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Abschottung gleich Sicherheit

Die Kontrollen an der polnisch-deutschen Grenze sind in erster Linie Symbolpolitik – auf Kosten von Geflüchteten

Von Alicja Flisak

Zufahrt zu einer Brücke, im Vordergrund ist ein Schild mit der Aufschrift "Granica państwa" (Staatsgrenze) zu sehen.
Am verhältnismäßig ruhigen Grenzübergang in Gubin/Guben gibt es keine Staus, aber einen (im Hintergrund sichtbaren) Kontrollposten mit der Aufschrift »Polish Border Guard«. Foto: Kornelia Kugler

Im Juli waren die Augen der medialen Öffentlichkeit wieder einmal auf die deutsch-polnische Grenze gerichtet: nicht, weil es zu diesem Zeitpunkt real mehr Fluchtbewegungen gegeben hätte als zuvor, sondern wegen eines politisch konstruierten Problems. Unter dem Vorwand, sich vor »unkontrollierter Migration« zu schützen, wurden Kontrollen zunächst auf deutscher Seite eingeführt. Polen reagierte im Juni mit eigenen Maßnahmen, die bis Anfang Oktober verlängert wurden. Der Grenzübergang wurde damit erneut zum Symbol staatlicher Abschottungspolitiken.

Allerdings sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Von über 200.000 seit Juni kontrollierten Menschen wurden nur wenige Dutzend zurückgewiesen – oft Anwohner*innen, die nach Jahren offener Grenzen ihre Papiere vergessen hatten. »Stop Migration« ist zwar längst staatliche Praxis, das zeigt sich mit aller Bruatlität im polnisch-belarussischen Grenzgebiet, wo Pushbacks und Abschiebungen mittlerweile legalisiert sind; an der deutsch-polnischen Grenze aber bleiben die staatlichen Machtdemonstrationen überwiegend symbolisch. Sie sind vor allem politisches Kalkül: Indem der Staat das Thema »Sicherheit« an Grenzkontrollen knüpft, gibt er diesem umkämpften politischen Begriff eine klare Deutung. Statt den Menschen soziale Absicherungen zu garantieren, wird Sicherheit als Ordnung und Abschottung interpretiert. Diese Symbolpolitik verschärft nicht nur die Lage der Geflüchtete, sondern geht auch auf Kosten der lokalen Arbeiter*innenschaft und solidarischen Handelns.

Staus und Lohneinbußen

Denn die Folgen der Kontrollen sind vor allem für die Bewohner*innen der deutsch-polnischen Grenzregion zu spüren. Hunderttausende polnische Pendler*innen – vor allem in Dienstleistungs- und Pflegeberufen sowie im Transportwesen – sind seit den Grenzkontrollen von Staus, Verzögerungen und Lohneinbußen betroffen. Viele verlieren täglich mehrere Stunden im Verkehr.

Die Stimmung in Polen gegenüber Migration verschiebt sich derweil spürbar. Im Juli organisierte die rechtsradikale Partei Konfederacja Proteste unter dem Motto »Stop Migration«. Zwar war die Teilnehmer*innenzahl überschaubar, doch es war die bisher größte antimigrantische Mobilisierung des Landes. Kleine Gemeinden ohne direkten Kontakt zu Migrant*innen zeigen sich besonders anfällig für solche Kampagnen. Dort entwickeln Gerüchte und Geschichten aus Großstädten oder Social-Media-Beiträge über »illegale Migranten«, »fremde Kultur« oder angebliche mit der zunehmenden Migration verbundene Gefahren eine eigene Dynamik. Nicht nur unter Neonazis: Rechte Narrative dringen in Polen mittlerweile tief in die gesellschaftliche Mitte vor und finden Anklang bei sogenannten besorgten Bürger*innen.

Rechte Narrative dringen in Polen mittlerweile tief in die gesellschaftliche Mitte vor.

An der deutsch-polnischen Grenze formieren sich rechte Bürgerwehren wie der Ruch Obrony Granic (Bewegung zum Schutz der Grenzen) um den Rechtsextremisten Robert Bąkiewicz. Sie inszenieren sich als nationaler Selbstschutz und prägen den gesellschaftlichen Diskurs mit militärischem Vokabular. Zwar regt sich Widerstand: Demonstrationen in Solidarität mit Migrant*innen und gegen Rassismus, getragen von NGOs, linken Gruppen und lokalen Initiativen sind auf den Straßen ein entscheidender Ausdruck gesellschaftlicher Gegenwehr. Sie bleiben im alltagspolitischen Diskurs aber unsichtbar. Auch wenn rechte Demonstrationen zahlenmäßig abgenommen haben, prägen diese weiterhin die öffentlichen Debatten und werden von etablierten Parteien genutzt, um Grenz- und Migrationspolitiken zu legitimieren.

