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Warum Verhandlungen her müssen

Das »Manifest für Frieden« von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sorgt für scharfe Kritik – zu Recht?

Von Sebastian Friedrich

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer vor einer grauen Gardine.
Sieht so eine Querfront aus? Foto: Screenshot Youtube

Fast eine halbe Millionen Menschen haben das »Manifest für Frieden« binnen einer Woche unterzeichnet; in Zeiten der Petitionen-Inflation eine beeindruckende Zahl. Darin fordern federführend Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer den Bundeskanzler auf, sich für Friedensverhandlungen einzusetzen. 

Neben Befürwortungen hagelt es scharfe Kritik von Linksliberalen bis Linksradikalen. Das Manifest würde sich auf die Seite Russlands schlagen, heißt es etwa. Manche meinen, Russlands Verantwortung für den Krieg würde unter den Tisch fallen, obwohl im zweiten Absatz von der »von Russland brutal überfallenen ukrainischen Bevölkerung« die Rede ist. 

Der zentrale Vorwurf vieler Linker: Hier formiere sich eine Querfront, schließlich fänden sich unter den Erstunterzeichner*innen auch der ehemalige CSU-Politiker Peter Gauweiler, die umstrittene Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und der Brigadegeneral a.D. Erich Vad, der 2003 in der ersten Ausgabe der neurechten Zeitschrift Sezession einen Artikel veröffentlicht hatte. Dem Manifest wird auch zur Last gelegt, dass sich das faschistische Compact-Magazin positiv auf die Petition beruft und der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla zu den Unterzeichner*innen gehört.

Gauweiler und Vad sind sicher Konservative, Guérot ist schwer zu klassifizieren, sicherlich ist sie keine Linke, eine extrem Rechte ist sie aber nicht. Auch müssen die drei Namen im Gesamtkontext betrachtet werden, schließlich zählen zu den Unterzeichner*innen auch der Foodwatch-Gründer Thilo Bode, die linken Wissenschaftler Wolfgang Streeck, Ulrich Brinkmann, Christoph Butterwegge und Hajo Funke. Die beiden Letztgenannten beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Ideologie, Personal und Strategie der extremen Rechten in Deutschland.

Trotz aller Abstriche und auch trotz der mehr als bedauerlichen Einladung von Oskar Lafontaine ist das Kernanliegen des Manifests begrüßenswert.

Der Querfront-Vorwurf übergeht, dass es seit jeher eine Strategie der Rechten ist, sich thematisch an den politischen Widersacher heranzumachen, um ihn zu schwächen. Chrupalla und andere hätten wohl auch unterschrieben, wenn im Aufruf der russische Imperialismus stärker oder Nationalismus jedweder Couleur grundsätzlich kritisiert worden wäre. 

Gerade mit Blick auf die angekündigte Demonstration in Berlin am 25. Februar hätte es dem Manifest trotzdem gut gestanden, sich deutlich von Nationalismus abzugrenzen, wie es etwa ein aktueller gemeinsamer Aufruf von Attac, der Deutschen Friedensgesellschaft, VVN-BdA u.a. getan hat. Dieser stellt nicht nur klar, dass Gruppen aus dem nationalistischen Spektrum bei ihren Aktionen keinen Platz haben, sondern macht sich etwa für humanitäre Visa und Asyl für Deserteure stark und benennt die Folgen des Krieges für den Globalen Süden. Dass nun mit Oskar Lafontaine ein Erstunterzeichner des Manifests sagt, dass auch AfD-Wähler*innen und AfD-Politiker*innen am 25. Februar in Berlin mitdemonstrieren dürfen, ist leider das Gegenteil einer klaren Abgrenzung. 

Am Text des Manifests selbst gibt es auch einiges zu kritisieren: Eine deutlichere Kritik der russischen Aggression etwa wäre angebracht, auch die Einengung auf Gefahren für die Bevölkerung in Deutschland schwächt das eingangs der Petition formulierte Leid der unmittelbar Betroffenen. 

Trotz aller Abstriche und auch trotz der mehr als bedauerlichen Einladung von Oskar Lafontaine ist das Kernanliegen des Manifests begrüßenswert, gerade da die Stimmen, die immer mehr Waffenlieferungen fordern, immer lauter werden. Nach Kampfpanzern wird nun über Kampfjets diskutiert – in der vermeintlichen Gewissheit, man könne der Atommacht Russland eine echte Niederlage zufügen. Selbst Olaf Scholz scheint inzwischen entsetzt zu sein über Bellizismus und Kriegsbegeisterung so mancher in der Regierungskoalition. Stimmen, die nach Verhandlungen rufen, müssen sich schnell mit dem Vorwurf auseinandersetzen, aufseiten des autoritären Regimes in Russland zu stehen. 

Erfolgreiche Verhandlungen unter aktuellen Voraussetzungen wären gewiss nicht ohne territoriale Zugeständnisse an den russischen Imperialismus zu haben. Das ist schlecht. Doch noch schlechter ist wohl die Alternative dazu: ein ewiger Abnutzungskrieg, in den ständig neue Waffen und Leichen von morgen an die Front geschickt werden, mit immer mehr Toten, die für eine Sache sterben, die im Kern nicht ihre ist. Zudem ein Abnutzungskrieg, über den ständig das Damoklesschwert eines Atomkriegs schwebt, der nicht dadurch unwahrscheinlicher wird, dass man sich an den Gedanken nach einem Jahr Krieg schrecklicherweise schon gewöhnt hat.

Sebastian Friedrich

ist Journalist und Autor aus Hamburg. 2019 erschien beim Berliner Bertz und Fischer Verlag sein Buch »Die AfD. Analysen, Hintergründe, Kontroversen« in dritter und überarbeiteter Auflage.