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|ak 694 | Geschlechter­­verhältnisse

Selbstbetrug statt Selbstbestimmung

Queere Verbände verkaufen die geplante Reform der rechtlichen Anerkennung für trans und inter Personen als Fortschritt – was sie nicht ist

Von Mine Pleasure Bouvar

Menschen auf einer Demo mit einer Fahne, auf der steht "Anti-Transphobia - Solidarität"
Proteste gegen Transfeindlichkeit und für Selbstbestimmung sind auch nach der Gesetzesreform notwendiger denn je. Foto: Tomas Castelazo/Wikimedia Common, CC BY 4.0

Als historische Chance wurde die anstehende Gesetzesänderung bezeichnet, die die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag für trans- und intergeschlechtliche Personen vereinfachen soll. Einen Meilenstein nannte Sven Lehmann (Grüne), Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, das geplante Selbstbestimmungsgesetz zum Geschlechtseintrag (SBGG).

Der vorliegende Entwurf bleibt hinter diesen Ankündigungen zurück. Grundlegende Verbesserungen lassen sich an einer Hand abzählen: Künftige Verfahren sollen vereinfacht werden, indem der Zwang psychiatrischer Begutachtung und teure, langwierige Gerichtsverfahren entfallen, ebenso wie pathologisierende Atteste für inter Personen. Zudem wird die Personenstandsänderung nicht mehr an die Staatsangehörigkeit geknüpft, sondern wird für Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland ermöglicht – ohne Nachweis vergleichbarer Regelungen im Herkunftsland nachweisen zu müssen, wie bisher. Ein wichtiger Spielraum für trans und inter Refugees und migrantisierte Personen.

Weiterhin soll das bisher nur im sogenannten Transsexuellengesetz (TSG) vorgesehene Offenbarungsverbot, das vor Zwangsoutings schützen soll, auch auf intergeschlechtliche Personen ausgeweitet und mit der Möglichkeit einer Bußgeldforderung versehen werden. Allerdings bleibt es mit den vorgeschlagenen Ausnahmen für (Ex-)Lebenspartner*innen und Verwandte sowie der Nachweispflicht des Vorsatzes aufseiten der Betroffenen bei Missachtung der Namensänderung und des eingetragenen Geschlechts eher zahnlos.

Schließlich findet sich eine kleine Verbesserung für das Passgesetz, das bislang keine echte Option für Personen mit gestrichenem oder diversem Geschlechtseintrag vorsah. Nun soll zwischen männlich und weiblich als Eintrag gewählt werden können, um Schwierigkeiten bei Grenzübertritten zu vermeiden, die bei nichtbinären Einträgen im Pass mitunter erschwert oder unmöglich sind. 

Politischer Opportunismus auf dem Rücken von trans Frauen

Der Blick auf die kritischen Punkte des Gesetzentwurfs macht klar: Der große Wurf zur Beendigung vergeschlechtlichter Unterdrückung per Reform bleibt aus. Bevormundungen durchziehen den gesamten Entwurf. So beispielsweise die Regelung, dass eine Rückänderung des Geschlechtseintrags außer in Ausnahmefällen auch nach sich zieht, den alten Namen wieder annehmen zu müssen. Angesichts der großen Lücken des Gesetzentwurfs stellt sich die Frage, warum ausgerechnet hier gesetzgebender Hirnschmalz aufgewendet wurde.

Mehr noch: Gegenüber Minderjährigen soll das SBGG regeln, dass die Personenstandsänderung bis zum 14. nur von Erziehungsberechtigten beantragt werden und bis zum 18. Lebensjahr die Änderung zwar selbst angestoßen, aber nur mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten oder per Familiengericht gewährt werden kann. Während 14-Jährige in Deutschland bedingt strafmündig sind und ihnen genügend Selbstbestimmung zugestanden wird, über ihre konfessionelle Zugehörigkeit zu bestimmen, sollen höchstpersönliche Aussagen über das eigene Geschlecht augenscheinlich mit anderem Maß gemessen werden.

Der große Wurf zur Beendigung vergeschlechtlichter Unterdrückung per Reform bleibt aus.

Ebenso werden Volljährige in rechtlicher Betreuung ableistisch bevormundet, für die analog zu Jugendlichen bis 18 die Betreuung über die Änderung nach SBGG entscheiden soll. Hier bleibt der Entwurf noch hinter dem TSG zurück, das keine solche Einschränkung kennt.

