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|Thema in ak 714: Rohstoffe

Late to the Party

Der Zugang zu Rohstoffen gilt als entscheidender Faktor, um global als Wirtschaftsmacht zu bestehen – Deutschland sieht sich abgehängt

Von Paul Dziedzic und Lene Kempe

Ein Arbeite mit Helm und Signalweste steht in einem Becken mit einer griftgrünen Flüssigkeit. Drumherum ein großer Berg von getrocknetem Lithium, das aussieht wie weißer Pulver.
Gesucht und gefunden: Lithium in der Antofagasta Region in Chile. Foto: picture alliance / Hans Lucas / POOL UNION EUROPEENNE / AGENCE HANS LUCAS

Sichern Rohstoffe aus dem All die Zukunft der deutschen Industrie?« Laut dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist der Weltraumbergbau keine ferne Utopie, sondern eine in naher Zukunft technisch machbare und – auch dank sinkender Kosten für Weltraumflüge – wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit, um deutschen Unternehmen den Zugang zu dringend benötigten Rohstoffen zu sichern. Schon 2018 veröffentlichte der Verband ein Positionspapier, in dem er die Bundesregierung aufforderte, die Weichen für die privatwirtschaftliche Erschließung des Weltraums und des Weltraumbergbaus zu stellen.

Bis dato gibt es nur ein Eckpunktepapier der Ampelregierung für ein nationales Weltraumgesetz, etwa 20 Staaten verfügen allerdings bereits über ein solches, Luxemburg und die USA haben sogar den Weltraumbergbau geregelt – und hoffen nun, einen Milliarden-Markt zu erschließen. Denn die Nachfrage nach Rohstoffen ist in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Kein Smartphone, kein Elektroauto, keine Drohne, keine Solarzelle kommt ohne sie aus.

Während die irdischen Ressourcen begrenzt sind, fliegen im Weltall wahre Schatzkisten herum. Laut einer US-Studie von 2021 besteht ein von den Forscher*innen untersuchter erdnaher Asteroid aus Metallen im Wert von 11,6 Billionen US-Dollar. Der BDI wittert hier eine Möglichkeit, die deutsche Industrie perspektivisch aus ihrer Importabhängigkeit bei den für die Energiewende kritischen metallischen Rohstoffen und Seltenen Erden zu befreien. In Deutschland werden nur einige nichtmetallische Stoffe, wie Kali- und Steinsalz sowie der Großteil der Steine und Erden in großem Stil gefördert. Die für die Energiewende entscheidenden Seltenen Erden sowie andere metallische Rohstoffe wie Lithium, Kupfer, Nickel oder Kobalt importiert die hiesige Wirtschaft überwiegend aus dem Ausland.

Die größten Vorkommen Seltener Erden gibt es in China, wo die Rohstoffe zugleich kostengünstig gefördert werden – ungeachtet der sozialen und ökologischen Folgekosten. China hat den Abbau schwerer Seltener Erden zuletzt immer stärker in die Nachbarländer verlagert, etwa nach Myanmar. Denn diese Rohstoffe treten meist in Kombination mit radioaktiven Elementen, mit Uran und Thorium, auf. China übernimmt deswegen überwiegend nur noch die Aufbereitung. Trotzdem importiert Deutschland schwere Seltene Erden zu 100 Prozent aus China. Aber auch aus Russland beziehen deutsche und europäische Unternehmen, trotz der Sanktionen, nach wie vor in erheblichem Umfang metallische Rohstoffe. Lithiumkarbonat beziehen Deutschland und die EU in erster Linie aus Chile, aber auch hier spielt China zunehmend eine entscheidende Rolle.

Für die hiesigen Industrien bestanden lange Zeit wenig Anreize, solche Importabhängigkeiten aufzubrechen.

