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Leere Plantagen, volle Straßen

In Panama protestieren etliche Gruppen gegen die neoliberale und zunehmend repressive Politik des Präsidenten José Raúl Mulino

Von Knut Henkel

Ein Arbeiter balanciert in großer Höhe auf einem Holzgerüst, umrahmt von einer Öffnung für eine Fensterfront. Im Hintergrund die Skyline von Panama Stadt.
Keine guten Aussichten für organisierte Arbeiter*innen. In Panama ist insbesondere die Gewerkschaft Suntracs ins Visier des Präsidenten geraten. Foto: Hinrich Schultze

Mehr als 45 Tage war Francisco Smith, Generalsekretär der Gewerkschaft Sitraibana, im Ausstand. In der Nacht zum Donnerstag, den 12. Juni, war damit Schluss. Da hatte Smith nach etlichen Anläufen in Panama Stadt den Kompromiss mit einer Kommission des panamaischen Parlaments in Anwesenheit von Verantwortlichen von Chiquita Panamá ausgehandelt. Der Kompromiss sieht vor, dass die in der Sitraibana organisierten Plantagen- und Verpackungsarbeiter*innen die rund 20 Straßenblockaden in der Provinz Bocas Del Toro abbauen.

Dort werden Bananen in großen Mengen angebaut, die rund 17 Prozent der Exporte Panamas ausmachen. Seit dem 28. April, dem Auftakt des Sitraibana-Streiks, waren die Exporte zum Erliegen gekommen. Als das Arbeitsministerium und ein lokales Gericht in der Provinz den Streik für illegal erklärten, reagierte der US-amerikanische Fruchtkonzern Chiquita Panamá und entließ am 23. Mai auf seinen rund zwei Dutzend Plantagen mehr als 4.900 Plantagen- und Verpackungsarbeiter*innen. »Unsere Mitglieder haben die bei Chiquita hinterlegten Abfindungen jedoch nicht abgeholt und formal ihre Entlassung nicht anerkannt«, sagte Smith noch während der Streiks. Er vermutete, dass Chiquita Panamá mit der Regierung an einem Strang zog: »Es geht darum, uns zu schwächen«.

Auslöser des Arbeitskampfs war das Gesetz Nummer 462, eine Rentenreform die Leistungen absenkt und das Solidar- gegen das Individualprinzip austauschten will, um Lücken in der Rentenkasse zu stopfen. »Wir haben Chiquita Panamá früh darauf aufmerksam gemacht, dass wir dem Gesetz zur Rentenreform kritisch gegenüberstehen, weil es unsere Interessen und Rechte verletzt«, so Smith. Die Änderung hätte die im Gesetz 45 von den Bananenarbeiter*innen erstrittenen Rechte wie das Recht auf frühere Pensionierung aufgrund niedrigerer Lebenserwartung, die auf die auf den Plantagen genutzten Pestizide zurückzuführen ist, zunichtegemacht.

Das hat die Parlamentskommission bei den Verhandlungen am 10. und 11. Juni auch eingesehen und Sonderregelungen für die Bananeros abgesegnet. Den Kompromiss dürfte Chiquita Panamá am Ende auch mittragen, denn deren Unternehmensvertreter waren bei den Gesprächen in Panama City zugegen.

Rüge von der ILO

Ob dieser Kompromiss mit Präsident José Raúl Mulino zu haben gewesen wäre, bezweifeln Analysten wie William Hughes. »Mulino hat im Wahlkampf 2024 angekündigt, dass er Panama aus dem Würgegriff der Gewerkschaften befreien wolle. Er hat die sozialen Konflikte geschürt, wollte die Gewerkschaften anscheinend in die Knie zwingen«, analysiert der Ökonom und Dozent an der Universität Panama. Ins Visier genommen hat der 65-jährige Präsident vor allem Suntracs, die Gewerkschaft des Bausektors und mit 40.000 Mitgliedern die größte des Landes. Mulino ließ die Gewerkschaftskonten einfrieren, zwei gewählte Vertreter der Gewerkschaft sitzen in Haft, gegen sechs weitere wird ermittelt. Der Suntracs-Generalsekretär Saúl Méndez hat sich am 21 Mai in die bolivianische Botschaft geflüchtet.

Das repressive Vorgehen gegen die Gewerkschaften verstößt gegen zahlreiche Gesetze und hat dem Land auch Kritik von internationalen Institutionen wie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO eingebracht. In Panama Stadt scheint das niemandem zu interessieren. Die Regierung agiere rigide, repressiv und ohne jede Dialogbereitschaft, kritisieren Beobachter wie Hughes.

Doch genau das kann sich der Präsident eigentlich nicht leisten. Das belegen die vielen Delegationen von Geschäftsleuten, die aus der Region Bocas del Toro und anderen Krisenregionen wie Darién nach Panama City gereist waren und für einen Dialog eintraten. Kritiker*innen warfen dem Präsidenten Starrsinn vor, etliche warnten vor einer Eskalation mit Schusswaffeneinsatz, denn der Präsident hat sich nicht nur mit den Gewerkschaften aus dem Bau- und Plantagensektor angelegt, sondern nahezu mit allen sozialen Organisationen. Darunter auch die der indigenen Gemeinschaften und die Universitäten.

