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Über Grenzen hinweg sich nicht festlegen lassen

Regisseurin Elisabeth Gers über die Uraufführung ihres Stücks »Fasia – Das letzte Jahr« an der Volksbühne Berlin

Interview: Pajam Masoumi

Foto einer Schwarzen Frau in einem weißen Nachthemd, die in ein Mikrofon singt. Die Person steht auf einer Bühne. Im Hintergrund ist eine weitere Schwarze Person.
An der Berliner Volksbühne feierte das Stück »Fasia – Das letzte Jahr« die Premiere. Weiter geht es bald in Oberhausen. Foto: Vanessa Unzalu-Troya / Volksbühne Berlin

Fasia Jansen wurde 1929 in Hamburg geboren. Als Schwarzes Kind erlebte sie den Nationalsozialismus in Hamburg. Nach Ende des Krieges wurde Fasia Jansen Musikerin und Aktivistin. »Fasia – Das letzte Jahr« ist das erste Theaterstück über Fasia Jansens Leben und Wirken.

Im Rahmen postkolonialer Kritik und der Black Lives Matter Bewegung wurden viele Biografien Schwarzer Deutscher erforscht und neu erzählt. Was hat dich dazu bewegt, ein Stück über Fasia Jansen zu machen?

Elisabeth Gers: Mir fiel die Biografie »Geliebte Rebellin« in die Hand. Jahre vorher war ich Kostümassistentin am Theater in Oberhausen, aber habe nie von Fasia Jansen erfahren. Dann habe ich diese Geschichte, dieses umfangreiche Leben von Fasias Weggefährt*innen gehört und mich gefragt: Wieso erzählt niemand diese Geschichte am Theater? Daraufhin habe ich eine Förderung beantragt und vielen Menschen davon erzählt, und so ist es zustande gekommen, dass wir das Stück im September in Berlin auf die Bühne gebracht haben.

Fasia Jansens Biografie ist sehr bewegt und hat viele Stationen: Der Zwangsarbeit im KZ, über Protestmusik, ihrem Kampf gegen Rassismus und in der Arbeiter*innen- und Frauenbewegung. Habt ihr auf bestimmte Aspekte ihres Lebens einen Fokus gesetzt?

Ja. Der Grundgedanke war, fünf Stationen aus Fasia Jansens Leben mit verschiedenen Schwarzen Frauen nachzuspielen. Also eine performative Spurensuche. Deswegen war die Idee, mit fünf Schwarzen Darstellerinnen zu arbeiten. Wir haben vom Baby bis zur Seniorin verschiedene Schauspielerinnen gefunden, welche die Szenen nicht direkt nachspielen, teilweise ist es auch improvisiert. Zum Beispiel eine Szene, in der Fasia ihre Tanzausbildung aufgrund der Nürnberger Rassengesetze beenden musste. Wir haben dazu eine Szene mit einem Kind sowie einer Schauspielerin und Tänzerin improvisiert. Das war sehr interessant, da die Szene nicht einfach nachgespielt wurde, sondern wir haben aus unserer heutigen Zeit gefragt: Was passiert da überhaupt? Es gibt ein Schreiben von Frau Sauer, Fasias Tanzlehrerin. Dieses haben wir gelesen und einen empowernden Tanz improvisiert.

Der Fokus des Stücks liegt nicht ausschließlich auf dem Themenkomplex Rassismus. Eine aktivistische Station ihres Lebens beleuchten wir genauer. Dies ist die Frauen/Friedenskonferenz in Nairobi 1985. Wir haben also eher einen Fokus auf ihre Friedensarbeit gelegt, da uns der Blick zurück auch für heutige Konflikte hilft. Das sind Dinge, die immer wieder Thema werden, nicht weil wir das wollen, sondern weil es einen durchgehenden Prozess gibt, die Welt zu befrieden! Wir fragten uns: Wie hat Fasia das gemacht? Was können wir daraus lernen?

Dafür haben wir uns natürlich auch den Lebensabschnitt ihrer Zwangsarbeit in Rothenburgsort, einem ehemaligen Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme, angeschaut. Es gibt eine Beschreibung Fasias, wo sie selbst über ihre Erfahrungen in Rothenburgsort erzählt. Den haben wir als Grundlage für die Szene genommen.

