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Fossilfrei, mit Krankenversicherung

Das Just Transition Listening Project untersucht gesellschaftliche Umbrüche in den USA aus Sicht der Arbeiter*innen

Interview: Juliane Schumacher

Im Hintergrund, vor rauen Wolken, ein großes Kohlekraftwerk in grau, mit zwei Schornsteinen. Durch die Mitte des Bildes führt eine Straße zur Fabrik, an den Rändern kleine Häuser neben parkenden Autos
Eine »faire« Transition wurde Arbeiter*innen in den USA schon oft versprochen, doch meist verschlechterte sich ihre Lage und die ganzer Gemeinschaften. Foto: M. Maggs / Pixabay

Just Transition (»gerechter Übergang«) bezeichnet die klimafreundliche Umstrukturierung westlicher Ökonomien unter Berücksichtigung der betroffenen Arbeiter*innen. Das Just Transition Listening Project – gestartet von Wissenschaftler*innen, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen – befragt in über 100 langen Gesprächen die Arbeiter*innen selbst dazu.

Todd, Vivian und Dimitris, ihr alle habt, zusammen mit Mijin Cha, am Just Transition Listening Project mitgearbeitet. Wie ist die Idee entstanden, Arbeiter*innen aus den USA über ihre Erfahrungen mit Just Transition erzählen zu lassen?

Todd Vachon: Tatsächlich haben wir sie gar nicht zu Just Transition befragt. Der Begriff Just Transition ruft in den USA negative Reaktionen hervor, und die meisten Gewerkschaften vermeiden ihn. Denn die US-amerikanische Wirtschaft ist seit den 1980er Jahren radikal umgebaut worden, und dieser Umbau war eben überhaupt nicht gerecht. Es gab eine massive Deindustrialisierung, und die Arbeiter*innen haben die Erfahrung gemacht, dass der Staat wenig bis nichts tut, um ihnen in dieser Situation zu helfen. Sie sehen es so: »Wir hatten gut bezahlte, sichere Jobs, und jetzt arbeiten wir bei Walmart, ohne Krankenversicherung, ohne Möglichkeit, in Rente gehen zu können.«

Vivian Price: Der damalige Vorsitzende der Gewerkschaft AFL-CIO, Richard Trumka, hat einmal gesagt: »Just Transition ist nur eine schöne Umschreibung für eine Beerdigung.«

(v.l.n.r.) J. Mijin Cha, Vivian Price, Dimitris Stevis, Todd Vachon

Vivian Price, Dimitris Stevis und Todd Vachon

Vivian Price, ehemals Arbeiterin in einer Raffinerie und Gewerkschafterin, ist Professorin an der California State University und Filmemacherin. Dimitris Stevis ist Professor für Politikwissenschaften an der Colorado State University, wo er unter anderem zur Beziehung von Arbeiter*innenbewegungen und Umwelt forscht und ist ebenfalls gewerkschaftlich aktiv. Todd Vachon ist Professor für Arbeitsbeziehungen an der Rutgers University in New Jersey und gewerkschaftlich aktiv.
Ebenfalls am Projekt beteiligt war J. Mijin Cha, Professorin für Umweltwissenschaften an der University of California, Santa Cruz, die seit vielen Jahren in der Environmental Justice Bewegungen aktiv ist.

Ihr habt also allgemein danach gefragt, wie sie Umbrüche in ihrer Arbeit und ihren Communities erlebt haben.

Todd: Genau. Die Idee zu diesem Projekt entstand im Rahmen des Labor Network for Sustainability, das Joe Uehlein und Jeremy Brecher, zwei sehr bekannte Gewerkschaftsaktivisten, 2009 gegründet haben. In den USA gibt es eine Reihe von Gewerkschaftszusammenschlüssen, die zu Klima und Umwelt aktiv sind, wie die Blue-Green Alliance, aber sie setzen auf Green Growth und wollen die heiklen Themen nicht ansprechen. Das Labor Network for Sustainability sagt offen, dass wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen müssen und dass das auch zu Jobverlusten führen wird. Die Idee hinter dem Projekt war zum einen, die Arbeiter*innen selbst ihre Erfahrungen erzählen zu lassen, im Sinne einer Oral History, einer Geschichtsschreibung von unten, und zum anderen, nicht immer nur zu betonen, welche Verluste durch solche Umbrüche entstehen, sondern ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Abkehr von fossilen Industrien oder wirtschaftliche Umbrüche insgesamt gestaltet werden können.

