analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 695 | Kultur

Für eine Handvoll Dollar mehr

In Hollywood streiken Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen und bringen die Filmproduktion zum Stillstand

Von Kornelia Kugler

Eine Tänzerin in eleganter Poste mit abgespreiztem Bein hält ein Schld mit der Aufschrift "SAG-AFTRA STRIKE!", im Hintergrund ein Gebäude mit Warner Bros Schild
Fast alle in Hollywood streiken, auch die Tänzer*innen. Picket Line vor den Warner Bros Studios in Los Angeles am 10. August. Foto: SAG-AFTRA / Twitter

Im »Hot Labor Summer« hat ein historischer Doppelstreik in den USA zu Solidarität unter Tausenden Gewerkschaftsmitgliedern geführt: Hollywoods Schauspieler*innen und Autor*innen streiken zum ersten Mal seit 1960 wieder gemeinsam.

Nachdem die Drehbuchautor*innen der Writers Guild of America (WGA) bereits seit drei Monaten im Streik sind, haben sich ihnen Mitte Juli die Schauspieler*innen der Screen Actors Guild (SAG-AFTRA) angeschlossen. Die Streiks folgen auf gescheiterte Verhandlungen über neue Verträge mit der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP). Sie vertritt Studios und Streaminganbieter wie Warner Bros, Apple, Netflix, Amazon, Disney und Paramount. Es wird erwartet, dass die Streiks noch Wochen oder Monate andauern und einen Großteil der Fernseh- und Filmproduktionen in den USA zum Stillstand bringen könnten.

Während die WGA mit 11.500 Mitgliedern eine der kleineren Gewerkschaften der Filmindustrie ist, vertritt die SAG-AFTRA rund 160.000 Schauspieler*innen und Entertainer*innen. Während des Streiks dürfen WGA-Autor*innen keine Texte schreiben, bearbeiten oder planen. SAG-AFTRA-Schauspieler*innen dürfen nicht an Film- oder Fernsehproduktionen mitwirken und nicht an Presseterminen, Filmpremieren und Veranstaltungen teilnehmen. Obwohl viele für die Dauer des Streiks kein oder kaum Einkommen haben, stimmten in beiden Gewerkschaften historische Mehrheiten von 98 Prozent dafür, in den Streik zu treten.

Zwei der wichtigsten Streitpunkte sind die schlechten Vergütungen im Streamingbereich und der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI). Die WGA- und SAG-AFTRA-Verträge sind einer der ersten Versuche, Einschränkungen für den Einsatz von KI durchzusetzen. Denn viele Schauspieler*innen fürchten, langfristig durch KI-generierte Avatare ersetzt zu werden. Vor allem für Kompars*innen und Statist*innen ist dieses Szenario nicht unrealistisch: Bereits jetzt werden sie häufig bei Jobs gescannt und mit undurchsichtigen Vertragsklauseln über die Verwendung des Materials abgespeist.

Filme nur noch mit KI?

Autor*innen wiederum wollen verhindern, dass die Studios in Zukunft Drehbücher von KI-Software schreiben lassen. Angesichts dessen, wie formelhaft die immer gleichen Motive und Geschichten abgespult werden, weil immer mehr Content nur noch für den »Second Screen« produziert werden – also für einen parallel laufenden Bildschirm, typischerweise ein Smartphone –, mag das nicht als sehr großer Verlust erscheint, doch auch hier geht es um Arbeitsplätze. Die AMPTP beteuert, dass KI nur unterstützend angewandt werden soll – kein Wunder, denn nach dem Gesetz können Urheber*innenrechte nur dann geltend gemacht werden, wenn ein Werk von einem Menschen erstellt wurde. Auch im Hinblick auf die immer kleiner gesparten »Writers Rooms« verheißt der Vorschlag einer solchen Zusammenarbeit von Mensch und KI nichts Gutes für die Autor*innen.

»Writers Rooms« sind Orte, wo Autor*innen zusammenkommen, um eine Serie zu schreiben, und in weiterer Folge oft auch Dreharbeiten betreuen. Der Produktionsprozess hat sich seit dem Einzug des Streamings verändert, da Onlineserien meist weniger Folgen und Staffeln haben als klassische Fernsehserien. Viele Serien werden bereits nach einer Staffel wieder eingestellt, was große Unsicherheit für ihre Autor*innen bedeutet. Ihr Job funktioniert heute im Sinne der Gig Economy, mit Leerläufen zwischen den Aufträgen und ohne langfristige Anstellungen. Zehn Jahre nach dem Beginn des Streamingbooms wird klar, dass nur noch wenige vom Schreiben leben können. Die WGA fordert deshalb eine Mindestanzahl von Autor*innen pro Projekt und eine Mindestdauer ihrer Anstellung.

