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Spekulant*innen lieben diesen Trick

Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel gekippt – was heißt das für die Mieterbewegung?

Von Kalle Kunkel

Seifenblasen vor einem Haus zur Dämmerung
Adieu Mietendeckel: Der Traum von bezahlbarem Wohnraum in Berlin ist geplatzt – fürs erste. Foto: ak

Auf einmal ging alles ganz schnell. Nur zwei Tage vor der Urteilsverkündung sickerte die Information durch, dass das Bundesverfassungsgericht am 15. April seine Entscheidung über den Berliner Mietendeckel veröffentlichen würde. Überraschend kam die Ankündigung auch deshalb, weil es nicht einmal eine mündliche Anhörung in der Sache gegeben hatte. Die Entscheidung fiel maximal drastisch aus: Der Berliner Mietendeckel, mit dem für fünf Jahre die Mieten eingefroren und zum Teil abgesenkt worden waren, wurde für »nichtig« erklärt, weil das Land Berlin keine Kompetenzen in diesem Bereich habe.

Der Bundesgesetzgeber, so das Gericht, habe vor allem mit der (leider wirkungslosen) Mietpreisbremse bereits Regelungen dazu getroffen. Die »Nichtigkeit« des Mietendeckels hat zur Folge, dass Vermieter*innen nun versuchen können, höhere Mieten auch rückwirkend einzuklagen. Das Gericht hat mit seinem Urteil ausdrücklich nicht über die »Verhältnismäßigkeit« der Mietbeschränkungen entschieden, sondern lediglich über die formal-juristische Frage der Zuständigkeit.

Wie kam es zum Mietendeckel?

Die politische Bedeutung des Urteils erschließt sich am besten aus der Art und Weise, wie das Gesetz zustande gekommen ist. Im Jahr 2018 veröffentlichte der Jurist Peter Weber einen juristischen Fachaufsatz mit der These, die Bundesländer könnten wegen ihrer Zuständigkeit für das Wohnungswesen Regelungen für Höchstmieten erlassen. Eine experimentelle, aber nicht unplausible Argumentation. Weber war zuvor mit dem Versuch gescheitert, mit der linken Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu dieser Sache ins Gespräch zu kommen. Sein Artikel wurde jedoch von einigen Berliner SPD-Mitgliedern aufgegriffen.

Allerdings wäre auch ihrem Vorstoß wahrscheinlich keine größere Aufmerksamkeit zuteilgeworden, wenn nicht zur gleichen Zeit die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen! für Wirbel gesorgt hätte. Der große Zuspruch für die Kampagne auch an der SPD-Basis setzte die SPD-Führung unter Zugzwang, »etwas Eigenes« (Bürgermeister Michael Müller, SPD) auf den Weg zu bringen. Und so wurde der Impuls von Weber für eine offensive Auslegung der Länderkompetenz in der Wohnungspolitik von der SPD weiter verfolgt.

Die Vermieter*innen reagierten auf den Mietendeckel mit einem Vermieterstreik: Sie verknappten das Angebot an Wohnraum in der Stadt.

Ihre Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus gab ein Gutachten in Auftrag, um Webers Argumentation von professoraler Seite abzusichern, und kreierte mit dem Slogan »bauen – deckeln – kaufen« eine typisch sozialdemokratische Kampagne. Nach innen erfüllte die Kampagne ihren Zweck. Ein SPD-Parteitag stimmte gegen die Unterstützung der Enteignen-Forderung – wenn auch gegen einen relevanten Block von fast 40 Prozent Befürworter*innen. Michael Müller hatte den Parteitag mit dem Argument auf seine Seite ziehen können, dass die SPD doch mit dem Mietendeckel jetzt »etwas Eigenes« habe, auf das sie stolz sein könne.

Die LINKE reagierte zunächst zögerlich auf die Initiative, machte sie sich dann aber schnell zu eigen. Zum Teil gegen den Widerstand der SPD-geprägten Verwaltung und in Zusammenarbeit mit vielen externen Berater*innen erarbeitete die damalige linke Senatorin für Stadtentwicklung, Katrin Lompscher, ein entsprechendes Gesetz, das nicht nur ein weitgehendes Einfrieren der Mieten bedeutete, sondern zum Teil die Absenkung bestehender Mieten. Verstöße gegen das Gesetz sollten mit harten Geldstrafen geahndet werden. Der SPD-Führung wurde es angesichts dieser Umsetzung ihrer Initiative etwas mulmig. Dies führte zu heftigen koalitionsinternen Auseinandersetzungen über die Frage, wie konsequent Berlin seine rechtliche Kompetenz nutzen möchte. Mit einigen Abschwächungen wurde das Gesetz schließlich beschlossen.

