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|ak 683 | Soziale Kämpfe

»Streiken heißt nicht Kaffee trinken und Karten spielen«

Warum es sehr anstrengend ist, einen Entlastungstarifvertrag für sechs Unikliniken zu erkämpfen, es sich aber dennoch lohnt, erklärt Intensivpfleger Albert Nowak

Interview: Nelli Tügel

Zwei Personen tragen gemeinsam ein Shirt auf dem steht: Wir können uns nicht teilen.
Der Spardruck an Krankenhäusern, gegen den seit Jahren Beschäftigte kämpfen, resultiert aus den Regeln der Krankenhausfinanzierung. Ändern sie sich nun zugunsten der Beschäftigten? Foto: Notruf NRW

Letztes Jahr in Berlin, jetzt an sechs Universitätskliniken in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens: Beschäftigte verschiedener Professionen streiken unbefristet für einen Tarifvertrag Entlastung, bei dem es nicht nur um die Löhne, sondern auch um die Personalsituation in den Krankenhäusern geht. An diesem Dienstag, den 14. Juni, findet nun ein gemeinsamer Streiktag der sechs Standorte in Bonn statt – ursprünglich war die Aktion in Münster geplant gewesen. Grund für die kurzfristige Verlegung ist ein Angriff der Unternehmerseite: Das Universitätsklinikum Bonn will den Ausstand für illegal erklären; es hat vor dem dortigen Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung gegen den Streik beantragt, die am heutigen Dienstag verhandelt wird. Worum es beim Arbeitskampf genau geht, wie der Streikalltag aussieht und was andere tun können, um die Streikenden zu unterstützen, erläutert Albert Nowak, der in Köln am Uniklinikum streikt.

Ihr streikt in Nordrhein-Westfalen an sechs Unikliniken, inzwischen (Anfang Juni) seit über einem Monat – worum geht’s, was ist euer Ziel?

Albert Nowak: Wir fordern einen Entlastungstarifvertrag für mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Ausbildung. Unser Kernanliegen, mehr Personal, wollen wir über verbindliche Personal-Ratios erreichen; für die Intensivpflege fordern wir beispielsweise ein Pflegekraft-zu-Patienten-Verhältnis von eins zu eineinhalb. Und es soll ein Konsequenzenmanagement geben, wenn diese Ratios unterschritten werden. Das heißt: Wenn sich nicht an die vereinbarte Personalregelung gehalten wird, soll es Belastungspunkte geben, für die die Beschäftigten dann frei bekommen. Wir fordern aber auch Verbesserungen in der Ausbildung, etwa mehr Praxisanleitungsstunden oder ein besseres Lehrenden-Auszubildenden-Verhältnis. Für alle Bereiche, für die wir konkrete Forderungen aufgestellt haben, haben dort arbeitende Kolleg*innen diese selbst entwickelt, weil sie die Expert*innen sind und am besten wissen, was sie brauchen.

Und wie ist der Stand?

Etwa 2000 Kolleg*innen sind jeden Tag im Streik. Er ist unbefristet, das heißt er läuft, bis wir einen unterschriftsreifen Tarifvertrag Entlastung haben – davon sind wir leider noch weit entfernt im Moment. Wir hatten vor unserem Streik der Landesregierung ein hunderttägiges Ultimatum gestellt, das sie hat verstreichen lassen, obwohl sich schon damals mehr als 12.000 Beschäftigte in einer Petition hinter die Forderungen gestellt haben. Die Arbeitgeber sagen (zum Zeitpunkt des Gesprächs am 7. Juni, Anm. der Redaktion), wir würden seit zwei Wochen verhandeln, aber so empfinden meine Kolleg*innen und ich das nicht – unsere Seite ist in den Gesprächen sehr klar und gut vorbereitet, wir wissen, was wir wollen und können es auch mit vielen Studien und Zahlen begründen; von den Arbeitgebern gab es bisher dagegen kein einziges Angebot, über das verhandelt werden könnte. Der Knackpunkt ist die ungeklärte Finanzierung.

Habt ihr damit gerechnet, dass der Streik so lange dauern wird – ist das Thema unter den Streikenden?

Natürlich spielt das eine Rolle, wir machen uns darüber Gedanken – beispielsweise sind viele der Streikenden Alleinerziehende und so ein Arbeitskampf ist echt auch eine Mehrbelastung. Zudem ersetzt das Streikgeld nicht zu hundert Prozent den Lohn – so ein wochenlanger Streik geht nicht spurlos an einem vorbei, egal ob man draußen steht oder den Notdienst schiebt. Streiken heißt nicht, die ganze Zeit am Streikzelt zu sitzen, Kaffee zu trinken und Karten zu spielen. Aber: Wir wissen, wofür wir es machen, das ist unsere Chance, das Leben von uns und so vielen anderen Menschen positiv zu beeinflussen. Deshalb gibt es auch einfach eine krasse Entschlossenheit.