Die Regierung hat vier massive Konflikte entfacht, die dafür sorgen, dass es seit Wochen landesweit Proteste gibt.

»Es geht in Panama nicht nur um das Gesetz 462, dass das solidarische Pensionsmodell in ein individuelles, börsenorientiertes überführt, Leistungen absenkt und das Eintrittsalter heraufsetzen soll«, erklärt William Hughes. Zum einen gibt es das Politikum rund um die Wiedereröffnung von Cobre Panamá, der größten Kupfermine Mittelamerikas unter der Regie des kanadischen Unternehmens First Quantum. Im Oktober 2023 hatte das höchste Gericht das im offenen Tagebau betriebene Projekt stillgelegt, da dessen Vertrag mit der Regierung nicht verfassungskonform gewesen sei – trotzdem soll die Mine wiedereröffnet werden. Das, so die Kritiker*innen, setze Rechtsstandards außer Kraft.

Sturm laufen die sozialen Organisationen auch gegen die Unterzeichnung des Memorandums mit den USA vom 11. April, das US-Militärs das Recht einräumt, im Umfeld des Panamakanals Schulungen und auch Übungen durchführen und Ausrüstung lagern zu dürfen. Auch das ist ein Politikum, denn vielen ist die Invasion der USA 1989 im Gedächtnis geblieben.

Der dritte Konflikt dreht sich um die Wasserversorgung des Panamakanals, der in den letzten Jahren aufgrund von Wassermangel nur eingeschränkt funktionierte. Das soll sich mit dem Bau eines Stauwerks im Süden des Landes ändern, das zusätzliches Wasser für den Betrieb des Kanals bereitstellen soll. »Dafür sollen vor allem indigene Gemeinden am Río Indio enteignet werden. Folgerichtig reißen die Proteste in der Provinz Darién nicht ab«, so Hughes.

Gemeinsam mit dem Rentendisput habe die Regierung vier massive Konflikte entfacht, die dafür sorgen, dass es seit Wochen landesweit Proteste gibt, die das mittelamerikanische Land Milliarden-Beträge kosten.

Allein in der Provinz Bocas del Toro, in der Bananen produziert werden, sollen aufgrund der Streiks mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar an Einnahmeausfällen aufgelaufen sein. Chiquita Panamá hatte alle Geschäftstätigkeiten bis auf Weiteres ausgesetzt. Wie es nun weitergeht, bleibt unklar. An die Abwanderung glaubt Silvestre Díaz jedoch nicht. »Zu kostspielig«, meint der in Gewerkschaftskreisen gut vernetzte Politiker der linken Frente Amplio por la Democracía (FAD). Er fragt, weshalb die Gerichte der Regierung den Rücken freihalten und bezieht sich auf Übergriffe vonseiten der Polizei sowie Datenabfragen zu Student*innen der Universität Panama, die an Protesten teilgenommen hatten. Die Justiz agiere nicht im Einklang mit den Gesetzen, mahnt Díaz.

Kirchen sollen vermitteln

Das moniert auch Maribel Gordón, linke Wirtschaftswissenschaftlerin und Präsidentschaftskandidatin bei den Wahlen vom Mai 2024. Sie hatte gegenüber dem erzkonservativen Molino an der Urne keine Chance, kritisiert jedoch wie viele ihrer Landsleute, dass er seine Wahlversprechen nicht eingehalten habe. »Unter seiner Regie ist es nicht zu weniger, sondern zu mehr Korruption gekommen«, kritisiert die 63-jährige Politikerin.

Der ökonomische Boom, den Molino versprochen hat, lässt auf sich warten, so dass die soziale Situation sich verschärft hat. Steigende Lebenshaltungskosten und hohe Arbeitslosenzahlen von 9,5 Prozent schüren die Unzufriedenheit und führen dazu, dass viele Einwohner*innen auf die Straße gehen. Ohnehin gehöre das mittelamerikanische Land zu jenen mit dem größten sozialen Gefälle, und die korrupten, patriarchalen Strukturen haben dazu viel beigetragen, meint Gordón. Ex-Präsident Ricardo Martinelli floh im Mai wegen Korruptionsermittlungen nach Kolumbien, er ist ein enger Vertrauter von Mulino, dessen Umfragewerte von 34 Prozent Zustimmung im Mai 2024 auf neun Prozent gesunken sind.

Für Gordón ist ein Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Regierung überfällig und es gibt nur zwei Organisationen, die vermitteln können: »die Kirchen und die Universität«, so die Akademikerin. »Allerdings sind auch Student*innen und Akademiker*innen in den letzten Wochen in den Fokus der Repression geraten«, so Gordón. Sie hofft auf die Kirchen, die sich in der letzten Woche deutlich geäußert und die Regierung zum Dialog aufgefordert haben. »Wir brauchen auch mehr internationale Aufmerksamkeit. Ich begrüße die ersten Appelle von Akademiker*innen und Intellektuellen, die zur Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit mahnen«, so Gordón. Doch Reaktionen aus dem Präsidentenpalast stehen noch aus.

Knut Henkel

ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist in und über Lateinamerika.