analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

0

|ak 719 | International

Eskalation in der Karibik

Die Trump-Regierung droht Venezuela offen – ein Umsturz ist dort dennoch nicht in Sicht

Von Tobias Lambert

Auf dem Bild ist eine Person mit langen dunklen Haaren und einer roten Cap zu sehen, die ein Plakat hält: Hands off Venezuela steht da drauf. Außerdem schwenkt die Person eine kleine Venezuela-Flagge
Neu ist die Angst vor einer US-Invasion oder einem Putsch nicht. Schon früher gab es dagegen Proteste, wie hier 2019 in London. Foto: RevolutionaryCommunistParty /Flickr, CC BY 2.0

Es waren bedrohliche Worte, die der US-Präsident Donald Trump am 5. Oktober wählte: »Sie kommen nicht mehr auf dem Seeweg, also müssen wir uns jetzt auf dem Land umsehen.« Zuvor hatte er beiläufig erwähnt, dass das US-Militär vor der venezolanischen Küste erneut ein angebliches »Drogenboot« versenkt habe. Mit der Begründung, gegen internationale Drogenkartelle vorgehen zu wollen, griffen die USA zwischen Anfang September und Anfang Oktober nach eigenen Angaben mindestens fünf Boote mit Raketen an und töteten dabei mindestens 21 Menschen. Belege dafür, dass tatsächlich Drogen transportiert wurden, gibt es nicht. Auch über Warnungen an die Besatzung oder Versuche, die Boote auf hoher See zu stoppen, ist nichts bekannt. Doch für die US-Regierung spielt das keine Rolle. Sie nimmt für sich in Anspruch, mit Methoden der Terrorismusbekämpfung gegen den Drogenschmuggel vorzugehen und bezeichnet die unbekannten Bootsinsassen als »Narcoterroristen«.

Wenige Tage vor den Angriffen hatte die US-Regierung dem Kongress gegenüber erklärt, sich mit den Drogenkartellen »im bewaffneten Konflikt« zu befinden. Indem Trump die Getöteten als »illegale Kämpfer« einstuft, will er das militärische Vorgehen und die Tötungen legitimieren, die internationale Rechtsexpert*innen als außergerichtliche Hinrichtungen bezeichnen. Denn selbst wenn es sich um Drogenschmuggler*innen gehandelt haben sollte, gelten diese rechtlich als Zivilist*innen und keineswegs als militärische Ziele. 

Trumps Äußerungen schüren indes Befürchtungen, dass die US-Regierung ihren militärischen Radius bald schon ausweiten könnte. Eine Militärinvasion Venezuelas gilt aufgrund des Aufwandes zwar als äußerst unwahrscheinlich. Laut einem NBC-Bericht von Ende September bereiten die USA aber konkrete Militärschläge innerhalb Venezuelas vor, die bereits im Laufe des Oktobers beginnen könnten. Entschieden sei jedoch noch nichts. 

Fantasiekartelle im Transitland

Die genauen Ziele der militärischen Drohgebärden sind nach wie vor unklar. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro wirft der US-Regierung vor, einen Regierungswechsel erzwingen zu wollen und es auf die Erdölvorräte Venezuelas abgesehen zu haben. Der »Kampf gegen Drogenhandel« jedenfalls scheint nur vorgeschoben zu sein.

Hatte Trump Maduro während seiner ersten Amtszeit (2017 bis 2021) mittels Sanktionen und einer Politik des »maximalen Drucks« stürzen wollen, zeigte er sich nach seinem neuerlichen Amtsantritt im Januar dieses Jahres erst einmal zurückhaltend. In der Venezuela-Politik der US-Regierung gab zunächst Trumps Sondergesandter Richard Grenell statt Außenminister Marco Rubio den Ton an, der als Hardliner gilt. Durch direkte Gespräche mit Maduro konnte Grenell etwa die Freilassung aller in Venezuela inhaftierter US-Amerikaner*innen erreichen. Zudem verlängerte Trump die Sonderlizenz für den US-Erdölkonzern Chevron, der unter Auflagen weiterhin in Venezuela tätig sein darf. 

Außerhalb des rechten Randes um María Corina Machado, die gerade mit dem Friedensnobelpreis bedacht wurde, stößt das Vorgehen der US-Regierung auch in der Opposition auf breite Ablehnung.

