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| Soziale Kämpfe

Wie kann sich die Klima­bewegung mit den Arbeiter*innen der Auto­industrie verbünden?

Wie Beschäftigte auf einen sozial-ökologischen Umbau der Branche blicken, hat Jörn Boewe untersucht

Interview: Jan Ole Arps

Zwei Männer werkeln in einer Fabrikhalle an der Karosserie eines Transporters
Das Bewusstsein über den Klimawandel ist da und das Produzent*innenwissen der Arbeiter*innen unverzichtbar beim Kampf für eine Transformation der Branche. Montage des eSprinters im Mercedes-Werk Düsseldorf. Foto: Daimler AG

Mit den Protesten gegen die Internationale Automobilausstellung in München haben Teile der Klimabewegung den Kampf mit Deutschlands einflussreichster Klimakillerbranche aufgenommen. Allerdings tauchen die etwa 800.000 Beschäftigten der Autoindustrie in den Überlegungen der Bewegung bislang kaum auf. Dabei wird in den Belegschaften durchaus über Klimaschutz diskutiert, sagt Jörn Boewe. Zusammen mit Stephan Krull und Johannes Schulten hat er gewerkschaftliche Vertrauensleute und Betriebsräte zu ihrer Perspektive auf den Klimawandel und einen sozial-ökologischen Umbau der Industrie befragt.

Du hast im Juni gemeinsam mit Stephan Krull und Johannes Schulten die Studie »E-Mobilität – ist das die Lösung?« bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht. Ihr habt Beschäftigte der Automobilindustrie zu ihrer Sicht auf Klimawandel, Transformation und sozial-ökologischer Mobilitätswende befragt. Worum ging es euch bei dabei?

Jörn Boewe: Uns ist aufgefallen, dass seit ein paar Jahren zwar in der Öffentlichkeit viel über diese Themen diskutiert wird, die Sicht der Beschäftigten aber in diesen Debatten gar nicht durchdringt. Es gab und gibt, auch in der Klimabewegung, diese Vorstellung: Die wollen eh nur um jeden Preis ihre Arbeitsplätze erhalten, egal, ob der Planet dabei draufgeht. Das ist so ein Ressentiment, das medial immer wieder befeuert wird. Als sich die SPD in der GroKo vor einem Jahr gegen eine Abwrackprämie für reine Verbrennerfahrzeuge stellte, hieß es überall in der Presse: Die SPD verrät die Automobilarbeiter und führt den großen Bruch mit der IG Metall herbei. Da gab es dann etwa eine Reportage in einer großen Zeitung, in der ein Besuch des baden-württembergischen IG-Metall-Bezirksleiters Roman Zitzelsberger bei Bosch geschildert wurde. In der Geschichte wurde Zitzelsberger von aufgebrachten Bosch-Beschäftigten ausgepfiffen, die ihm vorwarfen, aus der IG Metall einen »Klimaschutzclub« zu machen.

Es gibt auch in der Klimabewegung die Vorstellung: Die wollen eh nur um jeden Preis ihre Arbeitsplätze erhalten, egal, ob der Planet dabei draufgeht.

Und so war das gar nicht?

Natürlich gibt es das. Es gibt in der Branche Betriebsräte, die so drauf sind und auch wissen, wie man solche Shows inszeniert. Abgesehen davon ist es nichts sonderlich Überraschendes, dass in einem Betrieb, wo ein paar tausend Arbeitsplätze am Diesel hängen, Ängste und Emotionen hochkochen. Nur ist das im medialen Diskurs als »die Sichtweise der Automobil-Beschäftigten« hochgejazzt worden. Dazu kam dann noch die Geschichten, wie die AfD und ihre Pseudogewerkschaft Zentrum Automobil versucht haben, die »Stolz auf den Diesel«-Karte zu spielen. Das gibt es alles. Aber die Realität ist eben viel komplexer, und die Beschäftigten in der Automobilindustrie sind kein monolithischer Block. Wir wollten herausfinden, welche Zwischentöne da sind. Was wird diskutiert, in Frage gestellt, welche Ideen werden entwickelt, was verändert sich?

Wie seid ihr vorgegangen?

Wir konnten und wollten keine repräsentative Meinungsumfrage unter Tausenden Beschäftigten machen. Also haben wir uns entschieden, Interviews mit Leuten zu führen, die sich in ihren Betrieben gut auskennen, die persönlich über diese Fragen schon nachgedacht haben und, natürlich, die bereit waren, mit uns zu reden. Das waren in erster Linie gewerkschaftliche Vertrauensleute, teilweise auch Betriebsräte, aber keine Betriebsratsspitzen, sondern überwiegend Leute, die selbst nicht freigestellt sind, sondern voll im Arbeitsprozess stehen, an der Werkbank oder im Büro, und genau mitbekommen, was die Kolleginnen und Kollegen umtreibt. Wir haben Gruppen- und Einzelinterviews geführt, wobei wir uns auf die Automobilcluster in Baden-Württemberg, Sachsen und Niedersachsen konzentriert haben. Außerdem haben wir auch eine Fallstudie bei einem Schienenfahrzeugbauer gemacht, denn auch deren Sicht kommt in der öffentlichen Debatte praktisch nicht vor, obwohl sie schon heute eine zentrale Rolle in der Verkehrswende spielen.