Dimitris Stevis: Wir haben aber nicht nur mit Arbeiter*innen gesprochen, die im Bereich fossile Energie arbeiten. Die Arbeiter*innen kamen aus einer ganzen Bandbreite von Bereichen, auch aus dem Gesundheitssektor und der Landwirtschaft.

War es leicht, Arbeiter*innen zu finden, die bereit waren, ihre Geschichten zu erzählen?

Vivian: Es gab einzelne, die so verbittert waren, dass sie nicht mit uns sprechen wollten. Aber bei den meisten war das Gegenteil der Fall. Sie wollten unbedingt ihre Geschichte erzählen.

Dimitris: Wir haben mit Gewerkschafter*innen gearbeitet und mit Gruppen in Gewerkschaften, etwa von Schwarzen indigenen oder jungen Arbeiter*innen, die uns Gesprächspartner*innen genannt haben. Die haben uns dann oft weitere Interviewpartner*innen empfohlen. Und im Rahmen des Projektes wurden auch die Arbeiter*innen so trainiert, dass sie selbst weitere Interviews führen konnten.

Was hat euch an den Ergebnissen überrascht?

Vivian: Wie weitreichend die Auswirkungen von Ab- oder Umbau von Industrien sind. Die hatten oft verheerende Auswirkungen, nicht nur auf die Arbeiter*innen, sondern auch auf gesamte Communities. Aus den Unternehmenssteuern, die an die Kommunen gehen, wird die soziale Infrastruktur finanziert. In dem Moment, wo ein Unternehmen schließt oder wegzieht, verlieren nicht nur die Arbeiter*innen ihren Job. Lehrer*innen können nicht mehr bezahlt werden, Schulen und Krankenhäuser schließen.

Todd: Überraschend war aber auch, wie stark sich die Arbeiter*innen selbst organisierten, um diese schwierige Situation abzufedern. Wie kreativ sie versucht haben, Lösungen für sich, ihre Familie, die Gemeinschaft zu finden. Als General Motors sein Werk in Lordstown geschlossen hat, haben sich die Betroffenen an ihre Abgeordneten gewandt und dafür gekämpft, ein Just Transition Center aufzubauen. Andere haben Unterstützung für betroffene Familien geleistet, geholfen, kaputte Autos zu reparieren, damit sie zu weiter entfernten, neuen Arbeitsplätzen pendeln konnten. In Massachusetts bildete sich ein Interventionsteam aus den Gewerkschaften, als dort über 100 Arbeiter*innen entlassen wurden. Das Team half ihnen, mit dem Unternehmen zu verhandeln und einen Zugang zu einem Unterstützungsprogramm zu erkämpfen, das ursprünglich geschaffen wurde, um die negativen Auswirkungen von internationalen Handelsverträgen abzufedern.

Gibt es denn auch Beispiele für Umbrüche, die positiv verliefen?

Vivian: Mir fallen zwei ein. Wir haben mit einer jungen Frau gesprochen, die allein mit ihrem Kind war und zum ersten Mal einen Job hatte, von dem sie leben konnte. Als sie den verlor, war sie zuerst verzweifelt. Sie hat während der Transition angefangen, andere zu beraten, und hoffte, dass sie dann langfristig in den Bereich Beratung wechseln konnte, weil der ihr besser lag. Sie hatte das Glück, Unterstützung zu bekommen. Ein anderes Beispiel ist Diablo Canyon, wo die gewerkschaftliche Organisierung schon immer sehr hoch war. Die Gewerkschaften waren stark und hatten zudem strategische Bündnisse geschlossen. Sie konnten sich einen weitreichenden Transition-Plan für all ihre Mitglieder erkämpfen. Und da fast alle gut ausgebildete Elektriker*innen waren, konnten sie in andere, ähnliche Jobs wechseln.

Todd: Wir haben Geschichten aus Massachusetts gehört, wo ein Teil der Arbeiter*innen Gründungszuschüsse bekam. Einer etwa hat einen Spielwarenladen aufgemacht, etwas, das er wirklich liebte. Er hat dort nicht soviel verdient wie zuvor, doch die Lebensqualität war besser. Aber das sind Einzelfälle. Für die meisten bedeutete der Abbau von Industrien Niedergang, persönlich und auch von ganzen Orten. Für jeden dieser wenigen Glücksfälle haben wir unzählige Geschichten gehört von Menschen, die dem Alkoholismus oder der Drogensucht zum Opfer fielen oder gar Selbstmord begingen.

