Linksjugend: Streit um Antizionismus
In der Linkspartei sorgt der einseitige Beschluss der Parteijugend für Zwist, eine differenzierte Debatte hätte beiden Seiten gut getan
Von Peter Ullrich
Eigentlich schien die Linkspartei im Israel-Palästina-Konflikt auf dem richtigen Weg. Trotz aller Widersprüche wagte sie sich beim Thema aus der Deckung und organisierte einen der größten Proteste zu Gaza in Deutschland mit. Die Partei hat sich von abstrakter Äquidistanz fortbewegt, ohne auf einen Radau-Antizionismus einzuschwenken: im Gegensatz zu ihrer Parteijugend, der Linksjugend Solid, die mit einem neuerlichen Beschluss auf ihrem Bundeskongress zum Nahostkonflikt für Kontroversen sorgt, nicht nur in der Linkspartei.
Die Neuorientierung der Partei und die klare palästinasolidarische Positionierung des Jugendverbandes hängen sowohl mit der Lage in Gaza, als auch in Deutschland zusammen: zunehmende Offensichtlichkeit der genozidalen Verbrechen Israels, Empathie mit dem Leid der Palästinenser*innen, das autoritäre Vorgehen gegen Proteste und die Unmöglichkeit offener Debatte hierzulande, dazu die (wahlrelevante) Ablehnung von Israels Vorgehen beim Großteil der deutschen Bevölkerung und die neue Zusammensetzung der größer werdenden Partei bzw. ihres Wähler*innenpotenzials. Dies zeigte zuletzt die Demonstrationsbefragung bei der »All-eyes-on-Gaza«-Demonstration des Institut für Protest- und Bewegungsforschung, das dort überwiegend Linke-Wähler*innen antraf.
Die Mutterpartei hält, anders als die Bewegung auf der Straße und mit ihr tendenziell die Parteijugend, weiter an der Zwei-Staaten-Lösung fest. Diese »Lösung« muss inzwischen aber mehr als eine symbolische Markierung eines menschenrechtlichen Universalismus gelesen werden; als realistische Analyse der Konfliktentwicklungen taugt sie kaum noch. Deshalb droht sie auch zum bloßen Bekenntnis zu verkommen, das seine Affinität zur Staatsräson als Ballast mit sich schleppt.
Zur Findung einer Position forderte die Linksjugend Solid deshalb einen kritischen Blick zurück. Und sie hat damit recht: Wie konnte es sein, dass viele so lange schwiegen und auch dann nicht handlungsfähig wurden, als Intention und Resultate des israelischen Feldzugs längst nicht mehr als berechtigte Reaktion auf den Hamas-Angriff gedeutet werden konnten? Wie sehr ist die Staatsräson auch in Teilen der Linken verinnerlicht oder wirkt einschüchternd, so dass es sehr schwer ist, dem Druck der politischen Klasse und der Medien standzuhalten?
Die Debatte betrat nicht nur eine linke Arena, sondern die der allgemeinen, vergifteten Antisemitismusdiskussion mit all ihren autoritären Aspekte.
17 Bundestagsabgeordnete der Linken forderten dagegen in einem Schreiben die Maßregelung des Jugendverbandes angesichts dieses Beschlusses und spannten sich damit selbst vor den Karren der exklusiv und erstaunlich schnell »berichtenden« Springerpresse. Auch die Vorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner richteten sich in einer Erklärung gegen Solid und das nach mehreren Berichten offensichtlich auch einschüchternde Debattenklima auf dem Bundeskongress. Den Kern der Solid-Analyse stattdessen auch kritisch auf sich selbst zu beziehen, wäre wohl zu weit gegangen. Die Debatte driftet so wieder in alte Muster ab. Sie betrat nicht nur eine linke Arena, sondern die der allgemeinen, vergifteten Antisemitismusdiskussion mit all ihren autoritären Aspekten.
Trotz der richtigen Fragen, die der Solid-Beschluss stellt, steht er in mancher Hinsicht allerdings zu Recht in der Kritik. Er liest sich stellenweise wie eine zeitgenössische Karikatur sektiererisch-antiimperialistischer Deutungsschablonen. Die Zionismusinterpretation (Rassismus, Kolonialismus) des Papiers ist so richtig wie einseitig und wird der Komplexität und Tragik des Zionismus als (auch!) eine Befreiungsbewegung nicht gerecht. Das »Volk« wird im Beschluss wieder zum zentralen Subjekt von Unterdrückung wie Befreiung (als hätte es nie eine Kritik des Befreiungsnationalismus gegeben). In ebenso wenig nachvollziehbarer Traumtänzerei wird die Befreiung Palästinas als Teil einer »demokratischen und sozialistischen Revolution« in der Region betrachtet, die »Imperialismus und Kapitalismus aus der Region herauswirft«. Wer diese Bewegungen sein und wo diese Revolution stattfinden sollen, wissen wohl auch die Verfasser*innen des Statements nicht. Dass hier auch reaktionärste Akteure mit gemeint sein könnten, ist als unfreundliche Interpretationsmöglichkeit zumindest angelegt.
Das alles ist kein Grund für Kampagnen zusammen mit den »Organe(n) der Niedertracht« (Max Goldt). Es sollte wohl aber Anlass sein, ein Politikkonzept, das mehr Wille als Wirklichkeit kennt und teils gefährlich ist, in aller Klarheit zu kritisieren.