Wie sieht denn euer Streikalltag aus, wenn ihr nicht die ganze Zeit Karten spielt?

Es gibt unterschiedlichste Aufgaben, ich skizziere es jetzt mal nur grob für den Standort, an dem ich streike: Wir haben ein Schichtsystem für die Streikleitung eingeteilt, um 5.30 Uhr bauen wir den Streikposten auf, dann wird – hier kommt er dann doch ins Spiel – Kaffee gekocht für die Kolleg*innen, die zum Frühdienst kommen, zwischen 6 Uhr und 6.30 Uhr melden sich die Streikenden an, wir teilen die Notdienste – auf die wir uns in Notdienstvereinbarungen, gegen die es von Arbeitgeberseite auch Widerstände gab, geeinigt haben, um die Notfallversorgung zu gewährleisten – ein. In einer so großen Klinik ist das schon ein ganz schöner organisatorischer Aufwand. Vormittags und mittags haben wir dann politisches Programm, zum Beispiel Workshops, es gibt aber auch Sportangebote; oder wir gehen in die Klinik rein und reden mit Kolleg*innen auf Stationen, die noch nicht so gut organisiert sind. Wir führen natürlich auch öffentlichkeitswirksame Aktionen durch, um mit unserem Anliegen in die Medien zu kommen und die Stadtgesellschaft zu erreichen. Manchmal kommen Künstler*innen vorbei, oder andere solidarische Menschen. Ab Mittag wird dann der Spätdienst geklärt, da geht das ganze quasi von vorne los. Der Tag endet damit, dass auch der Notdienst für die Nacht besetzt wird und wir gegen 23 Uhr nach Hause können. In Köln kommt noch dazu, dass hier auch die Verhandlungen stattfinden, das heißt, wir müssen vor Ort die Struktur und Organisation für die Kolleg*innen aus den anderen Standorten stellen. Es ist auf jeden Fall immer was los.

Intensivpfleger Albert Nowak Foto: privat

Albert Nowak

ist 24 Jahre alt und arbeitet als Intensivpfleger an der Uniklinik Köln. Derzeit ist er freigestellter Jugendauszubildendenvertreter. Er ist außerdem aktiver Gewerkschafter und Mitglied der Tarifkommission.

Ist der Streik denn, zum Beispiel in Köln, auch Stadtgespräch?

Ja voll. Es könnte natürlich noch mehr sein, aber wir sind schon auch sehr bemüht, die Stadtgesellschaft miteinzubeziehen. Auch, weil wir denken, dass es alle was angeht: Es sind ja nicht nur unsere Arbeitsbedingungen, die besser werden sollen, sondern damit auch die Gesundheitsversorgung in der Stadt. Viele Bündnisse und Vereine waren schon da, manche bringen Kuchen mit, einige Kölner Kneipen haben eine Bierdeckelaktion zur Unterstützung des Streiks gemacht und mit »Profite schaden Ihrer Gesundheit« haben wir ein starkes Bündnis, welches uns immer wieder unterstützt.

Wie schon in Berlin beim Streik der dortigen Krankenhausbewegung, ist auch euer Streik sehr von unten aufgerollt, mit gläsernen Verhandlungen beispielsweise – warum ändern sich jahrzehntelang eingeschleifte Gewerkschaftsroutinen ausgerechnet im Krankenhausbereich?

In Deutschland wird die Gewerkschaft oft wie ein Dienstleister betrachtet, nach dem Motto: Ich schicke da mein Geld hin und dafür machen die was für mich. Aber so ist es nicht: Sie ist mein Werkzeug, als arbeitender Mensch meine Interessen durchzusetzen. Und ich glaube, im Krankenhausbereich ist die Not einfach sehr groß, deswegen war eine Schlussfolgerung hier, es selbst zu machen. Das ergibt ja auch Sinn: Warum soll ich beispielsweise einen Juristen etwas verhandeln lassen, wenn er keine Ahnung vom Krankenhaus hat. Deswegen besteht unsere 75-köpfige Tarifkommission aus Kolleg*innen aus unterschiedlichsten Bereichen und wir haben zusätzlich noch gewählte Teamdelegierte aus allen Teilen der Kliniken, die die Verhandlungen rückkoppeln und auch mitverhandeln.

Wie können solidarische Menschen euch unterstützen, damit ihr gewinnt?

Wenn man vor Ort ist: vorbei kommen zum Streikposten, mit uns ins Gespräch kommen, wir freuen uns über Besuch! Wer nicht vor Ort ist: Medien anschreiben und auf das Thema hinweisen, damit wir auch mehr überregionale Aufmerksamkeit bekommen; Landespolitiker*innen anschreiben, damit der Druck wächst, die Finanzierung unserer Forderungen bereitzustellen, denn das ist eine politische Frage. Wenn man in einem Verein oder einer Gruppe ist: kurz ein Video aufnehmen, in dem ihr eure Unterstützung kundtut – das gibt uns viel Kraft!

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.