Die Vermieterlobby tritt auf den Plan

Die Vermieter*innen und deren politische Lobby (CDU, FDP und AfD) liefen vom ersten Tag an gegen das Gesetz Sturm: Die Vermieter*innen traten in einen Vermieterstreik und verknappten das Angebot an Wohnraum in der Stadt. Das verstößt zwar gegen das in Berlin geltende Zweckentfremdungsverbot. Aber wenn sich Gesetze gegen die Interessen der Besitzenden richten, sehen das Konservative und Liberale nicht so eng. Folglich interpretierten sie das Zurückhalten von Wohnungen weniger als Anzeichen für die kriminelle Energie des Immobilienkapitals, sondern als Beweis für die Unmöglichkeit, »gegen den Markt« zu regieren.

Die konsequent zusammengesparten bezirklichen Verwaltungen hatten nicht die Mittel dem nachzugehen, und polizeiliche Unterstützung gibt es in stadtpolitischen Fragen nur, wenn es darum geht, selbstverwaltete Räume zu schikanieren und zu räumen. Gleichzeitig zwangen die Vermieter*innen die Neumieter*innen, sogenannte Schattenmietverträge zu unterschreiben. Damit sind die Mieten gemeint, die ohne den Mietendeckel gefordert werden könnten. Auf diese Weise baute das Immobilienkapital schon mal für den Fall vor, dass der Mietendeckel fällt. Für die Mieter*innen bedeutet dies, dass sie bei möglichen Nachzahlungen vor zum Teil erheblichen Mietschulden stehen. Da viele sich die Wohnung nur leisten konnten, weil sie durch den Mietendeckel günstiger vermietet wurde, konnten sie das Geld auch nicht einfach zurücklegen. Hier droht nun eine regelrechte soziale Zeitbombe hochzugehen.

Der wichtigste Gegenangriff lief aber auf der juristischen Ebene. Die CDU- und FDP-Fraktionen im Bundestag reichten vor dem Bundesverfassungsgericht eine »Normenkontrollklage« (bei der es um die Frage geht, ob das Land Berlin überhaupt die Kompetenz für so ein Gesetz hat) gegen den Mietendeckel ein. Zugleich kam es zu zahlreichen Verfahren vor den regulären Berliner Gerichten in Konflikten zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen. Während einige Gerichte den Mietendeckel anerkannten, legten andere das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Klärung vor. Das hat jetzt gegen die Interessen der Mieter*innen in Berlin entschieden.

Mieten deckeln bundesweit? Enteignen?

Die Entscheidung des Gerichts fällt in eine politisch dynamische Zeit. Dabei hat das Verfassungsgericht ausdrücklich nicht inhaltlich über das Gesetz entschieden. Damit wird die Diskussion über einen bundesweiten Mietendeckel nun an Fahrt aufnehmen. Das Thema könnte somit für die Bundestagswahl im September relevant werden. Hierzu hat sich bereits eine bundesweite Kampagne formiert, die auch vom Deutschen Mieterbund und dem DGB getragen wird.

Darüber hinaus steht jetzt, etwa ein halbes Jahr vor der Abgeordnetenhauswahl, die SPD-Führung unter Druck, ihre Haltung zu Deutsche Wohnen & Co enteignen zu überdenken. Sie kann ihre Basis nicht mehr damit beruhigen, dass man ja schon »was Eigenes« habe.

Enteignung ist nicht nur nachhaltiger. Sie ist auch juristisch sicherer.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fällt mitten in die zweite Sammelphase für das Volksbegehren von Deutsche Wohnen & Co enteignen. Die Kampagne hatte nie einen Widerspruch zwischen dem Mietendeckel und ihrer Forderung gesehen. Der Fall des Mietendeckels macht nun jedoch die Notwendigkeit der Enteignung einmal mehr deutlich. Zugleich werden die politischen Gegner*innen der Kampagne versuchen, die juristische Niederlage in Sachen Mietendeckel auch gegen die Kampagne zu wenden, nach dem Motto »Wenn das schon nicht geht, dann geht Enteignen erst recht nicht«.

Dies geht jedoch an der Sache vorbei: Die Interpretation der Kompetenzfrage für den Mietendeckel war juristisch umstritten. Die Wissenschaftlichen Dienste von Bundestag und Abgeordnetenhaus haben eine entsprechende Landeskompetenz verneint. Für die Enteignungsforderung kommen die Wissenschaftlichen Dienste beider Parlamente jedoch zu dem Schluss, dass sie rechtmäßig ist. Vergesellschaftung ist also nicht nur nachhaltiger. Sie ist auch juristisch sicherer!

Kalle Kunkel

ist aktiv in der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen.

Eine englische Übersetzung des Artikels gibt es bei The Left Berlin.