Wie kämpfen gegen Zwangsarbeit?
Immer mehr Kommunen führen eine Arbeitspflicht für Asylsuchende und Bürgergeldberechtigte ein – dagegen lässt sich etwas tun
Von Lotte Laloire

Zwangsarbeit gilt eigentlich als geächtet. Nicht so in der CDU. Seit einer Weile versucht die Partei, Asylsuchende und Bürgergeldberechtigte zum Arbeiten zu verpflichten. Für 80 Cent pro Stunde sollen sie Grünflächen beackern, Alte pflegen, in EDV-Abteilungen helfen oder andere Tätigkeiten für Kommunen verrichten, die der Allgemeinheit dienen. Wer sich weigert, dem drohen Leistungskürzungen.
Beschlossen wurde die Arbeitspflicht für Bürgergeldberechtigte im vergangenen Dezember in Mecklenburg-Vorpommerns Hauptstadt Schwerin – auf Antrag der CDU, die dafür eine Vorlage der AfD genutzt hatte; umgesetzt ist der Beschluss noch nicht. Als Vorbild genannt wurden die Thüringer Landkreise Saale-Orla und Greiz. In Greiz herrscht die Pflicht für Asylsuchende seit September 2024. Im brandenburgischen Barnim haben CDU und AfD diese im März für Asylsuchende und Bürgergeldberechtigte beschlossen, der SPD-Landrat will sie umsetzen. Ebenso in Kornwestheim in Baden-Württemberg.
Im Wahlkampf forderte die CDU, zum Beispiel ihr Generalsekretär Carsten Linnemann, dieses Modell bundesweit für Bürgergeld einzuführen. »Wer arbeiten kann und das gleichwohl nicht tut, kann nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für ihn aufkommt«, sagte auch Thorsten Frei, der inzwischen Kanzleramtschef ist.
Was er nicht sagte: Diese Gruppe ist verschwindend klein. Während Asylsuchende meist deshalb nicht arbeiten, weil sie mit Arbeitsverboten belegt sind, sind von rund 5,6 Millionen Bürgergeldberechtigten fast 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren, sie dürfen gar nicht arbeiten. Eine halbe Million pflegt Angehörige oder gilt aus anderen Gründen als erwerbsunfähig. Ein weiteres Fünftel arbeitet sowieso längst und bekommt Bürgergeld nur, weil die Löhne nicht reichen, um davon zu leben. Bleiben 1,7 Millionen Menschen, die CDU dabei vor den Karren spannt.
Aufschreien müssten vor allem diejenigen, die die Maßnahme vermeintlich gar nicht betrifft: also alle abhängig Beschäftigten, da diese Extremform der Ausbeutung durch Zwangsarbeit den Druck auf die Löhne weiter verstärkt. Wenn Arbeitskraft für 80 Cent pro Stunde zu haben ist, wieso sollten Arbeitgeber*innen dann noch Mindestlohn oder gar anständige Löhne zahlen?
Gewerkschaften und Organisationen wie ProAsyl oder der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) lehnen die Arbeitspflicht strikt ab. »Zwangsarbeit ist eine Bedrohung für die hart erkämpften Löhne der unteren Schichten«, betont der Sozialrechtler Sven Adam aus Göttingen. Er ist aktiv im RAV und vertritt bundesweit Betroffene, die der Staat zur Zwangsarbeit verpflichten will. Adam warnt: »Hier soll ein neues Lumpenproletariat herangezüchtet werden.«
Klagen hilft!
Statt dass aber die arbeitenden Massen gegen diese Unverschämtheit, die ihre eigenen Einkommen bedroht, protestieren oder streiken, befürworten etwa in Brandenburg rund 75 Prozent der Bevölkerung eine Arbeitspflicht für Bürgergeldberechtigte, wie eine Insa-Befragung zeigte. Doch auch unabhängig von der Mehrheitsgesellschaft, die vernebelt von Rassismus und Chauvinismus ihre eigenen Interessen nicht zu sehen scheint, gibt es einen Weg, die neue Ausbeutungsform zu bekämpfen: Klagen. Kritiker*innen sind sich einig, dass eine Arbeitspflicht verfassungswidrig ist. Laut Artikel 12, Absatz 2 Grundgesetz darf niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden.
Wenn Arbeitskraft für 80 Cent pro Stunde zu haben ist, wieso sollten Arbeitgeber*innen dann noch anständige Löhne zahlen?
