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Verboten faschistisch

Warum die gesellschaftliche Linke sich für ein Verbot der AfD stark machen sollte

Von Jonas Deyda und Andrea Hübler

Ein Schild vor einer Mauer, auf der linken Seite steht "Liberté, Egalité, FCKAfDé", auf der rechten Seite mehrmals in fetten Buchstaben FCKAFD
Mit Liberté, Egalité, Demokratie und Menschenrechten nicht vereinbar: die AfD. Foto: Elke Wetzig / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0 DEED

Seit der Correctiv-Recherche über das sogenannte Potsdamer Geheimtreffen nimmt die Debatte um ein Verbot der AfD Fahrt auf. Am dritten Januarwochenende gingen deutschlandweit bis zu 1,5 Millionen Menschen gegen rechts auf die Straße. Obwohl die Verbotsforderung durchaus mit Risiken behaftet ist, sollte sich die gesellschaftliche Linke mit einer Kampagne für ein Verbot der AfD in die Diskussion einmischen. Denn dies nicht zu tun, ist ebenfalls nicht ohne Risiko.

Im Sommer letzten Jahres hatten der Höhenflug der AfD und ihr Magdeburger Europaparteitag der Debatte Futter gegeben. Die Wahl von Maximilian Krah zum Spitzenkandidaten für die Europawahl machte den Durchmarsch des faschistischen Höcke-Flügels in der Partei deutlich. Ein Appell des Rechtsanwalts Alexander Hoffmann in der Zeitschrift Der rechte Rand rief dazu auf, auch eine linke Kampagne für ein AfD-Verbot zu starten. Gesamtgesellschaftlich war es vor allem der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung und Chemnitzer CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz, der den Herbst über für ein Verbot trommelte.

Seit letztem Sommer köchelt die Verbotsdebatte

Wanderwitz versucht, im Bundestag parteiübergreifend (ohne Die Linke), Abgeordnete für einen Verbotsantrag zu sammeln. Er will allerdings die Entscheidung vom Oberverwaltungsgericht Münster über die Einstufung der Gesamtpartei als rechtsextremer Verdachtsfall abwarten, bevor er die Zahl seiner Unterstützer*innen bekannt gibt. Die Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz hängt wegen Klagen der AfD seit 2021 vor den Verwaltungsgerichten fest. Ein Urteil könnte im März zu erwarten sein und die Debatte um ein Verbot der AfD befeuern. Bisher sprechen sich die Spitzen der Ampelparteien und der CDU allerdings in unterschiedlichen Abstufungen gegen ein Verbot aus. Eine taz-Umfrage ergab, dass lediglich 49 Abgeordnete eine Prüfung des Verbots unterstützen. Das reicht, um es im Bundestag auf die Tagesordnung zu setzen, zu mehr allerdings nicht.

Eine Kampagne des Zentrums für politische Schönheit und diverse Petitionen mit immerhin Hundertausenden Unterschriften waren die einzigen dezidierten Vorstöße aus der Zivilgesellschaft für ein Verbot. Die mediale Aufmerksamkeit für die Deportationspläne der AfD und die folgenden spontanen Massendemonstrationen gegen rechts in zig deutschen Städten haben jetzt ein Fenster aufgestoßen.

Auch die Prüfung eines Verbots der Partei, einzelner Landesverbände oder ihrer Jugendorganisation Junge Alternative wurde auf den Demonstrationen gefordert, mindestens aber ein konsequentes Vorgehen seitens der demokratischen Parteien gegen immer weitere Geländegewinne der Faschist*innen. Die Verbotsforderung könnte helfen, diese erfreulichen und überfälligen Proteste zuzuspitzen und zu verstetigen.

Ist ein Verbot juristisch überhaupt aussichtsreich?

Dass es bisher zu keiner bündnisgetragenen Verbotskampagne gekommen ist, liegt auch daran, dass es viel Skepsis und Sorgen über die Risiken gibt. Der grundsätzlichste Einwand ist die befürchtete Aussichtslosigkeit des Verfahrens. (ak 695) Scheitert es, könnte das der AfD sogar die Weihen der Verfassungsmäßigkeit verleihen, so die Sorge.

Das letzte Parteiverbotsverfahren gegen die NPD scheiterte 2017, weil das Bundesverfassungsgericht keine Möglichkeit sah, dass die NPD ihre verfassungswidrigen Ziele auch umsetzt (»Potenzialität«). An dieser Hürde wird ein AfD-Verbot leider nicht scheitern. Denn die AfD übt zunehmend Exekutivmacht in Kommunen aus, im Thüringer Landtag gibt es eine Mehrheit aus CDU, FDP und AfD, die gemeinsam Gesetze beschließt. Vor allem aber hat die AfD große Diskursmacht, indem sie die Politik der anderen Parteien, etwa in Fragen von Migration und Abschiebungen, immer weiter nach rechts drückt.

