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Wie die AfD Macht macht

Nach den Erfolgen der Partei bei Landtagswahlen wird sie ihren Einfluss absehbar ausbauen – ist das noch aufzuhalten?

Von Marcel Hartwig

Bild einer Haselnuss in einem Nussknacker.
Schwarzbraun wäre die Haselnusskoalition. Kann man sie knacken? Foto: lost places/Flickr , CC BY-SA 2.0

Immer deutlicher zeichnet sich ab, wie die AfD in naher Zukunft auf Machtressourcen zugreifen könnte. In Thüringen scheint die nächste Stufe der Normalisierung der AfD erreicht: AfD und CDU stimmten gemeinsam für einen Gesetzentwurf der CDU. In der AfD verfolgt man mit Blick auf die CDU die Doppelstrategie, sie einerseits zu umwerben, sie andererseits politisch von rechts unter Druck zu setzen. Teile, vor allem der ostdeutschen CDU, pflegen ein taktisches Verhältnis zur AfD und sehen inhaltliche Schnittmengen.

Bis vor wenigen Wochen war Mario Voigt, Fraktionsvorsitzender der CDU im Thüringer Landtag, nur jenen bekannt, die sich für die Landespolitik des Freistaates zwischen Nordhausen und Suhl interessieren. Doch dann beschloss der Erfurter Landtag im September mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD die Senkung der Grunderwerbssteuer im Land. Nach der Abstimmung beteuerte Voigt ebenso trotzig wie treuherzig, es habe zwischen der CDU und der AfD keine Absprache hinsichtlich der Durchsetzung der Senkung der Grunderwerbssteuer gegeben; vielmehr habe sich die AfD einem Antrag der CDU angeschlossen. Vertreter*innen der rot rot-grünen Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow machten darauf aufmerksam, dass die CDU gewusst haben müsse, dass ihr Antrag nur mithilfe der AfD eine Mehrheit habe. Ein erneuter politischer Dammbruch?

Ein »Erfurter Modell«?

Die Dammbruch-Rhetorik legt nahe, es handle sich bei der offenen Kooperation mit der AfD in Thüringen um einen Ausrutscher in einem ansonsten geschlossen gegen die AfD stehenden politischen Betrieb. Die Realität ist eine andere. Die argumentative Vorwärtsverteidigung Mario Voigts im Falle der Senkung der Grunderwerbssteuer legt den Schluss nahe, dass Teile der CDU die Option auf eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung politisch vorbereiten könnte. Dass dies ausgerechnet in Thüringen geschieht, wo der AfD-Landesverband unter der Führung von Partei- und Fraktionschef Björn Höcke besonders offen extrem rechts agiert, erscheint nur auf den ersten Blick als Widerspruch. CDU-Fraktionschef Voigt sagt, er habe noch nie ein Gespräch mit Höcke geführt. Das mag auf die Person Björn Höcke zutreffen. Ob dies auch für Höckes rechte Hand, den parlamentarischen Geschäftsführer der AfD Fraktion im Erfurter Landtag, Torben Braga gilt, sagt Voigt nicht, und wird er auch nicht gefragt.

Braga gilt manchen als der eigentliche Architekt des Bündnisses aus CDU, FDP und AfD, welches die Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten durchsetzte, und als Strippenzieher der AfD Fraktion im Landtag. Denkbar wäre ein »Erfurter Modell« in dessen Rahmen die AfD eine CDU-Minderheitsregierung toleriert, und somit der lange in Thüringen dominanten CDU zurück an die Macht verhilft. Der vormalige Burschenschafts-Funktionär Braga wäre als politischer Pendeldiplomat für ein solches »Erfurter Modell« eine fast ideale Besetzung. Zur Erinnerung: Das »Magdeburger Modell«, also die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt durch die damalige PDS in den späten 1990er Jahren wurde nahezu geräuschlos durch die damaligen Fraktionsgeschäftsführer Gallert (PDS) und Bullerjahn (SPD) organisiert. Sie führten die Verhandlungen zwischen den Fraktionen, beschafften die notwendigen Mehrheiten und organisierten Kompromisse. Ob die CDU Thüringen für ein solches Modell wirklich zur Verfügung steht, dürfte von der politischen Großwetterlage im Wahljahr und anderen Machtoptionen nach der Landtagswahl abhängen.

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Aus gutem Grund stehen Thüringen und Sachsen im Hinblick auf die Entwicklung der AfD in Ostdeutschland im Mittelpunkt. Doch die Situation in Sachsen-Anhalt sollte darüber nicht aus dem Blick geraten. Dort haben Vertreter der CDU in den Regionen schon mehrfach ihre Sympathie für politische Projekte der AfD erkennen lassen.