Eine weitere Veränderung, die das Streaming mit sich gebracht hat, betrifft die sogenannten Residuals, eine Art Lizenzgebühr. Wenn ein Werk ausgestrahlt oder verkauft wird, haben alle Beteiligten einen prozentualen Anspruch auf den Gewinn. Bei lang ausgestrahlten Fernsehserien wie »Friends« gingen diese Beträge in die Millionen. Aber auch für weniger berühmte Schauspieler*innen und Autor*innen waren Residuals oft ein wesentlicher Teil ihres Einkommens.

Für Streaming sind die Residuals im Vergleich sehr gering. Darsteller*innen wie Lea DeLaria aus der Serie »Orange is the New Black« erhalten pro Jahr nur 20 US-Dollar für das unbeschränkte Streaming der gesamten Serie auf Netflix. Der enorme Erfolg der Serie war einer der Eckpfeiler, der dazu beitrug, die Marke Netflix aufzubauen, die wiederum die Streaming-Wirtschaft begründete, die so ziemlich die gesamte Branche übernommen hat und enorme Gewinne macht. Zu Recht fragt DeLaria im Zuge des Streiks in einer Fernsehsendung: »How much money did Ted make last year?« Die Antwort: Ted Sarandos, der CEO von Netflix, verdient im Jahr 20 Millionen US-Dollar Grundgehalt (50 Millionen mit Aktien und Boni).

Beide Gewerkschaften fordern deshalb Erhöhungen des Mindestlohns, Verbesserungen der Residuals und höhere Beiträge zu Gesundheits- und Rentenversicherungen. Seit Beginn des Streiks haben sie große Streikposten vor den Hauptquartieren der Studios organisiert und verhindern so auch teilweise Produktionen, die von nicht gewerkschaftlich organisierten Crews ausgeführt werden sollen.

Es wird kolportiert, dass die AMPTP die Verhandlungen so lange führen will, bis die Gewerkschaftsmitglieder »ausgeblutet« sind: »Das Endspiel besteht darin, die Sache so lang laufen zu lassen, bis die Gewerkschaftsmitglieder ihre Wohnungen und Häuser verlieren«, zitierte das Hollywood Magazin Deadline einen anonymen Studioboss. Und ergänzte, die Studios rechneten damit, dass es im Herbst so weit sei und sie dann die Bedingungen für ein Abkommen diktieren könnten.

»Listen to me, motherfucker«

Aber genau dieses Szenario ist bereits jetzt ein Grund für den Streik: Etwa 87 Prozent der Schauspieler*innen erzielen nicht das Mindesteinkommen von 26.470 US-Dollar pro Jahr, um die Krankenversicherung der SAG in Anspruch nehmen zu können. Der Durchschnittslohn für eine*n Drehbuchautor*in ist in den letzten zehn Jahren um 23 Prozent gesunken. Viele Autor*innen und Schauspieler*innen berichten, dass sie sich keine Krankenversicherung leisten und sich auch mit mehreren Jobs kaum über Wasser halten können, gerade in Städten wie Los Angeles und New York mit ihren immer weiter steigenden Lebensunterhaltungskosten.

Obwohl die AMPTP das Zitat dementierte, nimmt die Kritik an dem Klassenkampf von oben immer mehr Fahrt auf. Der Schauspieler Ron Perlman (»Hellboy«) etwa reagierte mit einem Instagram-Video, in dem er dem Urheber drohte: »Listen to me, motherfucker. Es gibt viele Wege, wie du dein Haus verlieren kannst.« Die Wut über die Ungleichheit in der Branche richtet sich aktuell vor allem gegen die Studios. Zu Zeiten des letzten Doppelstreiks der Autor*innen und Schauspieler*innen 1960 verdienten Spitzenmanager*innen nur einen Bruchteil dessen, was sie heute verdienen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2022 sind die Gehälter der CEOs zwischen 1978 und 2021 um 1.460 Prozent gestiegen. Dass auch die millionenschweren Gagen der Topstars dazu beitragen, wird seltener thematisiert. »Where the hell is Ben Affleck?« steht auf einem Plakat bei einem SAG-AFTRA-Streikposten. Aber auch viele große Hollywoodstars, die keine finanziellen Sorgen habe, betonen die Wichtigkeit des Streiks und zahlen Millionen in die Notfallfonds der Gewerkschaften ein.

Genau diese Thematisierung von extremer Ungleichheit und unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen ist der Punkt, an dem sich der Streik mit anderen aktuellen (Arbeits-)Kämpfen in den USA trifft – im »Hot Labor Summer«, von dem eingangs die Rede war. Dass die Wut sich schnell legt, ist unwahrscheinlich: Während der Streik weiterläuft, schreibt Netflix eine Stelle für eine*n KI-Produktmanager*in aus – Jahresgehalt 900.000 US-Dollar.

Kornelia Kugler

ist Filmemacherin und Teil des queerfeministischen Filmkollektivs Systrar Productions.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 36 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Probeabo gibt es natürlich auch.