Parteiverbot – wie funktioniert das?

Das Grundgesetz sieht die Möglichkeit vor, Parteien zu verbieten, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen. Diese schützt nur Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, allerdings nicht die Wirtschaftsordnung oder eine konkrete Demokratieform. Über das Verbot kann allein das Bundesverfassungsgericht mit einer Zweidrittelmehrheit entscheiden. Antragsbefugt sind der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung. Ein Verbotsverfahren kann und wird mehrere Jahre dauern. Verboten werden kann in einem solchen Urteil die gesamte Partei oder auch einzelne Landesverbände. Die kleine Schwester des Verbots ist der Ausschluss einer Partei aus der staatlichen Parteienfinanzierung, wie ihn das Bundesverfassungsgericht Ende Januar 2024 für die NPD-Nachfolgepartei Die Heimat ausgesprochen hat.

Die größte rechtliche Hürde für ein Verbot der AfD ist der Nachweis, dass die Gesamtpartei planvoll auf eine Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung hinarbeitet. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Begriff in der NPD-Entscheidung 2017 neu ausbuchstabiert und vom ideologischen Ballast des Kalten Kriegs entrümpelt. Heutzutage umfasst er allein Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, wie Rassismus, Antisemitismus, Muslim- oder Queerfeindlichkeit, sind als Verstöße gegen die Menschenwürde mit dem Grundgesetz unvereinbar. Insbesondere ein völkisches Demokratieverständnis, das das Staatsvolk nicht über das rechtliche Kriterium der Staatsbürgerschaft, sondern über rassistische Kriterien bestimmt, ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip nicht vereinbar.

Während das NPD-Verbotsverfahren sich auf das Parteiprogramm stützen konnte, das sich offen zur Volksgemeinschaft bekannte, reicht das bei der AfD nicht aus. Es müssten Äußerungen, Reden und Tweets von Funktionär*innen, Mitgliedern und Anhänger*innen zusammengetragen und der Gesamtpartei über Billigung und Duldung zugerechnet werden können. Dass die Parteivorsitzende Alice Weidel nach der Correcitv-Veröffentlichung erneut Abschiebungen deutscher Staatsbürger*innen und »konsequente und unbeirrbare Remigrationspolitik« gefordert hat, macht deutlich, dass das möglich sein wird. Die Fleißarbeit ist aber noch nicht getan.

Ein Verbotsverfahren ist ein politischer Kampf

Eine weitere Hürde ist die politische Dimension des Verfahrens. Seit 1949 unterliegt der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung starken politischen Konjunkturen und Deutungskämpfen, die häufig im Zeichen weltpolitischer Polarisierungen standen: die Ausrichtung gegen den Kommunismus im Kalten Krieg, gegen innergesellschaftliche »Verfassungsfeinde« nach 1968, gegen den Islam nach dem 11. September 2001. Das Bundesverfassungsgericht steht in relativer Autonomie zu den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Das heißt einerseits, dass niemand den Ausgang des Verfahrens vorhersagen kann. Andererseits ist Karlsruhe nicht völlig von gesellschaftlichen Debatten abgeschirmt. Der Erfolg häng deshalb auch davon ab, dass ein solches Verfahren intensiv politisch begleitet würde. Das hieße zuallererst, die Stimmen der Betroffenen vom Rassismus der AfD zu verstärken, aber auch von eingeschüchterten Kommunalpolitiker*innen oder bedrohten Vereinen. Heute geht es darum, in diesen Angriffen zuallererst den Angriff auf »die Demokratie« zu betonen.

Insbesondere die westdeutsche Linke hat in den Deutungskämpfen um die freiheitlich demokratische Grundordnung viel verloren (Stichwort Berufsverbote). Es gibt daher die Sorge, mit der Verbotsforderung einen schlafenden Hund zu wecken, der am Ende mal wieder nur die Linke beißt. Das ist umso wahrscheinlicher, je schwächer der Verbotsdiskurs inhaltlich von links geführt wird. Linke sollten also jene Gründe für ein AfD-Verbot in der Debatte stark machen, die nicht einem inhaltsleeren staatstragenden Extremismusbegriff das Wort reden, sondern Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antifeminismus, Queerfeindlichkeit und Antipluralismus als fundamentale Angriffe auf Demokratie und Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen. Das hieße auch, den fließenden Übergang von der Ideologie der AfD zum Beispiel zur herrschenden Migrationsfeindlichkeit oder zum rechten Kulturkampf gegen queere Identitäten aufzuzeigen.

