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Rondenbarg-Prozess: Brachiale Polizeigewalt und Täter-Opfer-Umkehr

Von Christoph Kleine

Demobild, auf dem zwe Transparente zu sehen ist. Auf dem vorderen, in weißer Schrift auf rotem Grund steht "gemeinschaftlicher Widerstand". Im hinteren, auf schwarzem Grund steht "Solidarität mit allen inhaftierten Antifas"
Bei der Demo am 5. Dezember 2020 waren schwarz und rot die dominanten Farben. Das sah zwar sehr hübsch aus, doch die Zweifarbigkeit könnte auch zu einem Problem werden. Foto: Carina Book

Das Ergebnis zeigt, von wem die Gewalt ausging in der Straße »Am Rondenbarg« am ersten Tag des G20-Gipfels 2017 in Hamburg: Mehr als ein Dutzend schwer verletzte Aktivist*innen, zum Teil mit offenen Knochenbrüchen, während den Cops der berüchtigten Bundespolizeieinheit »Blumberg« nicht einmal ein Fingernagel abgebrochen ist. Videos bestätigen, dass die Einsatzkräfte plötzlich unter lautem Gebrüll über die etwa 200 Menschen herfielen, sie schlugen und zu Boden warfen. Andere versuchten, sich in Sicherheit zu bringen, wobei die schwersten Verletzungen entstanden.

Es braucht schon eine gehörige Portion zynischer Bosheit, um auch sechs Jahre später nicht die Verantwortlichen für diesen Gewaltexzess, sondern die Überfallenen vor Gericht zu zerren. Noch immer führt die Staatsanwaltschaft den politischen Auftrag des damaligen Hamburger Bürgermeisters und heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz aus, der öffentlich eine »harte Bestrafung der Täter« verlangte, ohne sich vom rechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltenteilung beirren zu lassen.

Scholz war seine schöne G20-Show, bei der er sich im Glanz der Staatsgäste sonnen wollte, gründlich danebengegangen. Statt des vollmundig angekündigten »Festivals der Demokratie« war die Hansestadt von über 30.000 Einsatzkräften in voller Bürgerkriegsausstattung besetzt, das alltägliche Leben ganzer Stadtteile lahmgelegt, die Versammlungsfreiheit auf 38 km² außer Kraft gesetzt. Dennoch bestimmten Bilder des Protests und Widerstands die Schlagzeilen. An die absehbar mageren politischen Ergebnisse des über 100 Millionen Euro teuren Fototermins erinnert sich zu Recht kaum jemand.

Zur Rachsucht gesellt sich bei der Hamburger Staatsanwaltschaft die autoritäre Absicht, die Rechtsgeschichte der BRD um Jahrzehnte zurückzudrehen. Seit einer Reform von 1970 kann wegen schweren Landfriedensbruchs nur noch verurteilt werden, wer selbst Gewalt anwendet oder eine Waffe bei sich führt. Zur Versammlungsfreiheit in der Nach-68er-BRD gehört es, an einer Demonstration teilnehmen zu können, ohne befürchten zu müssen, wegen der Taten anderer bestraft zu werden.

Allen sechs Beschuldigten werden keinerlei individuelle Taten, sondern nur die reine Anwesenheit vorgeworfen.

Doch genau das versucht die Anklage in dem nunmehr dritten Rondenbarg-Prozess: Allen sechs Beschuldigten werden keinerlei individuelle Taten, sondern nur die reine Anwesenheit vorgeworfen. Dafür muss die Realität gewaltig verbogen werden. Aus einem spontan im Camp gestarteten, gemischten Demonstrationszug mit Transparenten und Sprechchören, der zu den Blockadeaktionen in die Innenstadt wollte, macht die Staatsanwaltschaft eine einheitliche Gruppe mit dem alleinigen Ziel, schwere Straftaten zu begehen.

Damit geschieht im Großen das Gleiche, was viele Betroffene auch abseits von politischen Aktionen im Alltag erleben: Wer schikaniert und verprügelt wird, bekommt zur Rechtfertigung der Polizeigewalt noch ein Strafverfahren obendrauf. Das soll die Opfer einschüchtern und die fatale Kultur der Straflosigkeit für die Polizei aufrechterhalten.

Solidarität mit den Betroffenen und Angeklagten der Rondenbarg-Verfahren heißt zuallererst, die Legitimität, die Notwendigkeit und den Erfolg der Aktionen gegen den G20-Gipfel zu verteidigen. Es war die Hamburger Politik, die in diesem Konflikt auf der falschen Seite stand. Antidemokraten wie Donald Trump und Wladimir Putin waren die Ehrengäste des Senats. Es war die Hamburger Polizei, die mit äußerster Brutalität die Straßen für diese Putschisten und Kriegsverbrecher frei prügelte. Und es waren an die hunderttausend mutige Menschen, die sich von Campverboten, Gewaltdrohungen und Medienkampagnen nicht einschüchtern ließen, indem sie gemeinsam für globale Gerechtigkeit, gegen den Krieg und für eine Alternative zum globalen Kapitalismus auf die Straße gingen.

Der Zusammenhalt in der Bewegung, zwischen Moderaten und Radikalen, darf auch heute nicht enden, damit der Plan der autoritären Hardliner in der Staatsanwaltschaft nicht aufgeht und alle G20-Verfahren endlich eingestellt werden. Es gilt das Motto der riesigen Großdemonstration vom 8. Juni 2017: Grenzenlose Solidarität statt G20!

Christoph Kleine

ist aktiv in der Hamburger Ortsgruppe der Interventionistischen Linken.

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