analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 692 | International

Zuerst trifft es die Geflüchteten

Italien nutzt Migration als Testfeld für autoritäres Regieren

Von Johannes Tesfai

In der Migrationspolitik versucht sie das Regieren mit dem Notstand: die rechte Ministerpräsidentin Gorgia Meloni. Foto: gemeinfrei.

Giorgia Meloni und ihre Regierung sind der Meinung: Es sind zu viele. Die rechten Politiker*innen meinen natürlich nicht die 441 von den Vereinten Nationen gezählten Toten, die bei der Flucht über das Mittelmeer im ersten Quartal dieses Jahres ihr Leben verloren haben. Sondern jene 31.000 Menschen, die es seit Anfang des Jahres über das Meer nach Italien geschafft haben. Es sind mehr als dreimal so viele wie im Vergleichszeitraum der Jahre zuvor. Aber was ist von Faschist*innen mit Regierungsverantwortung auch zu erwarten?

Die italienische Regierung hat nun den Notstand ausgerufen. Meloni behauptet, nur so könne sie der angespannten Lage, was Verteilung und Versorgung der Geflüchteten angeht, Herrin werden. Der Notstand wird in Italien sonst nur bei Naturkatastrophen ausgerufen. Damit sollen schneller Gelder verteilt und Maßnahmen ohne lange parlamentarische Beratung umgesetzt werden können. Öffentlich gibt sich die italienische Regierung als verantwortungsvolle, aber überforderte Verwaltung, die nur einen Appell an die EU senden und außerdem fünf Millionen Euro aus dem Notstands-Fonds abrufen will.

Damit setzt das Kabinett Meloni aber vor allem Maßnahmen um, die zu den Konzepten rechter Migrationspolitik passen. Sie will den Ausbau von Abschiebezentren intensivieren und Asylverfahren beschleunigen, was vor allem einen schlechteren rechtlichen Schutz der Betroffenen bedeutet. Bedenklich ist auch, dass die Fluchtbewegungen jetzt unwidersprochen mit einer Naturkatastrophe gleichgesetzt werden können. Damit sind weitere Hetze gegen Geflüchtete und die neurechte Erzählung von der illegalen Einwanderung Richtschnur politischen Handelns, und das verschiebt Migrationspolitik in Europa weiter nach rechts.

Der italienische Fall ist aber auch deshalb ein Signal, weil das Migrationsrecht in Europa oft genug ein Testfeld für autoritäres Regieren und Verwalten war und ist. Durch den unsicheren und machtlosen rechtlichen Status, den Geflüchtete haben, wird an ihnen oft genug durchexerziert, was früher oder später auch andere Teile der Bevölkerung treffen soll. Während mit dem Eurodac-System Geflüchtete schon seit 2003 allumfassend biometrisch erfasst werden, wurden die Fingerabdrücke der EU-Bürger*innen erst in den letzten Jahren in ihre Pässe eingespeist. Gewalt und Überwachung werden an den EU-Außengrenzen erprobt. Wenn eine rechtsradikale Regierung anfängt, mit Verordnungen aus dem Katastrophenrecht das Asylrecht umzukrempeln, verlieren erst einmal die Geflüchteten in den Aufnahmezentren Italiens. Aber für Meloni und ihre Partei, in der sich so einige positiv auf Mussolini beziehen, ist diese autoritäre Maßnahme wohl nur eine Trockenübung für eine Gesellschaft, in der Dekrete und Befehle den Ton angeben könnten.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.