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Vier Jahre Frühlings­revolution

In Myanmar hält der Widerstand gegen die Militärjunta an – trotz massiver Repression und der Auswirkungen des Erdbebens 

Von Elias König und Immanuel Nikelski

DAs Bild zeigt bewaffnete Kämpfer*innen in Myanmar die in mehreren Reihen stehen. Sie tragen Militärkleidung und Gewehre im Anschlag. Sie stehen auf einem stabigen Platz, mit Bäumen im Hintergrund
Bewaffnete Kämpfer*innen in Myanmar. Die 2021 ausgerufene Frühlingsrevolution gegen die Militärregierung geht nun bereits ins fünfte Jahr. Foto: William Yang

Es ist Sonntagmorgen in einem unscheinbaren Frühstückscafé in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh. Von außen ist der Laden kaum zu erkennen, doch im Inneren herrscht reges Treiben. Eine Gruppe von Freiwilligen in blauen Westen verkauft Süßigkeiten und reicht eine Spendenbüchse herum. Sie sind Angehörige aus der burmesischen Diaspora und Teil eines informellen Netzwerks, das weltweit Spenden für den bewaffneten Widerstand gegen die Militärherrschaft in Myanmar sammelt. Im Februar 2021 hatten die berüchtigten Streitkräfte, die Tatmadaw, sich in dem südostasiatischen Land an die Macht geputscht (ak 669). Die Mitglieder der im Vorjahr demokratisch gewählten Regierung wurden verhaftet, darunter auch die Friedensnobelpreisträgerin und Generalsekretärin der Regierungspartie Nationale Liga für Demokratie, Aung San Suu Kyi. Der zum neuen Staatschef erklärte General Min Aung Hlaing und das Militär führen seither einen grausamen Krieg gegen die eigene Bevölkerung: Medien sprechen von mehr als zwanzigtausend politische Gefangenen, Folter und Massentötungen an Oppositionellen und Zivilist*innen sowie systematischer sexualisierter Gewalt.

Hinzu kommt, dass Myanmar im März 2025 das schwerste Erdbeben seit über hundert Jahren erlebt hat. Besonders betroffen waren die Hügelregion Sagaing und Mandalay, die zweitgrößte Stadt des Landes. Mindestens fünftausend Menschen starben, wobei die genauen Zahlen angesichts des laufenden Konfliktes unmöglich zu verifizieren sind. Auch mehr als einen Monat nach dem Erdbeben werden in der Hitze von Mandalay unter den zahlreichen eingestürzten Häusern verschüttete Leichname gefunden. Augenzeugen berichten einhellig von einem beißenden Geruch der Verwesung und von der Furcht, dass sich angesichts der bald beginnenden Regenzeit rasch Krankheiten ausbreiten könnten. Dass die Bergungsarbeiten nicht schneller vorangehen, ist auch der politischen Situation geschuldet. Die von der Militärjunta verhängten Internetsperren bestehen auch nach dem Erdbeben weiter, was den Informationsfluss erheblich erschwert. Ausländischen Journalist*innen wird inzwischen systematisch die Einreise verwehrt. Und trotz mehrfacher Bekenntnissen zu einer Feuerpause fliegt die Armee weiterhin Luftangriffe gegen widerständige Gebiete – laut Vereinten Nationen kamen bei 243 Angriffen seit dem Erdbeben bereits mehr als 200 Zivilist*innen ums Leben.

Militär zurückgedrängt

In Myanmar, das bereits von 1962 bis 2011 von einer Militärjunta regiert worden war, herrscht seit dem Putsch aber auch entschlossener Widerstand (ak 678). Federführend war dabei zunächst das Civil Disobedience Movement (CDM), die Bewegung für zivilen Ungehorsam, die landesweite Generalstreiks im öffentlichen Dienst gegen den Militärputsch organisierte. Viele der Beteiligten sind inzwischen untergetaucht oder geflohen und arbeiten weiter als Ärzt*innen oder Lehrer*innen in den durch Widerstandskämpfer*innen befreiten Gebieten. Unterstützt durch das CDM konnte sich die 2020 demokratisch gewählte Regierung als National Unity Goverment (NUG) neu organisieren und konsolidieren. Der bewaffnete Arm der Schattenregierung, die People’s Defence Force (PDF), konnte letztes Jahr signifikante Landgewinne verkünden und kontrolliert inzwischen gemeinsam mit Verbündeten einen Großteil des Landes. Einer Analyse des britischen Senders BBC zufolge kontrolliert das Militär nur noch 21 Prozent der gesamten Landfläche, wenngleich es weiterhin über die Lufthoheit und strategisch wichtige Infrastruktur verfügt.