Dimitris: Die USA sind in der Hinsicht ein brutales Land. Die Krankenversicherung, die Rente, das hängt bei den meisten am Job. Wenn sie den verlieren, verlieren sie auch ihre soziale Absicherung.

Spielte internationale Gerechtigkeit eine Rolle? Wie gingen Arbeiter*innen etwa damit um, wenn Jobs ins Ausland verlagert wurden?

Vivian: Die meisten sprachen über ihre eigene Situation und ordneten die nicht unbedingt in internationale Zusammenhänge ein. Anders ist es bei den indigenen Arbeiter*innen, mit denen wir gesprochen haben. Viele von ihnen sind international organisierte Aktivist*innen.

Dimitris: Wir hatten das Thema etwa im Bereich Landwirtschaft. Dort stammen vor allem im Süden der USA sehr viele Arbeiter*innen aus Lateinamerika. Viele Arbeiter*innen hatten Vorurteile und meinten, sie seien keine qualifizierten Arbeitskräfte. Aber dann merkten sie oft, dass sie durchaus fähig und gut ausgebildet waren.

Todd: Die große Abbau-Welle von Industrien in den USA in den 1980er und 1990er Jahren ist mit der Erzählung verbunden, die Arbeitsplätze seien nach China oder Mexiko verlagert worden. Heute spielen sich diese Prozesse innerhalb der USA ab. Unternehmen wandern von den nördlichen Staaten in die südlichen ab: nach Alabama oder Tennessee. Dort sind die Arbeiter*innen schlechter organisiert, die Arbeit ist billiger, Umwelt- und Arbeitsschutzgesetze sind weniger streng.

Transformationen sind keine Ausnahmen, sondern die Norm.

Dimitris Stevis

Welche Erkenntnisse nehmt ihr aus dem Projekt mit?

Dimitris: Zum einen gab und gibt es immer Umbrüche, die ganze Zeit. Diese Transformationen sind keine Ausnahmen, sondern die Norm. Und es lässt sich umso besser damit umgehen, je frühzeitiger begonnen wird, diese Umbrüche vorzubereiten. Jede Art von Just-Transition-Plan, und sei er noch so unzureichend, ist besser, als gar keinen Plan zu haben und dann erst aktiv zu werden, wenn eigentlich alles zu spät ist.

Vivian: Das Zusammenspiel von Umweltaktivist*innen, betroffenen Gemeinschaften, Arbeiter*innen und Staat spielt eine wichtige Rolle. Es gibt jetzt einige Bundesstaaten, die Just-Transition-Pläne haben, die Hoffnung machen – wir haben Leute aus Colorado interviewt, wo sie sich ein Just-Transition-Sekretariat erkämpft haben, angesiedelt im Arbeitsministerium. Die politische Ebene spielt also auf jeden Fall eine Rolle.

Die politische Ebene hat also großen Einfluss.

Dimitris: Genau. Aber genau dort ergeben sich auch die entscheidenden Probleme. Wenn man die Arbeiter*innen fragt, was sie sich für sich selbst und ihre Familien wünschen, dann kamen bei fast allen dieselben Antworten: saubere Luft und eine gesunde Umwelt, sichere Renten, gute Jobs für ihre Kinder, eine gute Krankenversicherung – Krankenversicherung war eine ganz zentrale Forderung. Das sind sozialistische Forderungen. Aber sobald man das sagt, wehren die Leute ab und sagen: »Aber ich bin doch kein Linker!« Wir haben da eine ideologische Barriere, mit der schwer umzugehen ist. Dabei wären genau das die Bedingungen für eine funktionierende Transformation. Dass das soziale Netz so durchlässig ist, macht die Arbeiter*innen verletzlich. Klar mag es in einzelnen Fällen gelingen, für eine feste Gruppe von Arbeiter*innen gute Bedingungen zu erkämpfen oder auszuhandeln. Aber das ändert nicht das große Ganze. In einer ungerechten Gesellschaft kann es keine gerechte Transformation geben.

Juliane Schumacher

ist Wissenschaftlerin und Journalistin mit den Schwerpunkten Umwelt, Klimawandel und soziale Bewegungen.

Übersetzung: Juliane Schumacher

Mehr Informationen zum Just Transition Listening Project finden sich auf der Webseite des Labor Network for Sustainability. Dort kann auch der vollständige Bericht heruntergeladen werden.