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MSC – mit unfreundlichen Grüßen

Reedereien sind zu mächtigen Akteuren in der Weltwirtschaft geworden, nun kauft sich die größte von allen in den Hamburger Hafen ein

Von Lene Kempe

Ein großes Schiff mit Containern beladen und der Aufschrift MSC fährt die Elbe hinunter.
Ein vergleichsweise kleines Containerschiff aus der MSC-Flotte schiebt sich durch die Elbe. Einige der Schiffe fassen mittlerweile über 24.000 Container. Foto: Buonasera/Wikimedia, CC BY-SA 3.0 Deed

Käptn Gnadenlos« übertitelte das Manager Magazin im Frühjahr 2022 eine Story über Gianluigi Aponte, Chef der Mediterranean Shipping Company (MSC). Damals war das Unternehmen gerade zur weltweiten Nummer eins der größten Containerreedereien aufgestiegen, der ewige dänische Konkurrent Mearsk fand sich deutlich abgeschlagen auf Platz zwei.

Wie alle Reedereien hatte MSC während der Corona-Pandemie von den massiv gestiegenen Frachtraten und -preisen profitiert, insgesamt wird der Reingewinn der Branche in dieser Zeit auf 600 Milliarden Dollar geschätzt. MSC-Chef Aponte nutze den Geldsegen, um sein Reederei-Imperium zu expandieren: Er vergrößerte seine Schiffsflotte, sowohl im Container- als auch im Kreuzfahrtbereich. Über die Tochterfirma Terminal Investment Limited (TiL) baute er seine Containerterminalbeteiligungen auf 70 weltweit aus. Außerdem vergrößerte er mit dem Erwerb von Schienennetzen in den vergangenen zwei Jahren seinen Einfluss im sogenannten Hafenhinterlandgeschäft: Schon 2016 hatte MSC das portugiesische staatliche Eisenbahnunternehmen Medwey erworben, es folgten Einkäufe in das italienische, spanische und belgische Schienennetz. Ende 2022 ein weiterer Coup: Mit der Übernahme der Bolloré Africa Logistics Group sicherte sich MSC den Zugriff auf das Schienen- und Straßennetz auf dem afrikanischen Kontinent, insbesondere an der Westküste, sowie den Zugang zu 42 Häfen.

Auch in Hamburg wolle man nun »eine Wachstumsgeschichte schreiben«, so Søren Toft, Geschäftsführer von MSC. Der Einstieg in den Hamburger Hafenbetreiber HHLA war Ende September verkündet worden. Seitdem wird über die Motive und die Folgen der Teilübernahme diskutiert. Dass der Deal für alle ein Gewinn sein werde, wie die verantwortlichen Senator*innen Melanie Leonhard und Andreas Dressel nicht müde werden zu betonen, daran zweifelt nicht nur die Opposition in der rot-grün geführten Bürgerschaft, auch viele Arbeiter*innen im Hafen reagierten mit deutlichem Protest, riefen zu Demonstrationen auf, stritten sich auf Veranstaltungen mit dem Senat, im November kam es sogar zu einer spontanen Arbeitsniederlegung.

Angespannte Stimmung

Für die Kolleg*innen im Hafen bedeutet der Einstieg von MSC nichts Gutes, meint Kay Jäger, Betriebsrat im Gesamthafenbetrieb (GHB) und ver.di-Vertrauensmann, gegenüber ak. Der GHB ist ein eigenständiger Personaldienstleister, der mit etwa 1.000 Angestellten Personalschwankungen im Hamburger Hafen ausgleicht und vom HHLA-Verkauf als deren Kunde ebenfalls direkt betroffen ist. Die Stimmung sei allerdings nicht erst seit Bekanntgabe des MSC-Deals angespannt. »Lange hat die Stellvertreterpolitik der Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innenvertretung Konflikte im Hafen befriedet«, so Jäger. Die maritime Wirtschaft wuchs zudem kräftig, infolge des großen Containerbooms seit den 1990er Jahren. »Mit der Finanzkrise 2008/2009 war das vorbei. Danach waren erstmal alle glücklich, dass sie nicht gekündigt wurden.« In den letzten Jahren habe sich aber einiges geändert. Vor allem seien jetzt »viele Manager*innen aus anderen Wirtschaftsbranchen im Hafen, die sehen nur Zahlen«. Zugleich habe der hohe Organisationsgrad in der Belegschaft, der einst als Verhandlungsbasis und Druckmittel gereicht hatte, nach streikfreien 40 Jahren seine Wirkungskraft verloren.