Für die hiesigen Industrien bestanden lange Zeit wenig Anreize, solche Importabhängigkeiten aufzubrechen. Projekte, die heimische Abbaustätten für Seltene Erden erkunden sollten, wurden aus Kostengründen auf Eis gelegt. Unter den Bedingungen sich zuspitzender geopolitischer Konflikte rückten die Rohstoffabhängigkeiten jedoch zunehmend in den Fokus.

So wurde 2023 mit der »China-Strategie« der damaligen Ampelregierung ein »De-risking« beschlossen: Deutsche Unternehmen sollten ihre Lieferketten diversifizieren. Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz bemühte sich um neue Rohstoffpartnerschaften in Lateinamerika, mit dem Rohstofffonds wurden Fördermöglichkeiten für Abbauprojekte geschaffen, und der Critical Raw Materials Act (CRMA) soll die Förderung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe innerhalb der EU beschleunigen. »Near«- und »Friendshoring« lauten in diesem Zusammenhang die Zauberwörter, also die Verlagerung der Lieferketten in Nachbar- oder Partnerstaaten. Aus Sicht der Wirtschaft geht dieser Prozess viel zu langsam.

»Buddeln, buddeln, buddeln«

Aber nicht nur die Bundesregierung ist beim Thema Rohstoffsicherung regelrecht im Panikmodus, weltweit sind die großen Industrieländer auf der Suche nach ertragreichen Vorkommen und stabilen Lieferketten. US-Präsident Donald Trump verhandelt deshalb über ein Rohstoffabkommen mit der Ukraine – das Land gilt als ein weiterer potenzieller »Friendshoring«-Partner, den auch die EU schon im Visier hatte. 2021 hatte die Union mit dem Land eine Rohstoffpartnerschaft abgeschlossen. Nun scheint sie in zweiter Reihe bereit zu stehen – für den Fall, dass der US-Ukraine-Deal zu keinem Abschluss kommt.

Bislang aber wirkt Trump entschlossen, sich den Rohstoffreichtum des gebeutelten Landes unter den Nagel zu reißen. Ein im März geleakter Entwurf des Abkommens hat es in sich: Ein bilaterales Gremium, bestehend aus fünf Mitgliedern, von denen drei von den USA nominiert werden, soll den Abbau in der Ukraine koordinieren. Ziel ist, dass die Ukraine aus dem Erlös des Rohstoffabbaus die Gelder zur Unterstützung im Krieg gegen Russland zurückzahlt. Das Gremium, in dem die USA ein Vetorecht hätte, würde zudem alle neuen Rohstoffprojekte überprüfen, den USA Vorrang geben und auch über Öl- und Gasprojekte und Infrastrukturmaßnahmen entscheiden. Alle Erlöse müssten umgehend in internationale Devisen umgewandelt überwiesen werden – unter Androhung von Strafen bei Nichtzahlung. EU-Verantwortliche meldeten Zweifel an, dass ein solcher Deal mit einer Mitgliedschaft in der Union, die von der Ukraine angestrebt wird, vereinbar wäre. Ob die Ukraine, zerrieben zwischen zwei Machtblöcken, ihre Interessen in den Verhandlungen durchsetzen kann, ist fraglich.

Andererseits: Ob der Deal für die USA wirklich das abwirft, was Trump verspricht, wird von Expert*innen in Frage gestellt. Viele der erschlossenen Gebiete befinden sich aktuell unter russischer Kontrolle. Die anderen müssten noch erkundet werden; eine wirkliche Übersicht, wieviel Wertvolles sich unter der Erde befindet, gibt es nicht. Die Phase zwischen dem Anfang der Erkundung und – sollten genügend kommerziell abbaubare Vorkommen vorliegen – dem Beginn des Abbaus dauert zwischen 14 und 16 Jahren.

Dennoch hatten auch die EU und die Bundesregierung massiv um private Investitionen in den ukrainischen Rohstoffsektor geworben, denn die Ukraine wurde angesichts ihrer räumlichen Nähe als potenziell entscheidendes Lieferland angesehen, um den hiesigen Rohstoffhunger zu decken. Vor allem Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) machte die Motivation deutscher Unternehmen zu seiner Herzensangelegenheit – mit bislang mäßigem Erfolg.

