analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 689 | Lesen

Vergesellschaftetes Wissen

Deutsche Wohnen & Co enteignen versammelt den Stand der Debatte um die Enteignung großer Wohnungsunternehmen in einem Buch

Von Philipp Möller

Foto einer Demonstration, die vorbeizieht, sommerliche Temperaturen, viele gelb-lila Fahnen von Deutsche Wohnen & Co enteignen
Deutschen Wohnen & Co enteignen musste und muss überzeugende Antworten auf aufgeworfene Fragen liefern. In dieser Auseinandersetzung hat die Initiative in den vergangenen vier Jahren viel neues Wissen produziert. Foto: ak

Je weiter ein politisches Projekt ausformuliert ist, nicht nur der Gedanke zur Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit zum Gedanken drängt, desto heftiger werden die Attacken der Gegenseite und desto größer wird die Angriffsfläche für die Gegner*innen. Deutsche Wohnen und Co enteignen ist ein Lehrstück dafür, welches Arsenal das Kapital beginnt aufzufahren, wenn es versucht, ein erfolgreiches linkes Vorhaben zu torpedieren. Seit Beginn der Kampagne zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen in Berlin gab die Immobilienlobby zahlreiche Gutachten in Auftrag, die dem Volksentscheid die Verfassungskonformität absprachen und brachte Mythen in Umlauf, um Ängste etwa vor einer Enteignung der Genossenschaften zu schüren. Der Popularität der Kampagne hat das, zumindest bislang, wenig geschadet.

Doch längst nicht alle vorgetragenen Argumente gegen die Vergesellschaftung sind plumpe Propaganda. Manche der Kritikpunkte legen den Finger in offene Wunden. Die Kampagne musste und muss überzeugende Antworten auf die aufgeworfenen Fragen liefern. In dieser Auseinandersetzung hat die Initiative in den vergangenen vier Jahren viel neues Wissen produziert, eigene Argumente geschärft und andere entkräftet. Unter dem Titel »Wie Vergesellschaftung gelingt« versammelt sie nun den aktuellen Stand der Debatte. Dabei gelingt es dem Autor*innenkollektiv, die komplexe Materie der politischen, ökonomischen und rechtswissenschaftlichen Fachdebatten für eine breite Öffentlichkeit verständlich aufzubereiten, um so den aufgehäuften Wissensstand selbst zu vergesellschaften.

»Unsere Leitfrage bei der Auswahl war: Was ist bereits diskutiert worden – und welche Klärungen braucht es noch, damit Vergesellschaftung umgesetzt werden kann«, erläutert Mitherausgeber Ralf Hoffrogge den Anspruch des Bandes im Vorwort. Das Buch ist in drei thematische Abschnitte aufgeteilt, die sich mit politischen und juristischen Aspekten sowie der Frage der Entschädigung und deren Finanzierung beschäftigen. Die Einleitungen zu den einzelnen Kapiteln dienen als Lesehilfe, um den Verlauf und aktuellen Stand der Debatte im jeweiligen Feld und ausgewählte Konzepte, Broschüren und Artikel zu erläutern. Neben selbst erarbeiteten Materialien und dem Gesetzesentwurf der Initiative, werden auch Gutachten und Stellungnahmen des Berliner Senats zum Volksentscheid aufgeführt und eingeordnet. Angereichert wird das Buch durch Beiträge von externen Expert*innen, die sie teils eigens für den Band verfassten.

Nicht alle vorgetragenen Argumente gegen die Vergesellschaftung sind plumpe Propaganda.

Der erste Teil »Warum vergesellschaften?« beschäftigt sich mit den politischen Begründungen für die Vergesellschaftung. Darin kommen neben der Initiative auch der Berliner Mieterverein, der Umweltverband BUND sowie Gewerkschaften zu Wort, die ihre Perspektive auf die Vergesellschaftung und Gründe für die Unterstützung des Volksentscheids erklären. Der zweite Abschnitt widmet sich dem rechtlichen Rahmen der Vergesellschaftung. Darin werden zunächst die zahlreichen Rechtsgutachten zur Vergesellschaftung in einer Synopse zusammengefasst, um es auch juristischen Laien zu ermöglichen, sich einen Überblick sowohl über die strittigen, als auch über die mehrheitlich als geklärt angesehenen Punkte in der Fachdebatte zu verschaffen. Diese werden derzeit in einer vom Senat eingesetzten Expertenkommission (siehe zuletzt ak 686) diskutiert, die über Wege, Möglichkeiten und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksentscheids beraten soll. Als Mitglied dieser Kommission analysiert Tim Whil die noch offenen Rechtsfragen des Vergesellschaftungsvorhabens.

Im letzten Teil widmet sich das Buch der Frage der Entschädigung und deren Finanzierung. Stück für Stück nimmt die Initiative die Kostenschätzung des Senats auseinander, der die Entschädigungssumme zwischen 28 und 36 Milliarden Euro veranschlagte und trägt alternative Ansätze zusammen, wie die Höhe der Entschädigung jenseits des Marktwertes berechnet und finanziert werden könnte.

Ob und wie es schlussendlich zur Vergesellschaftung kommt, hängt zwar nicht allein am besseren Argument. Um sich für den steinigen Weg bis zur Umsetzung des Volksentscheids argumentativ zu wappnen, kann der Sammelband dennoch viele Hilfestellungen bieten.

Philipp Möller

ist Redakteur beim MieterEcho, der Zeitschrift der Berliner MieterGemeinschaft e.V.

Deutsche Wohnen und Co enteignen (Hrsg.): Wie Vergesellschaftung gelingt Zum Stand der Debatte. Parthas Verlag, Berlin. 296 Seiten, 20 EUR.