Im August aber änderte sich das Bild. Die USA erhöhten das Kopfgeld zur Ergreifung Maduros von 25 auf 50 Millionen US-Dollar – doppelt so viel wie einst auf Osama Bin Laden ausgesetzt war. Als Begründung heißt es unter anderem, die politische und militärische Führungsriege des Chavismus sei tief in den Drogenhandel verstrickt und leite das sogenannte Sonnenkartell (Cartel de los Soles). Dass innerhalb des venezolanischen Militärs bestimmte Gruppen zumindest die Transitrouten protegieren, gilt als wahrscheinlich. Für die Behauptung, in Venezuela bestehe seit Anfang der 1990er Jahre ein Sonnenkartell gibt es jedoch keinen Beleg. Vielmehr wird die Geschichte seit Jahren immer wieder einmal hervorgekramt, um Venezuela als Gefahr für die regionale Stabilität darzustellen. Anfang August stufte die US-Regierung das vermeintliche Kartell, das Expert*innen allenfalls als loses Netzwerk ohne feste Hierarchien beschreiben, offiziell als terroristische Gruppe ein. Bereits im Februar erhielten weitere Kartelle und kriminelle Gruppen, darunter das mexikanische Sinaloa-Kartell sowie die venezolanische Megabande Tren de Aragua eine ähnliche Einstufung. Der Tren de Aragua ist dabei bisher gar nicht für großflächigen Drogenhandel bekannt. Laut dem UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) spielt Venezuela als Transitland ohnehin nur eine untergeordnete Rolle gegenüber den Pazifikrouten über Kolumbien und Ecuador oder die Landroute über Zentralamerika.

Was will Trump?

Laut der New York Times unterzeichnete der US-Präsident im August zudem ein geheimes Dekret, das den Einsatz militärischer Mittel gegen Drogenkartelle ohne Zustimmung des Kongresses ermöglicht. Seitdem hat die US-Regierung Kriegsschiffe mit Lenkraketen und etwa 7.000 Soldat*innen, Aufklärungsflugzeuge sowie ein atomgetriebenes U-Boot in die südöstliche Karibik entsandt. Zudem ließ sie F35-Kampfjets in Puerto Rico stationieren. Der Verteidigungsminister Venezuelas, Vladimir Padrino López, erklärte Anfang Oktober, fünf dieser Flugzeuge hätten sich als Provokation der venezolanischen Seegrenze genähert. 

Ob Trump tatsächlich auf die Spaltung des venezolanischen Militärs und den Sturz Maduros zielt, Lateinamerika in die klassische Hinterhof-Rolle zurückdrängen, den Einfluss Chinas eindämmen oder nur die Muskeln spielen lassen will, um bestimmte Fraktionen innerhalb seiner Regierung zu bedienen, bleibt bislang ungewiss. In Venezuela dürften Washingtons Drohgebärden eher die Regierung stärken, die zur »nationalen Einheit« aufruft. Außerhalb des rechten Randes der Opposition um María Corina Machado, die gerade mit dem Friedensnobelpreis bedacht wurde, stößt das Vorgehen der US-Regierung auch bei Regierungskritiker*innen auf breite Ablehnung. Politisch spielt die untergetauchte Machado seit der letztjährigen Präsidentschaftswahl, die von Betrugsvorwürfen überschattet war, keine bedeutende Rolle mehr.

Die venezolanische Regierung reagierte auf die Drohungen bislang mit der Mobilisierung von Freiwilligen der Miliz, die zur Landesverteidigung herangezogen werden kann. Auch erklärte Maduro eine Teilmobilisierung des Militärs, das im Küstenbereich zudem verstärkt gegen möglichen Drogenhandel vorgehen soll. Im Falle einer Invasion will der venezolanische Präsident zum bewaffneten Kampf übergehen. Laut offiziellen Angaben hat Maduro aufgrund der externen Bedrohung Ende September zudem ein Dekret unterzeichnet, um einen Ausnahmezustand zu verhängen. Dies könnte ihm im Falle von Angriffen auf das Territorium mit weitreichenden Vollmachten ausstatten und die Einschränkung bestimmter Grundrechte ermöglichen. Da das Dekret bis Anfang Oktober nicht veröffentlicht wurde, ist jedoch unklar, welche Maßnahmen es im Einzelnen enthält. 

Inmitten der wachsenden Eskalation steht auch die Aufnahme direkter Gespräche zwischen Washington und Caracas im Raum. Als Vermittler könnte dabei Katar fungieren. Maduro hatte sich gesprächsbereit gezeigt, Trump lehnt einen Dialog bisher ab und besteht auf Maduros Abtritt. Lediglich zur Abwicklung von Abschiebeflügen aus den USA nach Venezuela bestehen zwischen beiden Ländern weiterhin Kommunikationskanäle. 

Tobias Lambert

arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 64 Euro, Sozialpreis 42 Euro) liest du jeden Monat auf 32 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Du kannst ak mit einem Förderabo unterstützen.