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|ak 704 | Ökologie

Mehr Klassenkampf, mehr Sabotage?

Mit dem Sammelband »Kipppunkte« hat Manuel Grebenjak eine spannende politische Selbstreflexion der Klimabewegung veröffentlicht

Von Anselm Schindler

Mehrere Aktivist*innen in Maleranzügen und mit grünen Masken und Halstüchern sitzen auf Baggern und Röhren
Pipelines demolieren oder erstmal abwarten – wie geht es weiter mit der Klimabewegung? Foto: Fabian Steffens

Je mehr die Erderhitzung sich beschleunigt, je schneller das Klimasystem auf unumkehrbare Kipppunkte zusteuert, desto schlechter scheint es der Bewegung zu gehen, die diesen Prozess aufhalten will. »Die Klimabewegung ist in der Krise«, schreibt Manuel Grebenjak im Vorwort zu seinem Buch, das nach diesen ökologischen Schwellen benannt ist: »Kipppunkte«. Als Klimaaktivist interessiert ihn: »Wie kommen wir aus der Negativspirale raus?«

Als Grebenjak anfing, sich Gedanken über das Buch zu machen und Organisationen um Beiträge anzufragen, dachte er an rund 200 Seiten. Es sind fast 400 geworden, und heute würde er so ein Buch nicht mehr allein herausgeben, sagt er gegenüber ak. Von der Länge sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. Denn Grebenjak ist mit »Kipppunkte« ein sehr guter Überblick über die derzeitige Klimabewegung gelungen – und über die Debatten, die in und zwischen verschiedenen Organisationen in der Bewegung geführt werden. Das Buch umfasst Beiträge von rund 70 Leuten aus verschiedenen Teilen der Klimabewegung, die von Grebenjak in einem Vorwort und einem Ausblick eingeordnet werden.

Grebenjak zeichnet die Entwicklung der Klimaproteste anhand der Analogie von vier Jahreszeiten nach. Wie jede Bewegung habe die Klimabewegung vor einigen Jahren einen Frühling erlebt, in dem neue Ideen aufkamen, Leute zusammentrafen und viel Energie und Tatendrang da war. Es war die Zeit, in der Greta Thunberg und andere begannen, freitags die Schule zu bestreiken und sich mit Pappschildern vor öffentliche Einrichtungen zu setzen, um Klimagerechtigkeit zu fordern. In diesem Frühling der Klimabewegung gründeten sich in vielen Städten auch Ortsgruppen von Ende Gelände, um es mit dem Kohlekonzern RWE aufzunehmen. Die Bewegung wurde radikaler und langsam größer.

Auf den Bewegungsfrühling folgte der Sommer, die Bewegung erblühte: Im September 2019 gingen beim globalen Klimastreik von Fridays For Future allein in Deutschland fast eineinhalb Millionen Menschen auf die Straße – an mehr als 500 Orten. Wenige Wochen zuvor hatte Ende Gelände mit mehr als 5.000 Menschen das Lausitzer Braunkohlerevier besetzt und den Betrieb zumindest zeitweise lahmgelegt. Daneben wuchsen aber auch andere Organisationen wie Extinction Rebellion, Wälder wurden besetzt und viele lokale Initiativen gegründet.

Was macht eine Bewegung im Winter?

Der Herbst begann vielleicht in dem Moment, als die deutsche Bundesregierung – nicht zuletzt auch als Reaktion auf Fridays For Future – ein Klimapaket beschloss, das den Namen nicht verdient und die Hoffnung vieler junger Klimaaktivist*innen zerstreute, man könne die Regierungspolitik von der Straße aus mitgestalten. Spätestens mit der Corona-Pandemie kam der Winter, die Mobilisierung brach ein.

Der Winter dauert jetzt schon ganz schön lange an. Und macht es auch erforderlich zu reflektieren. Der Winter schafft aber auch Spielräume, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wo die Bewegung steht. Genau das hat Manuel Grebenjak getan.

Generell brauchen wir viel mehr Militanz und Sabotage.