Die vielfach als Alternative zum Verbot geforderte politische bzw. gesellschaftliche Bekämpfung der AfD bestünde im Übrigen genau darin. Insofern eröffnet eine von links geführte Verbotsdebatte tatsächlich die Möglichkeit, diese Auseinandersetzung in der Breite der Gesellschaft zu führen und nicht im Agenda-Setting (Migration, Migration, Migration) der AfD unterzugehen.

Das Wagnis eingehen

Die wichtigste Frage bleibt: Lohnt es sich, die Risiken eines Verfahrens mit offenem Ausgang einzugehen? Wir meinen, trotz aller berechtigter Skepsis: Ja, es lohnt sich, ein Verbot der AfD einzufordern!

Natürlich wird ein AfD-Verbot uns nicht von der gesellschaftlichen Aufgabe entbinden, gegen die weit verbreiteten rassistischen Einstellungen zu arbeiten. Aber es wird die politische Schlagkraft dieser Einstellungen durch parteipolitische Formierung, Sammlung und Finanzierung, einschränken. Denn im Falle eines (Teil-)Verbots würde der Parteiapparat durch die Innenministerien aufgelöst, das Vermögen eingezogen, Abgeordnete verlören ihr Mandat, und es stünde unter Strafe, Ersatzorganisationen zu bilden. Die Neugründung der verbotenen SRP zur NPD 1964 und der KPD zur DKP 1968 haben immerhin jeweils zwölf Jahre gedauert. Auf solch eine mehrjährige Atempause zielt das Verbot.

Ein Verbotsverfahren könnte als Drohkulisse entscheidend sein, um in diesem Wahljahr Konservative von der Zusammenarbeit mit der AfD abzuhalten.

Die Normalisierung der AfD wird stark durch die Kooperation mit anderen politischen Kräften, insbesondere der CDU, angetrieben. (ak 695) Die Brandmauer wackelt in mehreren ostdeutschen Bundesländern bedenklich, in den Kommunen ist sie häufig schon eingestürzt – oder hat niemals existiert. Die Einstufung der AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextrem durch die jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz tut dieser Kooperation keinen Abbruch. Ein Verbotsverfahren könnte als Drohkulisse der entscheidende Schritt sein, um in diesem Wahljahr Konservative von der Zusammenarbeit mit der AfD abzuhalten.

Die politische Landschaft droht derzeit, auf einen autoritären Kipppunkt zuzulaufen, zumindest in einigen Regionen Deutschlands. Würde der erreicht, ließe sich der autoritäre Umbau nur unter größten Anstrengungen wieder umkehren. Diese Gefahr besteht sowohl auf bundespolitischer Ebene, als auch auf kommunaler und Landesebene. Ein weiterer Machtzuwachs der AfD – ob als Bürgermeister in Gera, Landrat im Landkreis Bautzen, sächsischer Innenminister oder Ministerpräsident in Thüringen – würde Lebensqualität und Sicherheit nicht nur von Minderheiten enorm bedrohen. Ein weiterer Machtzuwachs der Partei würde Räume zivilgesellschaftlicher, demokratischer, progressiver Politik insbesondere in Ostdeutschland weiter schließen.

Es geht also auch darum, überhaupt die Bedingungen für einen solidarischen Umgang mit der gesellschaftlichen Vielfachkrise – Klimawandel, Inflation, neue internationale Rivalitäten – zu verteidigen. Deswegen müssen wirksame Vorschläge auf den Tisch, wie das Kippen ins Autoritäre verhindert werden kann.

Die Verbotsforderung ist momentan der einzige Vorschlag mit Hand und Fuß. Es mag paradox erscheinen, zur Abwendung eines autoritären Kipppunktes einem der autoritärsten Eingriffe in den politischen Prozess das Wort zu reden, den das Grundgesetz zulässt. Die Gefahr, dadurch die Demokratiekrise mit noch ungeahnten politischen Folgen zu vertiefen, ist real. Sie steht aber hinter den skizzierten Gefahren zurück. Die gesellschaftliche Linke sollte das Wagnis eingehen.

Jonas Deyda

ist Jurist, lebt in Leipzig und war mehrere Jahre im Unteilbar-Bündnis aktiv.

Andrea Hübler

ist Politikwissenschaftlerin, lebt in Dresden und war mehrere Jahre im Unteilbar-Bündnis aktiv.

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