Und der Wettbewerbsdruck auf die Häfen hat deutlich zugenommen. Auch hier lohnt ein Blick in die Geschichte: Nach der Finanzkrise waren zunächst viele Reedereien pleite gegangen, auch weil Containerschiffe zuvor eine beliebte Geldanlage waren. Durch die Pleiten vieler »Schiffsfinanzierer«, in erster Linie Banken und Fonds, fielen Kredite aus und brachen Finanzierungen weg. Allein neun der zwanzig größten deutschen Reederein gingen pleite. Dennoch setzte sich ein Trend fort: Containerschiffe wurden während der Boomphase immer größer gebaut, es gab bereits deutliche Überkapazitäten auf den Weltmeeren, weil viel Geld in den Sektor floss. Nach der Krise konnten viele Aufträge nicht mehr storniert werden oder Schiffe liefen just in den Krisenjahren vom Stapel. Die verbliebenen Reedereien kämpften unter den Bedingungen eines geringeren Containerwachstums und eines gleichzeitigen Überangebots an Schiffen und Ladungskapazitäten umso härter um Marktanteile.

An der Spitze der Pyramide setzte sich MSC in den vergangenen Jahren zunehmend gegen den dänischen Konkurrenten Maersk durch, das Schweizer Unternehmen gilt nun als größte Reederei der Welt. Etwa 400 neue und gebrauchte Schiffe hat MSC mit den Gewinnen aus der Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren dazu gekauft und seine Flotte damit auf 760 vergrößert, trotz des Kapazitätsüberhangs. Darunter Schiffe mit einem Fassungsvermögen von über 24.000 Containern. Weil die Schiffe immer größer werden, muss in den Häfen die Abfertigung immer schneller laufen. »Damit steigt aber auch der Druck Richtung Digitalisierung. Denn Digitalisierung meint ja auch just in time Logistik«, erklärt André Kretschmar, bei ver.di verantwortlich für den Bereich Verkehr. Der Hamburger Hafen liege hier hinter den Konkurrenten in Antwerpen oder Rotterdam zurück.

Schwache Garantien

Unter diesen Vorzeichen hat es in den vergangenen Jahren immer wieder Versuche gegeben, den Hamburger Hafen als Standort attraktiver und wettbewerbsfähiger zu machen. Mit der Elbvertiefung versuchte man dem Trend hin zu immer größeren Schiffen zu begegnen. Zugleich sieht der sogenannte Hafenentwicklungsplan aber auch eine umfassendere Digitalisierung der Arbeit vor, der Hafen soll dadurch schneller, effizienter und kostengünstiger werden, so wie in Rotterdam und Antwerpen, wo der Umschlag von Containern schon heute deutlich billiger funktioniert. Dass in diesem Prozess Arbeitsplätze wegfallen, ist allen Beteiligten schon lange klar, der Druck auf die Kolleg*innen sei entsprechend hoch, berichtet Betriebsrat Kay Jäger. Laut Hamburger Abendblatt will die HHLA bis zu 800.000 Arbeitsstunden einsparen, was etwa 400 Stellen entspräche. Beim Gesamthafenbetrieb geht es um bis zu 300.000 Stunden. Dafür sollen beispielsweise Stellen nicht nachbesetzt oder im Rahmen von Altersteilzeit früher beendet werden. Ein Tarifvertrag zur erweiterten Mitbestimmung der seit 1970 bei der HHLA galt, ist von dem Unternehmen bereits aufgekündigt worden, ergänzt Jäger. 

Mit dem Einstieg von MSC, einem Unternehmen, das für seine Profitorientierung und aggressive Expansionsstrategien bekannt ist, werden diese Prozesse noch schneller und radikaler vorangetrieben, da ist sich der ver.di Vertrauensmann sicher. Das Unternehmen will 49,9 Prozent der Aktien erwerben, die Stadt Hamburg will 50,1 Prozent behalten. Damit bleibe die HHLA mehrheitlich in den Händen der Stadt, versichert der Senat. »MSC bekommt im Vorstand die Posten für das operative Geschäft und die Finanzen«, sagt dagegen André Kretschmar. »Faktisch hat das Unternehmen damit die Kontrolle über den Laden.«Zwar seien laut Senat in dem nicht öffentlichen Vertrag gewisse Garantien für die Beschäftigten verhandelt worden. So seien betriebsbedingte Kündigungen für mindestens fünf Jahre ausgeschlossen. »Danach«, sagt Kretschmar, »wird evaluiert. Und nichts hält MSC davon ab, seine Strategie zu ändern«. Die »Garantien« des Senats mit Blick auf die Arbeitsplätze sind also äußerst schwach. »Fünf Jahre sind nichts, wenn man noch 35 Jahre arbeiten muss«, sagt dazu Kay Jäger.