Hätte, hätte, Produktionskette

Dass sich die EU und Deutschland in der Ukraine von den USA nun regelrecht an den Rand gedrängt sehen, ist nicht wirklich neu. Im Wettlauf um Rohstoffe scheint der Kuchen vielerorts schon verteilt. Wo Deutschland oder die EU anklopfen, treffen sie häufig auf – Überraschung – China.

Die Volksrepublik entwickelte und implementierte in den vergangenen Jahren eigene Pläne und baute immer mehr weiterverarbeitende Industrien entlang der Lieferketten auf. China hat viele bilaterale Verträge geschlossen, Anteile an Bergbauprojekten gesichert, massiv in den Ausbau von Infrastruktur und Handelswegen investiert und Raffinerien im Inland aufgebaut, die dann die Fabriken beliefern, die Endprodukte produzieren. Von der Mine bis zum fertigen Elektroauto – China ist auf der kompletten Strecke präsent.

Der EU und ihren Mitgliedsstaaten fällt es schwer, die Abhängigkeit von chinesischen Zwischenprodukten zu verringern. Viele der derzeitigen Abbaukapazitäten sind bereits für den Export nach China vorgesehen, Expansionen bestehender oder die Exploration neuer Minen müssten erst ausgehandelt werden, das bräuchte Zeit. Und: Europa steht beim Rohstoffzugang zunehmend auch in Konkurrenz zu den USA.

Die amerikanische Strategie basiert auf einer Mischung von Versprechen und Drohungen. Schon vor seinem Amtsantritt ließ Trump wissen, dass sein Land unbedingt Kontrolle über Grönland erlangen müsste. Das begehrte Ziel sind, genau wie im Fall der Ukraine, die Rohstoffe. Grönland verfügt über große Reserven der Seltenen Erden und anderer Metalle, die nicht nur für die Energiewende wichtig sind, sondern auch für das Militär. Doch auch im Hintergrund werden »Deals« abgeschlossen, zum Beispiel mit der Demokratischen Republik Kongo.

Aus EU-Sicht wäre es daher sinnvoll, nicht nur die Endproduktion sondern auch vorgelagerte Produktionsschritte in den europäischen Einflussbereich zu bringen, um die Abhängigkeit von den Konkurrenten zu verringern. Doch das Beispiel Batterieproduktion zeigt, wie schwer das europäischen Ländern fällt. Derzeit produzieren vor allem China, Südkorea und Japan Batterien für Elektroautos. In Deutschland wurden zuletzt große Gigafabriken angekündigt, etwa in Heide, unweit von Hamburg. Geplant war hier »eine Gigafactory, um China die Stirn zu bieten« (Tagesschau). Betrieben werden sollte sie von Northvolt, einem Start-up aus Schweden. Doch das Unternehmen ging insolvent. Vom Staat hatte die Firma für den Fabrikbau 900 Millionen Euro Unterstützung zugesagt bekommen. Die Firma gab an, wegen steigender Kapitalkosten und der »geopolitischen Krisen« in die Insolvenz gegangen zu sein.

Gerade gelingt es weder Deutschland noch der EU, sich an diese veränderte geopolitische Lage anzupassen. Auch in den Debatten um die Aufrüstung zeigt sich die Angst des »alten Kontinents«, wirtschaftlich abgehängt zu werden und an Macht zu verlieren, gar zur Peripherie degradiert zu werden. (ak 712) Das bedeutet auch, dass Deutschland und die EU verstärkt in die Rohstoffkonflikte hineinschlittern könnten, in denen sie bereits mitmischen, aber von den großen Konkurrenten China und den USA an den Rand gedrängt werden. Angesichts solcher Szenarien schauen einige ins Weltall. Doch das wird die irdischen Konflikte nicht lösen.

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.

Paul Dziedzic

ist Redakteur bei ak.