Gaza wird vernichtet
Nach bereits Zehntausenden Toten setzt Israels Militär zu einer neuen Offensive an
Von Yossi Bartal

Bei einem Treffen Anfang Mai genehmigte der Generalstab der israelischen Streitkräfte die letzten Details der Gaza-Offensive. Der dazu ausgewählte operative Name »Streitwagen Gideon« bezieht sich auf den Richter Gideon, der in der Bibel nach einem siegreichen Krieg ein Massaker an einer rebellischen Stadt anordnet. Für »Streitwagen Gideon« sollen Zehntausende weitere Reservist*innen einberufen werden, um die neu definierten Kriegsziele zu erreichen.
Laut der israelischen Tageszeitung Haaretz sind diese Ziele zuerst das »Niederringen« der Hamas, die Besetzung und Entwaffnung des gesamten Gazastreifens, Angriffe auf zivile Regierungsstrukturen und die Konzentration der Bevölkerung in einem vom Militär verwalteten Massenlager. Satellitenbilder zeigen bereits umfangreiche Bodenvorbereitungen zur Schaffung eines solchen Areals auf den Ruinen der völlig zerstörten Großstadt Rafah.
Die Befreiung der in der Gewalt der Hamas sich noch befindlichen Geiseln – etwa 20 Männer, Soldaten wie Zivilisten, die noch am Leben sein sollen – steht mittlerweile ganz unten auf der Liste der Kriegsziele. Dass die Geiselbefreiung als Ziel überhaupt noch genannt wird, scheint nur mehr wie ein Lippenbekenntnis. Die sogenannte »Erhöhung des militärischen Drucks« hat, anders als aus Regierungskreisen behauptet, bis dato mehr als 40 Geiseln das Leben gekostet, wie die New York Times im März berichtete.
Noch ist ungewiss, ob die israelische Armee ihren Plan eines »totalen Siegs« vollständig verwirklichen wird. Immer mehr Reservist*innen verweigern den Dienst. Sogar der rechte Ex-Sicherheitsminister Moshe Yaalon warnte öffentlich vor einer Mitverantwortung an Kriegsverbrechen. Unterdessen versuchte US-Präsident Trump während seiner Nahost-Reise Mitte Mai, eine Waffenruhe zu erreichen und trat dafür sogar, über seinen Berater, in direkte Verhandlungen mit der Hamas. Doch die israelische Führung begegnet diesem plötzlichen Friedenswillen seitens der US-Regierung mit Misstrauen – und setzt ihre zerstörerischen Angriffe mit unverminderter Härte fort.
Seit dem Bruch der letzten Waffenruhe hat das israelische Militär rund 70 Prozent des Gazastreifens unter seine Kontrolle gebracht.
Seit dem Bruch der letzten Waffenruhe hat das israelische Militär rund 70 Prozent des Gazastreifens unter seine Kontrolle gebracht. Zivilist*innen wurden dabei gewaltsam vertrieben. Eine Blockade humanitärer Güter – darunter Nahrung und Medikamente – besteht seit Anfang März. Hunger wird als Kriegsinstrument eingesetzt. Wöchentlich werden Hunderte Zivilist*innen getötet, darunter Familien, Sanitäter*innen und Journalist*innen – oft durch gezielte Angriffe. Die Zahl der Toten durch Hunger und Krankheiten ist unbekannt. Einige Schätzungen gehen von bis zu 100.000 direkten und indirekten Todesopfern seit Beginn des Kriegs aus – andere liegen deutlich höher.
Die genozidalen Zielsetzungen der israelischen Kriegsführung treten Tag für Tag klarer zutage. Führende Vertreter*innen aller Regierungsparteien – darunter mehrere Minister – fordern offen die »freiwillige Ausreise« der Palästinenser*innen aus Gaza und plädieren für eine jüdische Besiedlung des Gebiets. Hunderte dieser künftigen Siedler*innen haben sich bereits in sogenannten Kolonieeinheiten organisiert und sind unweit des Gazastreifens stationiert.
Was mit den verbliebenen zwei Millionen Menschen in Gaza geschehen soll, falls kein Staat zu ihrer Aufnahme bereit ist, bleibt meist unausgesprochen. Am rechten Rand – insbesondere unter Journalist*innen des hetzerischen Senders Channel 14 – mehren sich Stimmen, die in einem solchen Fall offen von einem »Holocaust« sprechen. Die Bewohner*innen Gazas hätten dies, im Gegensatz zu den europäischen Jüdinnen*Juden, wegen ihrer Unterstützung des 7. Oktober »verdient«. Dass ein möglicher Friedensplan von Trump diese Radikalisierung noch aufhalten könnte, erscheint äußerst zweifelhaft.
Das erklärte Ziel der israelischen Regierung – die Hamas zu vernichten, ohne dabei politische Lösungen mit palästinensischen Vertretern überhaupt in Erwägung zu ziehen – läuft faktisch auf die Vernichtung des Gazastreifens hinaus. Wer in diesem Zusammenhang in Deutschland weiterhin »Free Gaza from Hamas« ruft, legitimiert eine Politik, die genau das anstrebt.