Der Kampf gegen das Militär wird durch Aktivist*innen in der Diaspora und solidarische Gruppen weltweit unterstützt. In dem kleinen Frühstückscafé in Taipeh erzählt der Organisator Koko Thu, dass er als Student nach der gescheiterten Revolution von 1988 einst selbst vor der Junta fliehen musste – nun sei es an der Zeit, die neue Generation zu unterstützen. Seit drei Jahren würden sie hier wöchentlich Geld sammeln, für Waffen, Flüchtlingshilfe und Erdbeben-Rettungsarbeiten. Aber aufzugeben, das sei eben auch keine Lösung.

Unterstützung aus dem Exil

Auch in Deutschland ist der Widerstand bestens vernetzt. Der Verein German Solidarity Myanmar (GSM), der sich 2021 nach dem Militärputsch gründete, berichtet wöchentlich über die Situation in Myanmar, sammelt Spenden, unterstützt Geflüchtete, und wendet sich mit Reports und offenen Briefen immer wieder an Politik und Öffentlichkeit. Eine Sprecherin der Gruppe ist Nyein Chan May. Sie war bereits vor dem Putsch in Myanmar politisch aktiv, engagierte sich in der feministischen Bewegung und gründete eine studentische Gewerkschaft mit, bevor sie zum Studium nach Deutschland kam. Myanmar sei zwar weit weg, sagt Nyein Chan May gegenüber ak, aber die deutsche Regierung könne mehr tun. So seien die Menschen in den befreiten Gebieten beispielsweise schon jetzt auf Unterstützung im Aufbau der öffentlichen Daseinsvorsorge angewiesen.

Ebenfalls im Exil in Deutschland lebt eine der prominentesten Gewerkschafter*innen Myanmars. Khaing Zar Aung arbeitete selbst in der Textilindustrie in Myanmar und Thailand und wurde später Präsidentin der Industriegewerkschaft IWFM (Industrial Workers Federation of Myanmar), sowie Mitglied im Zentralkomitee des Gewerkschaftsdachverbandes CTUM. Unabhängige Gewerkschaftsarbeit sei unter der Militärjunta unmöglich, schreibt sie uns, seit 2021 müsse CTUM aus dem Untergrund operieren. Erst vor kurzem sei das Hauptquartier der Organisation vom Militär aus Kampfjets mit Raketen beschossen worden. Ihre Genoss*innen hätten im Dschungel auf Hängematten übernachten und an sichere Orte fliehen müssen. Trotz aller Widrigkeiten publizieren die Gewerkschafter*innen um Khaing Zar Aung weiterhin jährlich detaillierte Reports zur Lage der Arbeiter*innen in Myanmar. Besonders in der Textilindustrie monieren sie immer wieder systematische Zwangsarbeit, Lohnraub und andere ausbeuterische Praktiken. Außerdem kritisieren sie, dass das Militär auch an den Einkünften von myanmarischen Arbeiter*innen im Ausland mitverdient, indem die von der Junta kontrollierten Banken bei Auslandsüberweisungen exorbitante Raten verlangen. Auch die Zwangseinziehungen zum Wehrdienst, die sich seit einer entsprechenden Regelung im Februar 2024 häufen, stellen laut den Gewerkschaften eine Form der Zwangsarbeit dar.

Nicht zuletzt dank der Arbeit des Widerstands bleibt die Junta vier Jahre nach dem Putsch weitgehend isoliert und geächtet.