Die Landtagswahlen in den drei ostdeutschen Ländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg 2024 dürften zur Nagelprobe werden, ob und wie die CDU die AfD für ihre Machtinteressen in Dienst nimmt. Zuletzt hatte sich der Historiker Andreas Rödder in seiner Funktion als Vorsitzender der CDU-Grundwerte-Kommission offen für Tolerierungsmodelle in Richtung AfD gezeigt, um wenig später von diesem Posten zurückzutreten. Dies ist ein Hinweis, dass der strategische Umgang mit der AfD in der CDU selbst höchst umstritten ist. Die wiederkehrenden Äußerungen von Friedrich Merz zum Thema Asyl stellen den Versuch dar, der AfD durch die Übernahme von rassistischer Rhetorik und Inhalten ihre Wähler*innen streitig zu machen, und somit nach rechts zu rücken. Ausweislich der Umfragen ist dies nicht sehr erfolgreich. Wie im Falle anderer europäischer Rechtsparteien bevorzugen die Wähler*innen in einem solchen Fall das extrem rechte Original, hier also die AfD. 

In der Frage des Kurses gegenüber der AfD zeichnen sich innerhalb der CDU deutliche Spaltungslinien ab. Sie verlaufen kurz gesagt zwischen dem großbürgerlich, liberal-konservativen Flügel in den westdeutschen Metropolen und den kleinbürgerlich-reaktionären Vertretern der Partei in Ostdeutschland. Dass es bei Letzteren keine Berührungsängste gibt, man einander politisch und habituell sogar nahesteht, ist medial gut dokumentiert.

Indes hat die AfD nicht mehr nur im Osten Oberwasser. Während die Partei dort in Umfragen konstant über 30 Prozent liegt, ist sie inzwischen in den meisten westdeutschen Bundesländern zweistellig. Dies zeigt auch das Wahlergebnis in Hessen und Bayern. Die Wahlerfolge und das Umfragehoch steigen manchen in der Partei offenbar inzwischen zu Kopf. Der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah, verkündete gegenüber dem Fernsehmagazin Panorama unverblümt sein politisches Ziel der Zerstörung der CDU. Diese werde mittelfristig in zwei Lager zerfallen, ein liberal-konservatives, welches den Grünen zuneige, und ein national-konservatives, aus dem heraus es eine Kooperationsbereitschaft mit der AfD gebe. Letztlich, so Krah, müsse die CDU als Volkspartei zum Verschwinden gebracht werden. Was wie ein Akt politischer Anmaßung wirkt, ist in Frankreich und Italien in den zurückliegenden zwanzig Jahren passiert. Die christdemokratischen Parteiformationen wie die Democrazia Cristiana Italiana sind in den genannten Ländern durch den Aufstieg rechter Parteien in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Wie die AfD wachsen will

Im kommenden Jahr stehen neben den Landtagswahlen im Osten in zahlreichen Ländern auch Kommunalwahlen an. Nach den, für sie erfolgreichen, Landtagswahlen in den Westländern will die Partei von unten wachsen. Die AfD-Strategen wissen, dass Verankerung vor Ort der Schlüssel für eine langfristige Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären ist. Die Partei braucht die Kommunen als Machtbasis von unten, um langfristig erfolgreich zu sein.

Die AfD-Strategen wissen, dass Verankerung vor Ort der Schlüssel für eine langfristige Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären ist.

Sicher, die Macht von Landrät*innen und Oberbürgermeister*innen ist begrenzt. Dennoch sind diese Ämter prestigeträchtige, einflussreiche Faktoren für die AfD im Gefüge institutioneller Macht. Vor allem aber sind sie ein Lern- und Experimentierfeld für AfD-Politiker*innen, um auf kommunaler Ebene jene Erfahrungen und Kompetenzen zu erwerben, die in der Landes- und Bundespolitik gebraucht werden, um in Institutionen politisch gestaltend zu wirken. Bislang ist die AfD in den zahllosen Gremien, Bei- und Aufsichtsräten auf kommunaler und Landesebene nur sporadisch vertreten. Doch gerade auf dieser Ebene vermittelt sich Macht und Einfluss im vorpolitischen Raum, finden informelle Absprachen statt, werden Netzwerke aufgebaut und gepflegt.

Immerzu nur auf die Erfolge der AfD zu starren, geht fehl. Vielmehr gilt es, aus den Niederlagen der Partei gerade auf kommunaler Ebene zu lernen. Die für die AfD verlorenen Stichwahlen um kommunale und regionale Ämter in Nordhausen, Bitterfeld und Seelow sind angesichts ihres knappen Ausgangs kein Grund für Jubel. Doch es ist jede Mühe wert, Schlüsse aus den Niederlagen der AfD auf lokaler Ebene zu ziehen, wie der weitere Aufstieg der Partei zu begrenzen wäre. Ohne den hohen Stimmenanteil der AfD in den Kommunen schönzureden, zeigt das Scheitern der AfD in bestimmten lokalen Konstellationen von Stichwahlen, dass der Erfolg der AfD kein durch den Bundestrend vermittelter Automatismus ist.

Marcel Hartwig

lebt in Leipzig und Halle. Er ist in der Jugendarbeit tätig.

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