellen ein drastischer Wertverfall drohe, falls die neue Ampelregierung Kaufprämien und Steuervorteile für diese Modelle über kurz oder lang einstampft. Und auch die Besitzer*innen der halbelektronischen Modelle würden beim Weiterverkauf in die Röhre gucken. Ohnehin, so wird prophezeit, müssten sich Konsument*innen auf eine »grüne Inflation« einstellen – wegen der politisch getriebenen Teuerung von Energiepreisen und Nahrungsmitteln. Die von der Ampelregierung geplante Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro könne das nicht abfedern, sie sei vielmehr ineffektiv und viel zu teuer für die Unternehmen. Zudem unterhöhle die Politik damit die Tarifautonomie. Und die Arbeitgeber gestalten die Arbeitswelt doch gern autonom, »Seite an Seite mit den Beschäftigten«, wie der Arbeitgeberverband erklärt. Und wenn die Beschäftigten ihre Jobs nicht verlieren möchten, sei Lohnzurückhaltung angebracht. And on and on it goes. 

Michael Hüther, Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft, stellte in einem Gespräch mit Bert Rürup jüngst die dazu passende Gretchenfrage: Warum sollte die gegenwärtige Generation – und damit meinte er nach eigenen Angaben »alte (wohlhabende) Säcke« wie ihn selbst – für Klimaschutz zahlen, wenn sie doch kaum was davon hat? Das sei eine »intergenerative Ungerechtigkeit«.

Noch bevor die Pandemie vorbei ist, rüsten sich die Arbeitgeber*innen und andere Wirtschaftsvertreter*innen also schon mal für den nächsten Verteilungskonflikt. Die Botschaft lautet: Klar können wir die Wirtschaft umbauen, aber das wird teuer. Für euch.

Nach zwei Jahren Pandemie wird damit eines überdeutlich: Die anfängliche Hoffnung, dass die gesamtgesellschaftliche globale Krise, die die Sollbruchstellen des neoliberalen Kapitalismus drastisch offengelegt hatte, auch die historische Chance bieten würde, mehr Gemeinwohlorientierung in der Ökonomie zu erkämpfen, hat sich als grundfalsch erwiesen. Stattdessen hat das Prinzip der maximalen Profitorientierung die Krise erstaunlich unbeschadet überlebt, und Krisenkosten wurden größtenteils auf die unteren Klassen abgewälzt.

Man kann die Siemens-Meldung als Linke jetzt schulterzuckend hinnehmen und konstatieren, dass der Kapitalismus schäbig wie immer und alles beim Alten ist. Oder sie zum Anlass nehmen, den Blick noch viel genauer auf das zu richten, was gerade in der Arbeits- und Unternehmenswelt vor sich geht. Die Wirtschaft befindet sich tatsächlich im (»klimafreundlichen«) Umbau, sie folgt dabei aber dem Bauplan der großen Unternehmen.

Wenn die Linke das nicht nur beobachten will wie das Kaninchen die Schlange, müsste sie diesen Bauplan sabotieren, anstatt Abwehrkämpfe um ein bisschen mehr Lohn oder ein paar weniger Autos auf den Straßen zu führen. Vielleicht hilft dabei doch ein Blick auf den Anfang der Pandemie, als einige Marktprinzipien kurze Zeit außer Kraft gesetzt und anstatt für Profite für die Gesundheit und existenzielle Bedarfe produziert wurde und als die Idee, dass es im Hier und Jetzt eine Alternative zum neoliberalen Kapitalismus gibt, gar nicht mehr so unrealistisch schien. 

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.