»Der Staat darf Leistungsberechtigte zwar sanktionieren und bestimmte Tätigkeiten anordnen, aber das umfasst keine Arbeitspflicht für einen bestimmten Job. Die Maßnahmen müssen zudem immer zumutbar und verhältnismäßig sein«, erklärt Adam im Gespräch mit ak. Sein Ziel: ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das der Zwangsarbeit ein für alle Mal einen Riegel vorschiebt.
Konkret beanstandet der Anwalt Paragraf 5 Absatz 1 Satz 2 Asylbewerberleistungsgesetz. Darin heißt es, Arbeitsgelegenheiten sollen zur Verfügung gestellt werden, »wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient«. Diese Formulierung, die die Ampel-Regierung neu eingefügt hat und auf die sich die Kommunen nun berufen, sei laut Adam »der Anker, um die Leute in alle möglichen Jobs zu pressen, zum Beispiel in einem kommunalen Krankenhaus«.
In Greiz vertritt Adam einen Mandanten, dem Zwangsarbeit drohte. Der 49-Jährige war aus Iran nach Deutschland geflüchtet. Eines Tages erreichte ihn eine Aufforderung, für 25 Stunden pro Woche als ungelernte Pflegekraft im städtischen Krankenhaus zu arbeiten. »Da habe ich natürlich sofort rumgepöbelt«, sagt Adam und meint damit, dass er gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt und gegen die Zuweisung einen Eilantrag an das Sozialgericht Altenburg gestellt hat. »Was soll das denn? Mein Mandant ist gelernter Programmierer«, stellt der Anwalt klar.
Daraufhin versuchte die Kommune, den Mann für die EDV-Abteilung des Krankenhauses »heranzuziehen«. Auch das lehnten der Geflüchtete und sein Anwalt ab. »Wie frech ist das bitte? Und wohin soll das führen: Muss als Nächstes der syrische Arzt für 80 Cent pro Stunde operieren?«, spitzt Adam seine Kritik zu. Auch gegen den zweiten Bescheid ist er mit einem Eilantrag vorgegangen. Dieser wurde zwar kürzlich »nach summarischer Prüfung« abgewiesen. Der Betroffene aber hat die Zwangsarbeit weiter verweigert, und seine Leistungen wurden bislang nicht gekürzt. »Das haben sie sich wohl nicht getraut«, vermutet Adam. Er hat fürs Erste also geschafft, seinen Mandanten vor der Zwangsarbeit ebenso wie vor der Strafe, dem Entzug des Existenzminimums, zu bewahren. »Für den einzelnen Mandanten ist das natürlich cool.« Der Programmierer habe auch längst eine richtige Arbeitsstelle gefunden.
Hoffen auf das Bundesverfassungsgericht
Trotzdem ist der Anwalt unzufrieden. Denn solange die Behörde das Geld nicht streicht, hat sein Mandant kein Rechtsschutzbedürfnis, das heißt, er kann nicht so leicht gegen die Aufforderung zur Zwangsarbeit klagen. Adam will aber, dass es zu einem Gerichtsverfahren in der Hauptsache kommt – und dass er verliert. Nur dann kann er das Thema zur nächsthöheren Instanz und eines Tages hoffentlich vor das Bundesverfassungsgericht bringen. »Wenn sie seine Existenzsicherung rückwirkend doch noch streichen, würde ich es mit Danger Dan halten und eine Flasche Sekt aufmachen«, lacht der Anwalt. Damit spielt er auf eine Zeile aus dem Song »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« des Musikers an, der Rechtsextreme kritisiert und sich paradoxerweise freut, vor Gericht zu landen, da er sicher ist zu gewinnen.
Fraglich ist, wie es mit der kommunalen Zwangsarbeit weitergeht, wenn die neue Bundesregierung ihre Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag tatsächlich umsetzt, sie will »Arbeitsverbote auf maximal drei Monate reduzieren«. Das fordern Adam und sein Verein RAV schon seit Jahren. »Die allermeisten Geflüchteten wünschen sich, sie dürften von Anfang an einer ordentlichen Beschäftigung nachgehen«, weiß der Anwalt aus seiner Praxis.
Adam ist also weiter auf der Suche nach Betroffenen, die zu Arbeit für 80 Cent pro Stunde aufgefordert wurden und bereit sind, dagegen gerichtlich vorzugehen. Der linke Rechtsanwalt ist zuversichtlich, dass er es eines Tages bis vor das Bundesverfassungsgericht schafft und die Zwangsarbeit in Deutschland dort auf den Prüfstand stellt.