Weiter soll es eine Dreimonatsfrist geben, bis per SBGG vorgenommene Änderungen rechtskräftig werden, danach wird bevormundend vorgeschrieben, dass eine erneute Personenstandsänderung erst nach einem Jahr wieder möglich ist – außer für Minderjährige, für die diese Sperre nicht gilt. Es bleibt zu vermuten, dass damit queerfeindlichen Eltern in die Hände gespielt werden soll, die ihren Kindern die Entscheidung mies machen wollen, nach dem Motto »Überleg’s dir doch noch einmal«. In Sachen Elternschaft versteigt sich der Entwurf in biologisierende Zwänge darüber, wer »Mutter« und »Vater« sein darf und wer nicht, und beweist: Eine Reform des Abstammungsrechts und eine Stärkung nicht-heteronormativer Elternschaften und Familienmodelle ist überfällig. Mit den vorgeschlagenen Paragrafen des SBGG stehen trans und inter Eltern vor einem Spießrutenlauf aus Zwangsoutings und einer unnötigen Verkomplizierung ihres Alltags.

Klarheit über den Stoff, aus dem der Entwurf gestrickt wurde, findet sich in den Paragrafen 6 und 9. Paragraf 6 soll künftig regeln, wie und wo sich Personenstandsänderungen nach SBGG auswirken. So wird klargestellt, dass Veranstalter*innen oder Geschäftsinhaber*innen zwar nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) trans und inter Personen nicht pauschal ausschließen dürfen, das Haus- und Vertragsrecht aber Ausschlüsse legitimiert, die mit dem Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit begründet werden.

Aus juristischer Sicht sind solche Paragrafen, die nichts anderes sagen, als dass das AGG und das Haus-/Vertragsrecht gelten, völlig obsolet, da sie im Grunde nichts festlegen. Realistisch betrachtet ist es aber vor allem eine Einladung auf dem Silbertablett, Menschen, die nicht in die Geschlechternormen passen, im öffentlichen Raum mit fadenscheinigen Begründungen zu belästigen und von bestimmten Einrichtungen auszuschließen. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, die Personenstandsänderung regele lediglich das Verhältnis zwischen »Bürger und Staat«, sodass einzelne Einrichtungen jeweils eigene Regelungen treffen können, die nicht zwingend vom Personenstandseintrag abhängen. Als Beispiele aufgeführt werden Frauensaunen, öffentliche Toiletten und Frauenschutzhäuser – aber auch die Unterbringung im Knast.

Im Klartext: Der Gesetzentwurf übernimmt das Framing organisierter politischer Transfeindlichkeit.

Letzteres macht stutzig: Denn in kaum einem anderen Kontext tritt das Verhältnis »Bürger-Staat« stärker zutage als in Sachen Justizvollzug, der dementsprechend auch nicht hausrechtlich geregelt ist. Bereitet Justizminister Marco Buschmann (FDP) hier eine Privatisierung vor, damit es mit der Ausbeutung billiger Gefängnisarbeit nach US-amerikanischem Vorbild besser klappt?

Paragraf 9 regelt die »Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Spannungs- und Verteidigungsfall«. Demnach ist es trans Personen, die bei der Geburt männlich zugeordnet wurden, untersagt, ihren Geschlechtseintrag zu ändern bzw. werden Änderungen, die zwei Monate vor Eintritt des Spannungs- und Verteidigungsfalles vorgenommen wurden, sogar rückgängig gemacht. War in einer früheren Version des Gesetzentwurfs noch eine Härtefallregelung vorgesehen, soll es nun keine Ausnahmen mehr geben. Hier werden transweibliche Personen abgestraft anhand einer unbegründeten vorgeblichen Sorge davor Personen würden nur transitionieren, um sich vor staatlich aufgezwungenen Verpflichtungen zu drücken. Die Erosion vergeschlechtlichter Hierarchien gräbt am Fundament des hegemonialen Status quo.

Dementsprechend tritt der Staat gewaltvoll auf, um diesen zu verteidigen. Es sei an die humanitäre Notlage erinnert, in die viele ukrainische trans Frauen durch eine vergleichbare Regelung im Zuge der Generalmobilmachung seit Ende Februar 2022 versetzt wurden, die sich aus Angst vor Zwangsrekrutierung verstecken mussten und das Land nicht verlassen durften.

