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| Soziale Kämpfe

Der Streik bei Spargel Ritter

Der wilde Streik der rumänischen Feldarbeiter*innen in Bornheim zeigt, dass auch im System rassistischer Überausbeutung Kämpfe möglich sind

Von Alice Claire, Christian Frings und John Malamatinas

Streik bei Spargel Ritter: Kundgebung vor den Containterunterkünften am 18. Mai. Foto: John Malamatinas

Am Freitag, den 15. Mai, legte ein Teil der 250 Saisonarbeitskräfte der Firma Spargel Ritter in Bornheim (Nordrhein-Westfalen) die Arbeit auf den Spargel- und Erdbeerfeldern nieder und informierte die Lokalpresse. Die Betriebsleitung rief die Polizei, aber der Einschüchterungsversuch misslang. Der Streik fand ein breites Echo in den Medien. 

Die Arbeiter*innen sind wütend, weil nur lächerlich niedrige Löhne von 100 bis 250 statt der versprochenen 1.500 bis 2.000 Euro ausgezahlt wurden und weil sie auf unmenschliche Weise in einem Containerlager, das idyllisch zwischen Friedhof und Kläranlage auf billigstem Baugrund liegt, untergebracht sind. Wegen des Streiks wurde ihnen sofort mit der vorzeitigen Kündigung und dem Rauswurf aus den Unterkünften gedroht.

Die Firma Spargel Ritter befindet sich seit dem 1. März, anderen Quellen zufolge sogar schon seit Januar, in der Insolvenz und wird jetzt von der Anwaltskanzlei Andreas Schulte-Beckhausen in Bonn geleitet. Von ihr wurden im April sowohl ausländische Saisonarbeiter*innen wie deutsche Hilfskräfte eingestellt, ohne sie darüber zu informieren, dass sich die Firma in der Insolvenz befindet. Ganz offensichtlich versucht der Insolvenzverwalter mit allen Mitteln, die Firma für einen neuen Investor attraktiv zu machen.

Schriftzug in der Nähe der Containterunterkünfte. Foto: John Malamatinas

Der Protest ging am Montag, den 18. Mai, mit einer von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU organisierten Kundgebung an den Unterkunftscontainern weiter, zu der etwa hundert Unterstützer*innen kamen. Vor allem die Arbeiterinnen protestierten in beeindruckenden und wütenden Reden gegen ihre Ausbeutung. Anschließend demonstrierten alle gemeinsam zu dem nahegelegenen Betriebshof der Firma, wo angeblich einigen der ausstehende Lohn gezahlt werden sollte. Dort wurden die Arbeiter*innen allerdings von einer Polizeikette und aggressiven Sicherheitsleuten erwartet. Schnell wurde klar, dass die Strategie des Insolvenzverwalters darin besteht, die Beschäftigten zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen: Einigen wurden 600 Euro, anderen nur 50 oder 70 Euro ausbezahlt. Erst die Polizei konnte gegen die Security-Leute durchsetzen, dass bei den Auszahlungen ein von der FAU hinzugezogener Anwalt dabei sein konnte.

Während die Isolation der Wanderarbeiter*innen meist dazu führt, dass diese Überausbeutung weitgehend ignoriert wird, konnte der Bornheimer Fall bundesweit Aufsehen erregen. Der Montag war ein schwieriger Tag, wie die FAU Bonn twitterte: »Ein krasser Tag geht zuende. Auch wenn wir mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein können: Dass überhaupt Löhne von ein paar hundert Euro bezahlt wurden, ist eine Panikreaktion des Klassenfeindes. Morgen ist Runde 2.«

Am Dienstag trafen sich die Feldarbeiter*innen und Solidarisierende zu einer weiteren Kundgebung, diesmal in der Bonner Innenstadt, direkt vor dem Büro des Insolvenzverwalters. Von dort ging es zum rumänischen Generalkonsulat, wo eine Delegation von zehn Arbeiter*innen empfangen wurde. Der Konsul mahnte die Arbeiter*innen zu Ruhe und Besonnenheit. Sie sollten zu ihren Unterkünften zurückkehren und abwarten – denn der Konsul stehe mit der rumänischen Arbeitsministerin Violeta Alexandru in Kontakt, die sich zu diesem Zeitpunkt auf Einladung der deutschen Agrarministerin Julia Klöckner in Berlin befinde. Ihre zweite Station nach Berlin sei zufälligerweise sowieso Bonn, so der Konsul, wo sie sich mit dem Bauernverband treffen würde.