Ihr habt euch dazu entschieden, diskriminierende Begriffe nicht zu reproduzieren. Gleichzeitig könnte man argumentieren, dass die Reproduktion wichtig ist für Aufklärung über die Geschichte und Gegenwart des deutschen Rassismus. Oft gibt es ein Spannungsfeld zwischen Empowerment für negativ-Betroffene auf der einen und Aufklärung über Rassismus auf der anderen Seite. Wie seid ihr mit dieser Spannung umgegangen?

Das war immer wieder ein Thema. In den ersten Fassungen haben wir die Sprache von damals übernommen, auch aus Zitaten Fasias. Wir haben diese Textfassungen auch anderen BiPoC (Black, indigenious, People of Color) zu lesen gegeben und die stolpern da natürlich sofort drüber. Das sind Wörter, die triggern. Die Lesenden haben uns dazu sensibilisiert, Lösungen zu suchen, es war ja nicht nur das N-Wort, das reproduziert wurde. Wir hatten natürlich ebenfalls den Gedanken, dass man diese Sprache, diese Grausamkeit sichtbar machen muss. Aber dann haben wir gemerkt, dass es auch mit den Änderungen nicht unbedingt an Authentizität verliert, da die Menschen es schon verstehen. Gleichzeitig möchten wir Menschen davor schützen, sich immer wieder verletzen lassen zu müssen.

Wer war Fasia Jansen?

Fasia Jansen wurde am 6. Juni 1929 in Hamburg geboren. Bereits in ihrer Kindheit erlebte sie rassistische Diskriminierungen. Mit elf Jahren wurde sie nach dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze aus ihrer Tanzschule geworfen und anschließend zur Zwangsarbeit in einer Suppenküche verpflichtet. Diese Suppenküche belieferte unter anderem das Konzentrationslager in Neuengamme. In dieser Zeit lernte Fasia die Grausamkeit des Naziregimes sowie die Hoffnungslosigkeit der KZ-Häftlinge, überwiegend Frauen, kennen und erkrankte an einem Herzleiden, das mutmaßlich durch medizinische Experimente ausgelöst wurde. Nach dem Krieg versuchte Fasia, die Erlebnisse, Geschichten und Ideale der im KZ Ermordeten weiterzutragen. Dazu begann sie, wieder Musik zu machen und zog nach Oberhausen. Bekannt wurde sie bei ihren Auftritten auf Ostermärschen, bei Streiks vor den Toren von Rüstungskonzernen sowie bei der Frauen- und Friedenskonferenz in Nairobi. Sie starb am 29. Dezember 1997 in Oberhausen.

Heute würde man Fasia Jansens Aktivismus als intersektional beschreiben. Welche Rolle spielten ihre verschiedenen Zugehörigkeiten in ihrem Leben und wie habt ihr diese unterschiedlichen Erfahrungen im Stück verarbeitet? Sie hat sich ja auch dagegen gewehrt, auf eine Identität festgeschrieben zu werden.

Genau, das stimmt. Sie hat sich nicht festschreiben lassen. Heute ist sie eine queere Ikone, Schwarze Menschen identifizieren sich mit ihr. Viele andere Gruppen aber auch. Viele Menschen haben einen Zugang zu ihr, ohne dass sie das damals bewusst forciert hätte. Ihre Homosexualität hat sie geheim gehalten, es gab nie offizielle Outings, was aber auch der Zeit zuzusprechen ist. Es ist automatisch passiert, dass die unterschiedlichen Zugehörigkeiten zusammengekommen sind. Es gibt zum Beispiel eine Liebesszene zwischen ihrer ersten Frauenliebe Anna und ihr. Und eine Begegnung mit Fasias Halbschwester Fatima Massaquoi. Dort wird ihre Identität als Schwarze Person beleuchtet. Natürlich ist auch ihre Krankheit, die auf die medizinischen Misshandlungen und die gesundheitsschädigenden Bedienungen der Zwangsarbeit zurückzuführen sind, ein großes Thema im Stück. Es ist eine Unmöglichkeit, ein ganzes Leben in 90 Minuten Theaterstück zu verpacken. Trotzdem denken wir, dass wir ein lebendiges Bild von Fasias Leben gezeichnet haben. Ich möchte auch nicht zu viel verraten, sondern dass sich Menschen das Stück selbst ansehen.

Welche Rolle spielt Fasias Musik in dem Stück und wie habt ihr die Musik in dem Stück eingebunden?

