analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 695 | International

Lukrative Doppelmoral

Die Taliban finanzieren sich trotz ihrer öffentlichen Positionierung gegen Drogen über den Opiumhandel

Von Hila Latifi

Taliban-Kämpfer sitzen auf einem in einem von ihnen übernommenen US-Militärfahrzeug. Um sie herum normaler Verkehr.
Taliban-Kämpfer in einem von ihnen übernommenen US-Militärfahrzeug im August 2021 in Kabul. Nachdem die USA und ihre Alliierten abrupt abgezogen waren, übernahmen die Taliban erneut die Kontrolle über das Land. Foto: Voice of America / Wikimedia , gemeinfrei

In den vergangenen Jahrzehnten haben verschiedene Mudschahedin-Gruppen, Warlords und Taliban-Milizen ihre Militärs durch den Anbau, die Verarbeitung und den Vertrieb von Opium und Heroin finanziert. Die kommerzielle Drogenproduktion in Afghanistan hat ihren Ausgangspunkt im von den Mudschahedin-Gruppen angeführten Dschihad im Jahr 1979, der von den USA und weiteren westlichen Ländern unterstützt wurde. Nach dem Zusammenbruch der von der Sowjetunion unterstützen sozialistischen Regierung Afghanistans und während des Krieges zwischen verschiedenen Mudschahedin-Gruppen von 1989 bis 1996 stieg die kommerziell betriebene Drogenindustrie zur wichtigsten illegalen Finanzierungsquelle in der Kriegsökonomie auf. Mit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 1996 konsolidierte sich die Kriegsökonomie. Die Taliban nutzten von da an die Drogenindustrie als staatliche Steuerquelle.

Mit dem Sturz der Taliban brach auch das Drogengeschäft zusammen – von 70 (2000) auf 12 Prozent (2001) Anteil an der weltweiten Opiumproduktion. Bis neue Akteure das Drogengeschäft wieder übernahmen.

Drogenbekämpfung während des Nato-Einsatzes

Unter der von den USA geführten Operation Enduring Freedom (OEF) und der International Security Assistance Force (ISAF) wurde ein Verbot für jede Form von Mohnanbau, Opiumproduktion und -handel verhängt. Die internationale Gemeinschaft unterstützte die Drogenbekämpfung und stellte 100 Millionen Dollar für Anti-Drogen-Programme zur Verfügung, von denen jedoch nur 2,5 Prozent tatsächlich genutzt wurden. Trotzdem boomte das Drogengeschäft wieder, und Afghanistan wurde erneut zu einem der Hauptakteure im globalen Opiumhandel.

Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 trug die Nordallianz zur Bildung der neuen Regierung bei. Bei der Nordallianz handelt es sich um ein Bündnis verschiedener Mudschahedin-Gruppen, die nach Abzug der Sowjettruppen für zahlreiche Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich waren.

Ein möglicher Grund für den erneuten drastischen Anstieg des Opiumhandels nach 2001 ist, dass diese ehemaligen Kriegsherren der Nordallianz sich in das neue politische System integrierten und als scheinbar legale Politiker in den neuen staatlichen Institutionen agierten. Gleichzeitig blieben sie in illegale Geschäfte aus der Kriegsökonomie verwickelt.

Die Taliban bleiben die größte von Drogen finanzierte Terrororganisation der Welt.

Weitere Bekämpfungsmaßnahmen richteten sich vorrangig an Bäuerinnen und Bauern. Beispielsweise förderte die Europäische Union das Projekt für alternative Lebensgrundlagen in Ostafghanistan (PAL) mit 20 Millionen Euro, das von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) geleitet wurde. Ähnliche Hilfsprojekte gab es auch von der United States Agency for International Development (USAID) und dem britischen Entwicklungshilfeministerium. Erfolge scheinen diese Maßnahmen nicht zu erzielen, da Afghanistan schnell wieder das Opiummonopol mit 93 Prozent des Weltanteils (2008) innehatte.