Was habt ihr bei euren Interviews herausgefunden?

Die Sicht der Beschäftigten in der Automobilindustrie ist viel differenzierter als das in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen wird. Natürlich wehren sich die Kolleginnen und Kollegen gegen Arbeitsplatzabbau und Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. Aber wir haben niemanden getroffen, der nicht die Notwendigkeit sieht, dass diese Industrie klimaverträglicher werden muss. Die Leute sind sauer, dass ihr Management jahrelang an einem toxischen Geschäftsmodell festgehalten hat. Am meisten hat uns überrascht, dass dieser Krawall um die »Abwrackprämie« in den meisten Betrieben gar keine Rolle gespielt hat. Das war eine reine Mediengeschichte. Es gab ein paar, die gesagt haben: Okay, über eine Kaufprämie für die allermodernsten und schadstoffärmsten Verbrenner kann man diskutieren. Aber die meisten haben gesagt: Nein, wir wollen nicht, dass man die Unternehmen für ihre verfehlte Modellpolitik auch noch mit staatlichen Subventionen belohnt.

Foto: privat

Jörn Boewe

ist freier Journalist aus Berlin. Gemeinsam mit Johannes Schulten betreibt er das Journalistenbüro work in progress. Im Juni erschien die von Jörn Boewe und Johannes Schulten gemeinsam mit dem Umweltaktivisten und ehemaligen VW-Betriebsrat Stephan Krull erstellte Studie »E-Mobilität – ist das die Lösung?« bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Seid ihr auf Anknüpfungspunkte zur Klimabewegung gestoßen?

Es gibt grundsätzliche eine große Offenheit gegen über den Jugendlichen von Fridays for Future, auch wenn das natürlich keine einfache Beziehung ist. Du kannst von Leuten, deren berufliche Existenz am Automobil hängt, nicht erwarten, dass sie in der ersten Reihe marschieren, wenn für ein Verbot des Verbrennungsmotors demonstriert wird. Aber für die Leuten, mit denen wir gesprochen haben, ist glasklar, dass das Geschäftsmodell der Autoindustrie, immer größere und PS-stärkere Autos in den Markt zu drücken, beendet werden muss. Leute von Audi in Neckarsulm haben uns erzählt, dass bei ihnen unter der Belegschaft diskutiert wird, wieder Fahrräder zu produzieren – natürlich nicht ausschließlich. Bei Daimler in Untertürkheim sagen sie: »Wir können alles bauen, auch Schienenfahrzeuge.« Natürlich sind das nicht die großen Geschäftsmodelle der Zukunft. Aber die Leute sind offen, haben Ideen und fachliches Knowhow. Sie wollen, dass sich etwas ändert, und sie wollen das mitgestalten – gerade weil sie ihre Arbeitsplätze und verhältnismäßig guten Arbeitsbedingungen verteidigen wollen.

Auch wenn einige Werke auf ökologisch nachhaltige Produkte umstellen könnten – die gesamte Autoindustrie zu einer klimafreundlichen Branche zu machen, wird kaum möglich sein. Die Konzerne müssen so viele Fahrzeuge wie möglich verkaufen, egal ob Verbrenner oder Elektro. Wenn man das stoppen will, heißt das, die Produktion müsste schrumpfen, Arbeitsplätze wegfallen. Das ist kaum im Interesse der Leute, die von ihrer Arbeit im Autokonzern abhängig sind. Siehst du eine Lösung für diesen Widerspruch?