»Fremde Schuldige«

Das galt schon unter der nationalkonservativen PiS-Regierung, die 2022 die Mauer an der polnisch-belarussischen Grenze als Symbol der Abschottung errichtete. Die liberalkonservative Regierung unter Donald Tusk führt diese Linie fort: Migration wird als Bedrohung dargestellt, die Grenze weiter militarisiert, begleitet von dem Narrativ der »hybriden Kriegsführung« Russlands gegen die EU. Rechte Argumente werden so zu staatlicher Politik, Abwehr von Migration zur Strategie im Zentrum der Macht.

An der Ostgrenzen Polens zeigt sich die zerstörerische Logik besonders deutlich: Die Mauer an der polnisch-belarussischen Grenze verlagert Fluchtrouten und gefährdet Menschenleben. Der permanente Ausnahmezustand, eine offizielle staatliche Maßnahme, schafft einen besonderen Rechtsrahmen: Er kriminalisiert Asylsuchende und NGOs und schränkt grundlegende Rechte im Grenzgebiet ein. Gleichzeitig lähmen die symbolischen Kontrollen an der deutschen Grenze den Alltag. Beides schafft keine Sicherheit, sondern vertieft die gesellschaftliche Spaltung. Soziale Probleme wie Armut, Wohnungsnot oder prekäre Arbeit werden auf »fremde Schuldige« abgewälzt.

Ende August blockierte Präsident Karol Nawrocki zudem ein Gesetz, das ukrainischen Geflüchteten einen längeren Aufenthaltsstatus und Kindergeld sichern sollte. Künftig erhalten nur arbeitende Migrant*innen Unterstützung – eine Entsolidarisierungspolitik, die Geflüchtete zwingt, jede Arbeit anzunehmen. So verschärft die Abschottungspolitik auch die Ungleichheit im Land: Wer unter Drohung von Abschiebung oder Statusverlust lebt, lässt sich leichter in schlecht bezahlte und unsichere Arbeit drängen.

Die polnische Wirtschaft ist längst auf diese migrantischen Arbeitskräfte angewiesen: Anfang 2024 waren über eine Million von ihnen offiziell beschäftigt, zwei Drittel aus der Ukraine, viele andere aus Belarus, Georgien, Nepal, Bangladesch, Indien oder Usbekistan. Sie sichern zentrale Branchen – wie Bau, Pflege, Logistik, Landwirtschaft – ohne politische Rechte. Ihre Erwerbsbeteiligung liegt über dem nationalen Durchschnitt. Die Politik nutzt sie ökonomisch aus und hält sie zugleich politisch entrechtet. So erzeugt das System gezielt die prekären Bedingungen, die später als »Problem« dargestellt werden. Dennoch stellt die offizielle Rhetorik von Regierung, Parteien und Medien Migrant*innen oft nur als »Kostenfaktor« dar. Dabei tragen diese Menschen durch Steuern und Sozialabgaben erheblich zur Finanzierung des Staates bei.

Europäischer Konsens

Abschottungspolitik und Entsolidarisierung mit Geflüchteten ist kein polnisches Sonderphänomen. Migration wird europaweit zum zentralen Talking Point rechter Parteien, und Ängste werden instrumentalisiert, statt reale Sicherheits- oder Integrationsfragen zu adressieren – ähnlich wie in Deutschland. In zahlreichen EU-Staaten werden wieder Grenzkontrollen eingeführt, teils entgegen dem Schengen-Recht. Der geplante EU-Migrationspakt ab 2026 verschärft diese Linie: Asylverfahren sollen beschleunigt, Rückführungen erleichtert und Haftlager an den Außengrenzen eingerichtet werden. Deutschland, Frankreich, Polen, Österreich, Tschechien und Dänemark fordern erneut in einer gemeinsamen Erklärung mehr Abschiebungen – auch in unsichere Drittstaaten. In der Realität geschieht genau das allerdings schon seit Jahren. Rückführungen werden erleichtert, Verantwortung systematisch nach außen verlagert – sichtbar in Deals mit der Türkei, Libyen oder Tunesien. Frontex bekommt mehr Geld, Personal und Kompetenzen – nicht zum Schutz von Menschen, sondern zur weiteren Militarisierung der Grenzen.

Migration wird für nationale Regierungen zunehmend zu einem effektiven politischen Werkzeug: Angst schüren, Geflüchtete gegen Einheimische ausspielen und die Arbeiter*innenklasse schwächen. Das dient nicht der Herstellung von Sicherheit: Profitieren tun davon vor allem rechte Parteien und das Kapital, das auf massenhaft billige und entrechtete Arbeitskräfte und einen disziplinierten Arbeitsmarkt zugreifen kann.

Alicja Flisak

ist politische Referentin, Publizistin und Aktivistin, die sich mit Arbeitskämpfen, Migration und sozialen Bewegungen beschäftigt.