Unter dem Nato-Einsatz herrschte ein kriminalisierter Frieden. Die Drogenindustrie war lediglich ein Symptom der instabilen Nachkriegsordnung und zeigte, wie weit der politisch tolerierte Raum für die eigentlich illegale Drogen- und Schattenwirtschaft sowie des darauf aufbauenden politischen Systems unter der Führung der Nato ausgedehnt war.

Während sich die afghanische Polizei in dieser Zeit auf Bäuerinnen und Bauern sowie Händler konzentrierte, blieben die Hauptakteure weiterhin im Geschäft. Der damalige afghanische Innenminister Ali Ahmad Jalali hob im Februar 2004 die dominierende Rolle der Drogenhändler hervor: »In anderen Staaten schaffen Mohnbauern die Schmuggler, in Afghanistan schaffen Schmuggler Mohnbauern. Die Händler und nicht die Produzenten (Mohnbauern) sind die treibende Kraft.«

Schlafmohn war kein traditionell angebautes landwirtschaftliches Produkt in Afghanistan. Eine Opiumkultur existierte vor dem Krieg nicht. Die Kombination von äußeren Anreizen und internen Triebkräften erzeugte eine Wechselwirkung: Im Falle Afghanistans gab sie den entscheidenden Anstoß zur Entstehung der Drogenproduktion. Es waren ökonomische Gründe, die den Beginn und die Stabilisierung der Kriegsökonomie sowie deren spätere Umwandlung maßgeblich beeinflussten.

Das Opiummonopol der Taliban

Trotz ihrer öffentlichen Ablehnung von Drogen sind die Taliban nach wie vor die Hauptakteure in Drogenproduktion und -handel. Die Diskrepanz zwischen ihrer ideologischen Haltung und ihrer aktiven Beteiligung am Handel ist offensichtlich. Die kürzlich erlassenen Verbote haben zu einer Preiserhöhung von Opium geführt, sodass die Gewinne für das Regime nicht einbrechen dürften. Im Jahr 2022 stieg der Ertrag im Vergleich zu 2021 von 425 Millionen auf 1,4 Milliarden Dollar, trotz einer rund zehnprozentigen Reduzierung der Ernteerträge aufgrund einer Dürre zu Jahresbeginn.

Die Taliban bleiben damit weiterhin die größte von Drogen finanzierte Terrororganisation der Welt. Der Drogenhandel destabilisiert dabei nicht nur Afghanistan, sondern hat auch weitreichende soziale und gesundheitliche Folgen.

Die Taliban geben neben ihrem profitablen Geschäft vor, gegen Drogenkonsum in der Bevölkerung vorzugehen. Jedoch haben ihre bisherigen Maßnahmen keine nachhaltige und konsequente Wirkung. Stattdessen jagen sie obdachlose abhängige Menschen mit Waffen durch die Stadt und stecken sie anschließend in den kalten Entzug. Diese Aktionen mögen zwar für Aufmerksamkeit sorgen, haben mit effektiver Drogenpolitik allerdings nichts zu tun.

Es ist von entscheidender Bedeutung, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den Einfluss der Taliban auf den globalen Drogenhandel einzudämmen und die negativen Auswirkungen auf die afghanische Bevölkerung und darüber hinaus zu minimieren.

Effektive Strategien zur Bekämpfung des Drogenhandels erfordern eine umfassende Zusammenarbeit zwischen der internationalen Gemeinschaft und anderen Akteuren, um die Nachfrage nach Drogen zu reduzieren, die Drogenproduktion einzudämmen und alternative wirtschaftliche Möglichkeiten für die afghanische Bevölkerung zu schaffen. Nur so kann langfristig eine Verbesserung der Situation erreicht und die Finanzierung des Terrors der Taliban eingedämmt werden.

Hila Latifi

ist eine in Kabul geborene und in Hamburg lebende Aktivistin und politische Bildungsreferentin. Sie schreibt außerdem zu Afghanistan.