Dafür gibt es keine einfache Lösung. Die Automobilkonzerne sind privatkapitalistische Unternehmen, die Profite erwirtschaften wollen. Das ist die eine Seite. Die andere Frage ist, was technisch machbar und gesellschaftlich sinnvoll wäre. Und auf dieser Seite ist eben das Produzent*innenwissen, das fachliche, ingenieurtechnische Knowhow usw. der Belegschaften. Abgesehen von wenigen sehr hochspezialisierten Standorten können viele Betriebe, vielleicht nicht von heute auf morgen, aber im Grunde schon alles Mögliche machen, was in den Bereich Metall- und Elektroindustrie fällt. Ich denke, niemand hat ein fertiges Konversionskonzept in der Schublade, aber das heißt ja nicht, dass man dieses Produzent*innenwissen nicht mobilisieren könnte, wenn man zugleich die Frage von Wirtschaftsdemokratie, regionalen Entwicklungsplänen und letztlich auch der Eigentumsverhältnisse aufwirft. Bei Volkswagen ist die öffentliche Hand immerhin mit einer starken Minderheitsbeteiligung drin – politisch wäre hier aus meiner Sicht zu fordern, dass sie diese Karte strategisch ausspielt. Wir wissen, dass das nicht im Selbstlauf passieren wird, dafür braucht es gesellschaftlichen Druck. Aber ich denke, nur so, mit praktischen Schritten und Vorschlägen, kann man an das Problem herangehen. Nicht indem man sagt: Erstmal müsste alles vergesellschaftet werden, vorher geht eh nichts. Sondern ausgehend von der realen Lage Brücke bauen, hin zu einer gesellschaftlichen, meinetwegen sozialistischen Form des Wirtschaftens.

Wie könnte den von euren Gesprächspartner*innen formulierten Vorschlägen zur Durchsetzung verholfen werden?

Ein Punkt, der immer wieder aufkam, war der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs, ergänzt um moderne Rufbus- und Car-Sharing-Modelle. Auch die Idee, einer stärkeren Kooperation von IG Metall und ver.di für Kampagnen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Verkehrssektor wurde von vielen angesprochen, ebenso der Aufbau neuer, guter Arbeitsplätze in der Daseinsvorsorge, im Gesundheitswesen, in der Pflege. Ich denke, dass es hier genug Ansatzpunkte für lokale Bündnisse gibt, die zum Beispiel die Situation im ÖPNV für die Berufspendler*innen aufgreifen und eine gemeinsame politische Praxis von Klimabewegung und Beschäftigten entwickeln könnten. Es gibt ja durchaus Erfahrungen, auf die man zurückgreifen kann, wie etwa die gemeinsame Kampagne von ver.di und Fridays for Future in der Tarifrunde im Nahverkehr 2020. Letztendlich sind die Probleme natürlich weder lokal noch betrieblich zu lösen, sondern brauchen auch eine Weichenstellung auf der politischen Ebene – so wie es das beim Atom- und Kohleausstieg auch gab, bei aller Kritik, die man an der Umsetzung haben kann. Aber dorthin kommen wir eben nur, wenn es Bewegung an der Basis gibt – gemeinsame Bewegung, über den eigenen Dunstkreis hinaus.

Es gibt unter den Vertrauensleuten, mit denen wir gesprochen haben, ein großes Interesse, gemeinsam mit Fridays for Future etwas auf die Beine zu stellen.

Du hast die IG Metall angesprochen. Die ist nicht gerade ein Motor sozial-ökologischer Umbaupläne, sie unterstützt den Schwenk der Industrie zum Elektroantrieb mit voller Kraft. Hast du eine Idee, wie die Klimabewegung denjenigen Arbeiter*innen, die andere Vorstellungen haben, den Rücken stärken könnte? An wen müsste sie sich überhaupt wenden?

Auch die IG Metall ist kein monolithischer Block, das zeigt unsere Studie nochmal ganz konkret. Auf dem Papier hat sie sogar großartige Positionen – Ausbau des ÖPNV, mehr Verkehr auf die Schiene usw. Strategisch müsste es aus Sicht der Klimabewegung darum gehen, diese Positionen zu stärken, etwa indem man mit potenziellen Verbündeten in der IG Metall das Gespräch sucht und Bündnisse aufbaut. Ich denke dabei nicht so sehr an gemeinsame Erklärungen auf der zentralen Ebene, sondern eher lokal. Es gibt unter den Vertrauensleuten, mit denen wir gesprochen haben, ein großes Interesse, gemeinsam mit Fridays for Future etwas auf die Beine zu stellen. Das ist aber etwas, womit man nicht anfangen kann, wenn nächste Woche eine Demo bevorsteht oder gerade mal eine Kampagne anläuft. Hier geht es eher darum, langfristig Vertrauen aufzubauen, Vorurteile abzubauen und sich einfach mal gegenseitig zuzuhören.

In München, Berg am Laim, protestieren Beschäftigte und Aktive aus der Klimabewegung gegen die mögliche Schließung eines Bosch-Werks, das Teile für Verbrennermotoren produziert. Sie fordern die Umstellung auf klimafreundliche Produkte. Ist das ein Beispiel, wie es weitergehen könnte?

Ja, natürlich, das ist genau der richtige Ansatz. Ob das am Ende erfolgreich sein wird, wissen wir jetzt natürlich nicht. Aber im Prinzip ist das der richtige Weg. Wir brauchen zwei, drei, viele Bergs am Laim.