Tatjana Söding

Auf den Winter wird der nächste Frühling folgen. Und die ersten Schneeglöckchen blühen schon, um im Bild zu bleiben. Eines der Schneeglöckchen ist die Zusammenarbeit von Klimaaktivist*innen mit gewerkschaftlich aktiven Busfahrer*innen. In Deutschland wird das unter dem Kampagnen-Namen »Wir Fahren Zusammen« versucht, in Österreich unter dem Slogan »Wir Fahren Gemeinsam«, die Idee: Die Klimabewegung mit Arbeitskämpfen im Öffentlichen Nahverkehr verbinden, um Druck für eine sozial gerechte Mobilitätswende zu machen. Ein Konzept, das an den Diskurs der neuen Klassenpolitik anknüpft. Dieser Ansatz erkennt an, dass die Organisierung von Menschen an ihrem Arbeitsplatz ein entscheidender Hebel ist, um das Kapital und darüber vermittelt die bürgerliche Politik unter Druck zu setzen.

Neben der Entwicklung in die Breite, mit der Organisationen in der Klimabewegung versuchen, andere Menschen zu erreichen, gibt es aber auch eine Entwicklung in der Eskalation der Aktionsformen. Sie klingt in »Kipppunkte« in einem Gespräch mit Andreas Malm und Tatjana Söding an, die beide unter anderem bei der ökosozialistischen Forschungsgruppe Zetkin Collective aktiv sind. Es geht um massenhafte Sabotage, etwa Aktionen wie die im französischen Sainte-Soline, wo viele tausend Menschen im März 2023 Wasserreservoirs von Agrarkonzernen sabotierten – oder die Zerstörung von Pipelines.

Die Vorteile der Militanz

»Generell brauchen wir viel mehr Militanz und Sabotage«, sagt Tatjana Söding in einem Interview, das Grebenjak für das Buch geführt hat. Wobei sich die Aktionen immer gegen die großen Player des fossilen Kapitalismus richten müssten. Aber schreckt das nicht ab? Mag sein, zugleich gebe es aber den »radical flank effect«, also den Effekt dass die radikale Flanke einer Bewegung andere Teile der Bewegung moderat erscheinen lasse, wodurch sich der Diskurs verschiebe und mehr Handlungsfähigkeit entstehe. Wer gestern erst im Fernsehen einen Bericht über aufgebohrte Pipelines gesehen hat, wird den Streik der Busfahrer*innen wahrscheinlich weniger schlimm finden.

Die Zusammenarbeit mit Gewerkschafter*innen und die Sabotage von Pipelines sind aber nur zwei Konzepte von vielen, die im Buch diskutiert werden. »Kipppunkte« bildet die Diversität der Klimagerechtigkeitsbewegung recht gut ab, zumindest was den deutschsprachigen Kontext betrifft. Es reicht von großen NGOs über kleine Bürger*inneninitiativen bis zu radikalen Gruppen. Grebenjak beschreibt die Bewegung(en) als »Ökosystem«, weil sich wie in der Natur verschiedene Organisationen und unterschiedliche bis widersprüchliche Ansätze ergänzen. Das ist ein schönes Bild, andererseits ist Harmonie nicht alles und die Unfähigkeit der Klimagerechtigkeitsbewegung, länderübergreifend Druck und Gegenmacht aufzubauen, wirft Fragen auf.

Die kleinteiligen, dezentralen und auf Konsensentscheidungen fokussierten Methoden, die die Bewegung derzeit bestimmen, erschweren es uns offenbar, effizient und strategisch geschickt zu arbeiten – oft geht Energie dadurch verloren, dass Koordination fehlt und Menschen aneinander vorbei arbeiten. Hier braucht es neue Ansätze. An dieser Stelle kommt aber auch Grebenjak nicht weiter, er entwickelt im Ausblick des Buches zwar recht interessante Zukunftsszenarien, in denen Klimaaktivist*innen beim Katastrophenschutz helfen und massenhafter ziviler Ungehorsam gegen Banken dazu führt, dass sie sich aus fossilen Geschäften zurückziehen. Die Frage, wie das alles koordiniert werden soll, beantwortet er nicht. Stattdessen macht er Hoffnung auf Veränderungen durch neue ökosoziale Parteien in den Parlamenten. Das aber ist ein mindestens fragwürdiger Ansatz – einen Grund, warum diese Parteien einen anderen Weg gehen sollten als die Grünen, nennt Grebenjak nicht. Lesenswert ist das Buch aber trotzdem.

Anselm Schindler

ist im Netzwerk Defend Kurdistan und bei der Kommunistischen Partei Österreich (KPÖ) aktiv und schreibt regelmäßig zu internationalen Konflikten.

Manuel Grebenjak (Hg): Kipppunkte. Strategien im Ökosystem der Klimabewegung. Unrast Verlag, Münster 2024. 400 Seiten, 22 EUR.