Mittwoch tauchte die Ministerin dann tatsächlich bei den Unterkünften auf. Nach einem langen Gespräch mit den rumänischen Arbeiter*innen – bei dem keine Gewerkschaftsvertreter*innen zugelassen waren – verkündete sie, dass »alles geregelt« sei: Der Insolvenzverwalter hätte ihr zugesichert, die Zahlungen voranzutreiben, und ihr Ministerium würde die kostenlose Rückkehr nach Rumänien oder, in Absprache mit dem deutschen Bauernverband, den Wechsel in einen anderen Betrieb organisieren. 

Nach ihrer Abfahrt holten Busse Gruppen von jeweils zehn Arbeiter*innen zur Auszahlung an einem unbekannten Ort ab. Die Unterstützer*innen konnten aber zusammen mit den Arbeiter*innen durchsetzen, dass bei allen Auszahlungen ein Rechtsanwalt und Dolmetscher*innen dabei waren, nur mussten sie zuvor ihre Handys abgeben. 

Erdbeertunnel im Betrieb Spargel Ritter – Arbeiter*innen und Hilfskräfte retten ein paar Erdbeeren. Foto: John Malamatinas

Da diesem dubiosen Auszahlungsverfahren nicht zu trauen war, fuhren Unterstützer*innen den Bussen zu den »unbekannten Orten« hinterher, woran eine sichtlich desorientierte Polizei sie teilweise zu hindern versuchte. Es kam zu absurden Verfolgungsjagden in Wildwestmanier über die Erdbeerfelder, bis die Busse dann auf irgendeinem Feld in der brennenden Sonne anhielten und Lohnzahlungen stattfanden. Der Rechtsanwalt sorgte dafür, dass die Arbeiter*innen keine Aufhebungsverträge unterschrieben, und viele erteilten ihm die Vollmacht, ihre Lohnansprüche gerichtlich zu überprüfen. Die FAU formulierte es am Mittwochabend so, dass das Minimalziel erreicht worden sei. 

Systematische Spaltung

Dass sich nicht alle der Arbeiter*innen aus Rumänien und einige wenige aus Polen an dem Streik beteiligten, beruht auf der Spaltung durch unterschiedliche Verträge. Die Arbeiter*innen mit Verträgen bis September statt nur bis Juni und mit dem Versprechen auf höhere Löhne sahen durch den Streik ihre Arbeitsverträge gefährdet und kritisierten die entstandene Unruhe. 

Neben den ausländischen Saisonarbeitskräften wurden seit Ende April etwa 200 aus Deutschland stammende Hilfskräfte eingestellt. Wie uns ein Arbeiter aus dieser Gruppe berichtete, wird sie als »deutsches Team« bezeichnet, obwohl die Leute aus allen möglichen Ländern kommen, nur eben ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Es ist eine bunt gemischte Truppe – junge Leute, die dem Aufruf gefolgt sind, »unseren« Bauern zu helfen, damit die Ernte nicht verkommt, und Menschen, die wegen Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit einfach dringend das Geld brauchen. Anders als die Arbeiter*innen aus Osteuropa werden sie nicht im Akkord, sondern für Zeitlohn beschäftigt und bekommen ein paar Cent mehr als den Mindestlohn von 9,35 Euro, um so schon mal die rassistische Differenzierung zu markieren. Aber natürlich auch, weil die ungeübten Hilfskräfte aus Deutschland das für die Arbeiter*innen aus Osteuropa übliche Arbeitstempo gar nicht schaffen würden.

Bei der Arbeit werden die »deutschen« und »rumänischen« Kolonnen – so die rassistische Sprachregelung der Bosse und Antreiber – in den Erdbeertunneln strikt getrennt gehalten, sie laufen sich bei der Abgabe der vollen Kisten aber schon über den Weg.

