Israel: Zionismus als Befreiungsnationalismus?
Von Lucas Kaufmann
Drei Entwicklungen waren Mitte des 19. Jahrhunderts für die Entstehung des Zionismus als heterogene Ideologie maßgeblich: das Aufkommen nationalstaatlicher Bestrebungen in Europa, die Haskala (jüdische Aufklärung) und der beständig wütende Antisemitismus. Ersteres brachte zumindest in West- und Mitteleuropa eine temporäre und lokalrechtliche Emanzipation der jüdischen Bevölkerung mit sich. Zweiteres beförderte die Bestrebungen der Integration in ent- und bestehende Nationalstaaten Europas, aber gleichzeitig auch die Rückbesinnung und Stärkung auf die »ethnischen« Komponenten des Judentums, gerade im jüdischen Ansiedlungsrayon des Zarenreichs. Letzteres, verdeutlicht durch den Übergang von tradiertem Antijudaismus zum modernen Antisemitismus, zeigte das Scheitern von Assimilation und Akkulturation auf und beförderte die Entwicklung eines neuen Lösungsansatzes.
Ein früher Vordenker eines explizit auch sozialistischen Zionismus war Moses Hess (1812–1875). Er sah in der Schaffung eines demokratisch-sozialistischen Staates einen notwendigen Zwischenschritt zur universellen Befreiung und Überwindung des Antisemitismus. Nachman Syrkins (1868–1924) sozialistischer Zionismus war darüber hinaus eine Reaktion auf den innersozialistischen Antisemitismus genauso wie gegen den kapitalistischen Status Quo gerichtet. Er forderte die Selbstbefreiung der jüdischen Gemeinschaft, auch in Zusammenarbeit mit anderen unterdrückten Minderheiten des Osmanischen Reiches. Statt der Schaffung eines Volkssozialismus, wie er Syrkin vorschwebte, forderte Ber Borochov (1881–1917) eine jüdische Nationalstätte nicht nur als Zuflucht vor dem Antisemitismus, sondern auch als Basis für den Klassenkampf, welcher auf Nationen angewiesen sei. Diese Ausprägungen zionistischer Ideologie, wie auch die anderen politischen oder kulturellen, stellen Befreiungsnationalismen dar, wahlweise gegen Imperialismen, aber immer gegen den Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaften.
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