Im Klartext: Der Gesetzentwurf übernimmt das Framing organisierter politischer Transfeindlichkeit, das trans Frauen und transweibliche Personen als Gefahr für die Gesellschaft dämonisiert, insbesondere Frauen und Mädchen. Mit fiktiven Schreckensszenarien von als Frauen verkleideten Sexualstraftätern in öffentlichen Toiletten, Umkleidekabinen und Frauengefängnissen, als Wehrdienstverweigerer oder als Betrüger mit unfairen Vorteilen im Sport werden trans Frauen unter Generalverdacht gestellt. Und der Entwurf des SBGG liefert argumentative Vorlagen zur transfeindlichen Segregation der Gesellschaft anhand der genderkritischen Stimmungsmache.

Reform statt Befreiung

Die Regierung aus SPD, Grüne und FDP ist hilflos bis offen für regressive Beeinflussungen aus der Feder der global vernetzten Anti-Gender-Bewegung, die Transfeindlichkeit als Vehikel für rechte Mobilisierung nutzt. Gerade die FDP zeigt nicht erst seit Marco Buschmann, wie bereitwillig sie sich mit Faschismus einlässt und hofft, dass die Mehrheitsgesellschaft die Thüringer Wahl Anfang 2020 schon vergessen hat. So weit, so absehbar die Konzessionen des liberalen Parlamentarismus.

Erschreckender ist, wie wenig Widerstand das in der queeren Verbändelandschaft auslöst. Der Umgang mit dem SBGG ist geprägt von Hilflosigkeit und der widersinnigen Hoffnung, mit Minimallösungen die queere Befreiung herbeizureformieren. Dabei geht unter, dass der Kampf um das SBGG eine komplette Niederlage für trans und inter Personen darstellt, die mit den Mitteln des Reformismus von der genderkritischen Bewegung gezielt herbeigeführt wurde. Die historische Chance entpuppt sich als organisierter Angriff auf trans und inter Rechte. Aus Angst, die »politischen Verbündeten« zu verärgern, wurde in der queeren Lobbyarbeit angesichts absehbarer Konzessionen nach rechts erstaunlich unkritisch reagiert. So wurde Buschmanns transmisogyner Totalausfall im Januar faktisch hingenommen, ohne zu bemerken, dass damit Kulturkampfrhetorik vom deutschen Justizminister als sagbar für die bürgerliche Mitte markiert wurde.

Der Versuch der Verbände, diese Niederlage als Fortschritt und Chance zu framen, ist beunruhigend und spielt der Reaktion in die Hände. Die Regierung, unter der Lützerath und die Wuhlheide geräumt wurden, die feministisch-außenpolitisch extreme Militarisierung finanziert und die eine weitere Verschärfung der europäischen Grenzpolitik anschiebt, braucht ein Feigenblatt progressiver Ästhetik für ihre fossile, neoliberal-imperialistische Legislatur. Und queere Institutionen lassen sich bereitwillig hierfür einspannen, wenn sie den Großteil ihrer Ressourcen auf eine Gesetzgebung verwenden, die die materiellen Bedürfnisse von trans und inter Personen kaum ändert oder sogar verschlechtert.

Die Welle der globalen Transfeindlichkeit ist Teil eines aktuellen Aufschwungs faschistischer Bewegungen, die dort Fuß fassen, wo linke Antworten fehlen, weil sie durch die Verbürgerlichung sozialer Bewegungen vereinnahmt wurden. Die mangelnde Widerstandsfähigkeit der queeren Verbände gegen die erwartbare Verschärfung der Situation seit Jahren ist hier beispielhaft. Im parlamentarischen Geschacher geht jede Möglichkeit verloren, die eigenen Kämpfe bündnisfähig zu machen, um ihnen eine stabile Massenbasis zu geben. Ein Meilenstein wäre ein Kurswechsel mit der Erkenntnis, dass Selbstbestimmung nicht von den Herrschenden per Gesetz erlassen wird, sondern immer erkämpft werden muss.

Mine Pleasure Bouvar

studierte irgendwas mit Kulturwissenschaften und lohnarbeitet jetzt freiberuflich als politische Bildner_in zu den Schwerpunkten Transfeindlichkeit, Transmisogynie und Faschismus-Studien. Als queerkommunistische Aktivist_in graswurzelt sie* an der Unterwanderung des Cistems.

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