Was genau MSC in den kommenden Jahren in Hamburg vorhat, darüber gibt es bislang viele Andeutungen und wenig Konkretes. Für den Hafen verspricht das Unternehmen die Umschlagsmenge bis 2031 um eine Million Container zu erhöhen. Ob das Arbeitsplätze sichert, ist fraglich, wenn zugleich die Digitalisierung vorangetrieben werden soll. Außerdem sind auch solche Aussagen wenig verlässlich, sagt André Kretschmar. So hätten die Kolleg*innen aus Bremerhaven, wo MSC schon länger an einem Terminal beteiligt ist, berichtet, dass Mengenzusagen dort nicht eingehalten werden.  

Erst nach 40 Jahren kann sich die HHLA laut Vertrag wieder aus dem Gemeinschaftsunternehmen lösen.

Sicher ist jedoch, dass es dem Schweizer Unternehmen nicht nur um den Zugang zur Elbe, sondern auch um die lukrative Hinterlandsparte der HHLA geht, den Schienenverkehr, der durch die Tochterfirma Metrans verwaltet wird. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist innerhalb Europas eine Neuordnung der Lieferketten auf dem Landweg im Gange, weil weniger Waren aus Russland kommen und es als Transitland unattraktiver geworden ist. Zugleich wird ein immer größerer Anteil des Warenverkehrs mit China über den sogenannten Mittelkorridor der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative) anstatt durch Russland geschickt. Auch bei der HHLA schaue man »in Richtung mittlerer Seidenstraßenkorridor«, wie Vorstandschefin Angela Tiezrath gegenüber der DVZ bestätigte. Für MSC sei dieser Bereich ohne Zweifel attraktiv, gemeinsame Investitionen in den weiteren Ausbau des Schienennetzes gut denkbar.  

Planungssicherheit – für MSC

Aus Sicht von MSC bietet die HHLA vor allem eins: Gute Geschäftschancen. Und Planungssicherheit: Erst nach 40 Jahren kann sich die HHLA laut Vertrag wieder aus dem Gemeinschaftsunternehmen lösen. Was bis dahin mit den Arbeitsplätzen passiert, ist vollkommen unklar. Auf die damit verbundenen Sorgen der Beschäftigten hat die HHLA bis jetzt mit wenig Verständnis reagiert. Nach einer spontanen Arbeitsniederlegung am Burchardkai im vergangenen Monat hatte das Unternehmen Abmahnungen an Beteiligte verteilt. Außerdem hatte die Konzernführung der ver.di-Vertrauensfrau Jana Kamischke eine Kündigung zugestellt, diese allerdings später wieder zurückgezogen. Mit diesem Vorgehen versuche die Unternehmensleitung Angst unter den Beschäftigten zu verbreiten, heißt es dazu in einer Mitteilung des HHLA-Betriebsrats. Auch Kay Jäger bestätigt diesen Eindruck: »Die Sorge um die Arbeitsplätze gab es schon vorher, und nun sind sie noch stärker geworden.« Die Reaktionen darauf seien schon immer ganz unterschiedlich gewesen.

Protest gegen den Deal artikuliert sich jedenfalls weiterhin. Gerade erst hat etwa Thomas Mendrzik, lange Betriebsratsvorsitzender, ver.di-Vertrauensmann und im HHLA-Aufsichtsrat, öffentlichkeitswirksam sein SPD-Parteibuch zurückgegeben. Es bleibt also abzuwarten, was sich in den nächsten Wochen tut im Hamburger Hafen. Dass der Deal letztlich über die Bühne geht, ist zwar recht wahrscheinlich. Am vergangenen Freitag war eine weitere Frist für das Übernahmeangebot von MSC an die Minderheitenaktionär*innen der HHLA abgelaufen, Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Genügend Anteile, um das Unternehmen künftig gemeinsam zu führen, haben MSC und HHLA schon jetzt, mit 90 Prozent der Aktien könnten sie die verbliebenen Minderheitsaktionär*innen ganz aus dem Unternehmen drängen (sogenannter Squeeze-out). Ob die dann noch notwendige Zustimmung der Bürgerschaft allerdings tatsächlich ein Selbstläufer wird, wie der Senat meint, hängt auch von den nächsten Wochen ab.

So oder so sollte das Thema damit nicht vom Tisch sein. Privatisierungen waren noch nie eine gute Idee, um Probleme zu lösen, das zeigen etwa Erfahrungen mit der Krankenhauskette Asklepios oder den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW). Und: Wenn MSC einsteigt, bestimmt ein weiteres milliardenschweres Privatunternehmen mit über die Entwicklung der Stadt. Das, meint auch Kay Jäger, sollte nicht nur die Beschäftigten im Hafen interessieren.

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.