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Super Marios Einheitsfront

Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi soll Italien aus der Krise führen – seine Allparteienregierung ist vor allem für die Linke riskant

Von Jens Renner

Namenswitze gelten als unfein, und dieser ist noch nicht einmal neu: Von einer »Draghi-Komödie« war schon in ak 575 die Rede. Damals, im September 2012, ging es um die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen zu wollen. Deutsche Medien befürchteten den »Tod der Bundesbank«, das Ende des Euro und akute Inflationsgefahr. Nichts davon ist eingetreten. Heute bejubeln die Kritiker*innen von einst das Comeback des vermeintlichen Gefährders, der schon in Rente war und nun zum Retter gemacht wird: Mario Draghi, EZB-Chef zwischen 2011 und 2019 und seit Mitte Februar neuer Ministerpräsident, soll Italien aus der Krise führen. Auch dort wird der neue starke Mann mit Lob überhäuft.

Nur wenige linke Kritiker*innen erinnern an die von Draghi vorangetriebene europäische Austeritätspolitik. Er war noch gar nicht im Amt, als er zusammen mit seinem Vorgänger Jean Claude Trichet mit einem Brief an die Berlusconi-Regierung Geschichte schrieb. Darin forderten Europas oberste Banker im August 2011 eine drastische Sparpolitik, insbesondere zulasten von öffentlich Bediensteten und Rentner*innen, Privatisierungen der öffentlichen Dienste und flexible Tarifabschlüsse mit dem Ziel, »Löhne und Arbeitsbedingungen den spezifischen Bedürfnissen der Unternehmen« anzupassen.

Diese Vorgaben waren mit dem Machtzentrum der EU abgestimmt. Als Berlusconi bei der Umsetzung zögerte, drängten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy (»Merkozy«) ihn zum Rücktritt. Berlusconis Nachfolger wurde der Manager Mario Monti. Unter seiner Regierung parteiloser Technokrat*innen kamen die ärmeren Schichten vom Regen in die Traufe. Öffentliche Dienste wurden privatisiert, und die nach Montis Sozialministerin Elsa Fornero benannte »Reform« setzte das Renteneintrittsalter um mehrere Jahre nach oben.

»Aber Draghi ist nicht wie Monti!«, beschwichtigen heute auch die Wortführer*innen des Partito Democratico (PD) und der Gewerkschaften. In der Tat hat Draghi im vergangenen Jahr einen Kurswechsel vollzogen. Ende März rief er angesichts der Corona-Pandemie die europäischen Regierungen dazu auf, deutlich mehr Schulden zu machen – außergewöhnliche Umstände erforderten, »wie in Kriegszeiten«, eine Änderung der Denkweise.

Auf seinen dringenden Appell, veröffentlicht in der Financial Times vom 25. März 2020, folgte im August in Rimini ein Auftritt bei der katholischen Bewegung Comunione e Liberazione. Seine Rede, in der er eine »Rückkehr zum Wachstum« forderte, wurde allgemein als Bewerbung um höhere Ämter verstanden. So auch von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi und dessen vom PD abgespaltener Kleinpartei Italia Viva. Nach Monaten voller Ultimaten an die regierende Mitte-Links-Koalition hat Renzi ein Zwischenziel erreicht: Der populäre Premier Giuseppe Conte ist weg und sein eigenes Comeback zumindest mittelfristig wieder vorstellbar.

Denn unter der Draghi-Regierung werden parteipolitisch die Karten neu gemischt. In allen beteiligten Gruppierungen gibt es Konflikte, die zu Abspaltungen führen können. Das gilt vor allem für die Fünf-Sterne-Bewegung und die Mitte-Links-Parteien PD und LeU (Liberi e Uguali/Freie und Gleiche), die nun mit den Rassist*innen von der Lega in einem Boot sitzen. Deren angeschlagener »Capitano« Matteo Salvini gibt überraschend den seriösen Staatsmann und überzeugten Europäer, der in Zeiten der Not seine patriotische Pflicht tut. So wären denn die postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) künftig die einzige parlamentarische Opposition. Deren Generalsekretärin Giorgia Meloni kündigte zugleich an, alles zu unterstützen, was der »Nation« nütze. So viel Patriotismus, links wie rechts, war selten.

Prognosen über Gewinner und Verlierer der aktuellen Umgruppierungen sind schwierig. Teile des rechten Wählerpotenzials dürften sich von der »opportunistischen« Lega ab- und den Fratelli d’Italia zuwenden. Das ändert nichts an der Gesamtstärke des Rechtsblocks aus Lega, FdI und Forza Italia. Er wird auch in Zukunft stabil bleiben. Im Unterschied zu Mitte-Links: Die ohnehin zweifelhafte Hoffnung, mit einem strategischen Bündnis von PD, Fünf-Sterne-Bewegung und LeU eine rechte Mehrheit bei der nächsten Parlamentswahl verhindern zu können, ist eher noch schwächer geworden.

Jens Renner

war bis 2020 ak-Redakteur.