Nicht zuletzt dank der Arbeit des Widerstands bleibt die Junta vier Jahre nach dem Putsch weitgehend isoliert und geächtet. Ausgerechnet das Erdbeben bietet den Generälen nun eine Gelegenheit, sich auf der internationalen Ebene zu profilieren. Die Strategie scheint aufzugehen: Bereits wenige Wochen nach dem Erdbeben empfing der malaysische Premier Anwar Ibrahim den Juntachef Min Aung Hlaing und verkündete im Namen der Staatengemeinschaft ASEAN, angesichts der humanitären Situation müsse mit allen Beteiligten gesprochen werden. Für den Herbst hat die Junta nun sogar Wahlen in den von ihr kontrollierten Gebieten angekündigt, um ihre Herrschaft demokratisch zu legitimieren. Aus Sicht der Widerständigen ist klar, dass es sich dabei um eine Farce handelt. Sie verweisen auf die Operation 1027, die seit dem 27. Oktober 2023 andauernde, gegen die Junta gerichtete Militäroffensive der PDF und anderer Rebellengruppen, die sich im Vorfeld der Wahlen zuspitzen könnte. Inwiefern die verschiedenen Gruppen an die überraschenden militärischen Erfolge der letzten Jahre anknüpfen und auch in den Machtzentren der Junta Gebietsgewinne erzielen können, bleibt angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse jedoch abzuwarten.

Flucht vor Repression

Eine enorm wichtige Rolle für die militärischen Erfolge des Widerstands spielen die Ethnic Armed Organizations (EAOs), darunter einige größere und zahlreiche kleinere Armeen, die bereits seit Jahrzehnten gegen die Tatmadaw kämpfen. In Myanmar leben neben der Volksgruppe der Bamar über hundert ethnischen Minderheiten, deren Konflikte einst von der britischen Kolonialpolitik gezielt politisiert und angeheizt wurden. Cendana (Name geändert)* war selbst einige Zeit Mitglied einer EAO und hält weiterhin Kontakt zu ihren ehemaligen Mitstreiter*innen. Aus dem Exil berichtet sie, wie sich die Dynamik innerhalb der Truppe seit dem Putsch geändert hat: »Seit 2021 haben wir viel mehr Neuzugänge zu vermelden. Die meisten neuen Freiwilligen sind junge Schüler*innen oder Studierende aus den Großstädten, die vor den Repressionen des Militärs in unsere Region geflohen sind. Viele von ihnen sind Bamar, während unsere Leute etwas älter sind und unsere eigene Sprache sprechen.« Immer wieder gäbe es auch politische Differenzen, etwa als die Genoss*innen ein Foto vor dem Portrait der Politikerin Aung San Suu Kyi machen wollten. »Für viele von uns mit Minderheiten-Background ist sie keine Heldin. Die Demokratie, von der oft geredet wird, war uns gegenüber nie inklusiv. Wir kämpfen nicht für eine*n bestimme*n Anführer*in oder eine bestimmte ethnische Gruppe, sondern für eine echte Demokratie für alle.«

Selbst im Falle einer erfolgreichen Revolution blieben also viele Fragen über die Zukunft des Landes zu klären. Immer wieder wird das Stichwort demokratischer Föderalismus als politische Vision für ein postrevolutionäres Myanmar genannt, unter anderem von der NUG-Schattenregierung. Doch auch daran gibt es Kritik, etwa von muslimischen Aktivist*innen. Für Minderheiten wie die Rohingya (ak 711), die in keinem der Bundesstaaten die Mehrheit der Bevölkerung stellen und bereits in der Vergangenheit der genozidalen Gewalt der buddhistischen Mehrheit im Rakhine-Staat ausgesetzt waren, sei es schwer, eine solche Vision zu akzeptieren. Dass aber eine Auseinandersetzung über eine Zukunft jenseits der Militärdiktatur zwischen verschiedenen Generationen und ethnischen Gruppen überhaupt stattfinden kann, ist dem unermüdlichen Widerstand zu verdanken.

Elias König

promoviert an der Universität Twente zur politischen Theorie der Klimakrise. Er ist der Autor von »Klimagerechtigkeit – Warum wir eine sozial-ökologische Revolution brauchen« (Unrast).

Immanuel Nikelski

studierte Chinastudien in Berlin und Umweltwissenschaften in Taiwan, beschäftigt sich seit 2021 mit dem Militärputsch in Myanmar und den Folgen für die Zivilbevölkerung.