Wir haben unter anderem ein Medley ihrer Protestlieder gemacht. Außerdem ist ein sehr besonderer Moment, wenn Denise M´Baye »Strange Fruit« singt. Das Original wurde von Billie Holiday gesungen, dann hat Fasia Jansen es gesungen und nun Denise M`Baye auf der Bühne. Das ist ein sehr berührender Moment, weil auch heute noch Leib und Leben von Schwarzen Menschen von Rassismus bedroht sind.

Im Stück verarbeiten die Spielenden eigene rassistische Erfahrungen, sogenannte own voices. Weshalb habt ihr euch dazu entschieden?

Es ist nicht unbedingt so, dass wir eigene Schmerzerfahrungen im Stück verpackt haben. Es war eher ein Prozess, da wir gemerkt haben, wie viele Widerstände es gibt, dieses Stück auf eine Bühne zu bringen und wir gar nicht richtig vorwärtsgekommen sind. Wir haben bemerkt, dass wir eigentlich diesen Prozess, wie das Stück ins Theater kommt, mitnehmen müssen, um klarzumachen, was wir da überhaupt tun. Deswegen haben wir uns dazu entschieden, die strukturellen Barrieren auch innerhalb der Theaterhierarchien und was uns da alles widerfährt zu thematisieren und anschließend diese Erlebnisse in einen größeren Rahmen zu bringen. Auch mit der Frage: Welche Position haben wir eigentlich in der Kulturlandschaft?

Oft hat man fertige Produkte und niemand weiß, wie es jetzt eigentlich dazu gekommen ist. Bei diesem Stück kann ich sagen, dass es jahrelange Arbeit im Vorfeld bedeutet hat. Im Stück nennen wir es auch einen Spießrutenlauf durch die Institutionen. 

Oft werden Arbeiter*innenbewegung und soziale Bewegungen gegeneinander ausgespielt. Fasia Jansens Leben beweist aber, dass dies nicht nötig ist. Was können wir davon mitnehmen?

Das Hände reichen. Über Grenzen hinweg sich nicht festlegen zu lassen. Fasias Weggefährtinnen von der Fasia-Jansen-Stiftung und auch die Lebensgefährtin Ellen Diedrich, die ich bei meiner Recherche kennenlernen durfte, haben erzählt, dass Fasia das Talent besaß, viele Menschen für eine gute Sache, einzunehmen. Es gab da natürlich nicht nur Fasia, sondern eine ganze Bewegung, die über alle politischen Lager hinweg antifaschistisch gearbeitet hat, weil sie gesagt haben: Solche Verbrechen, wie wir sie sie in Nazideutschland miterlebt haben, dürfen nie wieder passieren. Und da, denke ich, war Fasia eine Schlüsselfigur.

Trotz aller Widrigkeiten ist Fasia Jansen Künstlerin und Musikerin geworden und hat sich gefragt, was sie mit dem Privileg, überlebt zu haben, anfangen kann.

Elisabeth Gers

Was können heutige Bewegungen, ob Arbeiter*innenbewegung oder soziale Proteste, von Fasia Jansen lernen?

Was ich so bewundernswert finde, ist, dass sie es geschafft hat, mit ihrem Friedensaktivismus aus ihrer Opferrolle herauszukommen. Bis auf die gesundheitlichen Schädigungen hat sie Widrigkeiten, die ihr widerfahren sind, überwunden. Sie ist trotzdem Künstlerin geworden, ist trotzdem Musikerin geworden. Sie hat sich gefragt, was sie mit dem Privileg, überlebt zu haben, anfangen kann. Wie sie anderen helfen kann. Auch Fasia hat natürlich in ihrem Leben sehr starke Unterstützung bekommen, von ihrer Mutter Elli, die ihr ein liebevolles Umfeld schuf und ihrem Ziehvater Albert, welcher im Widerstand war. Die haben Fasia beschützt, auch mit ihrem eigenen Leben, auch wenn sie sich damit selbst in Gefahr gebracht haben – und das hat Fasia weitergegeben, als sie sich fragte: Ich habe überlebt, was kann ich machen? Ihre Antwort war: Aufklären, was mir im Faschismus widerfahren ist und davor warnen. Fasia ist zwar verstorben, aber durch das Erinnern und Erzählen der Geschichte können wir analysieren, was wir heute daraus lernen können. Wir können schauen, was war damals und wie wollen wir heute leben.

Pajam Masoumi

ist in der Online-Redaktion bei ak.

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