Bei der Arbeit werden die »deutschen« und »rumänischen« Kolonnen – so die rassistische Sprachregelung der Bosse und Antreiber – in den Erdbeertunneln strikt getrennt gehalten, sie laufen sich bei der Abgabe der vollen Kisten aber schon über den Weg. Allerdings scheitert die Kommunikation in der Regel an der Sprachbarriere. Am Freitag fiel zwar auf, dass die »rumänischen« Kolonnen fehlten, aber erst ab Samstag schien sich auch im »deutschen Team« herumgesprochen zu haben, dass ihre Kolleg*innen streiken. Nachdem das »deutsche Team« am Samstag und Montag weitergearbeitet hatte, wurde es am Dienstag für einen Tag nach Hause geschickt, mit der Begründung, dass die Situation zu hitzig sei. 

In den vergangenen Wochen häuften sich die Berichte über miserable Arbeits- und Lebensbedingungen von Feldarbeiter*innen und Arbeiter*innen in deutschen Schlachthöfen. Anlass sind vor allem die unmenschlichen Lebensbedingungen, denen die Arbeiter*innen ausgeliefert und die in der aktuellen Corona-Situation durch den fehlenden Schutz vor Infektionen noch bedrohlicher sind. Während Deutschland seine gering bleibenden Fallzahlen feiert, ist es dementsprechend nicht verwunderlich, dass Infektionen gerade an den Orten ausbrechen, an denen Menschen unter besonders prekären Bedingungen wohnen und arbeiten. Die Flüchtlingsunterkunft in Sankt Augustin, der Schlachthof in Dissen und ein verstorbener rumänischer Feldarbeiter in Baden-Württemberg sind Beispiele für diese skandalösen Zustände.

Ein Transparent wird spontan gesprayt beim Hof von Spargel Ritter. Foto: John Malamatinas

Ein wilder Streik, von dem wir viel lernen können

Die rumänischen Feldarbeiter*innen waren zunächst auf sich allein gestellt. Ihr Aufschrei rief solidarische Linke auf den Plan – allen voran die FAU. IG BAU? DGB? Landtagsabgeordnete? Fehlanzeige! Mit kaum Geld und wenig Ressourcen schaffte es die FAU Bonn, trotz schwieriger Übersetzungsverhältnisse, die Arbeiter*innen bei jedem Schritt zu unterstützen – ein Paradebeispiel konkreter Solidarität.

Dieser Kampf zeigt vor allem, dass sich auch Prekäre und Unorganisierte wehren können. Diese Erfahrung gibt Mut für die Zukunft. Und es bleibt abzuwarten, ob diejenigen, die jetzt über den Bauernverband an andere Höfe vermittelt wurden, nicht den Streikvirus auf andere Felder tragen. In Rumänien haben alle großen Tageszeitungen über den Streik in Bornheim berichtet. Auch das könnte das Selbstbewusstsein und die Anspruchshaltung der Saisonarbeiter*innen stärken.

In der Corona-Krise werden angesichts der Infektionsgefahr zahlreiche gesellschaftliche Missstände zum Thema, die schon vor Corona desaströs waren, aber jahrelang im Verborgenen blieben. Es ist klar, dass in einer Krisensituation die Belastungen und Zumutungen erst mal individuell mit sich selbst ausgemacht werden. Aber in verschiedenen Sektoren finden aktuell widerständige Mikroprozesse statt, die sich leicht zu kollektiven Kämpfen entwickeln können. In manchen Fällen kommen diese eher zusammen, in anderen gibt es viele Barrieren, wie etwa die Spaltungen und Hierarchien, die es zu durchbrechen gilt.

Alice Claire

ist Aktivistin aus Köln und organisiert bei Beyond Europe.

Christian Frings

ist Aktivist, Autor und Übersetzer (u.a. von David Harvey).

John Malamatinas

ist freier Journalist in Berlin, Brüssel und Thessaloniki.

Inzwischen gibt es auch eine englische Übersetzung und eine italienische Übersetzung des Artikels.

Anmerkung:
1) Pressekonferenz der FAU Bonn am 22.05.2020 zum Streik in Bornheim.