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FAQ: Was sind Pandemie-Anleihen

Von Guido Speckmann

Infolge der Ebola-Epidemie in Afrika wurden die Pandemie-Anleihen aufgelegt. Sie werden daher auch Ebola-Bonds genannt. Foto: EU Civil Protection and Humanitarian Aid / Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Es klingt nach einer genialen Idee, fragt sich nur für wen. Als die Ebola-Epidemie mit über 11.000 Toten in mehreren afrikanischen Ländern 2016 für beendet erklärt wurde, kritisierte der damalige Weltbankpräsident Jim Yong Kim das »kollektive Versagen« der Weltgemeinschaft. Zu langsam und zu wenig sei an Hilfe geleistet worden. Um Abhilfe bei zukünftigen Pandemien zu schaffen, legte die Weltbank 2017 eine sogenannte Pandemic Emergency Financing Facility (PEF) auf, einen Soforthilfe-Fonds für Seuchenkrankheiten wie Ebola, das Lassafieber oder Coronaviren. Herzstück des Fonds sind die sogenannten Pandemie-Anleihen. Kim sparte nicht mit großen Worten: »Wir verlassen nun den Zyklus der Panik und Versäumnisse.« Der PEF sei ein bedeutender Schritt, der »Millionen Menschen retten und Volkswirtschaften vor einer der größten Bedrohungen der Menschheit bewahren kann«.

Was aber sind Pandemie-Anleihen, und wie funktionieren sie? Im Grunde ähnlich wie die schon seit 1994 existierenden Katastrophen-Bonds. Ein Investor zeichnet eine Anleihe von einem Emittenten, meist Versicherungsunternehmen oder Rückversicherer, für eine bestimmte Zeit. Tritt in diesem Zeitraum die bestimmte Katastrophe, ein Erdbeben oder eine Überschwemmung, nicht ein, bekommt der Investor sein Geld zurück. Tritt sie jedoch ein, muss er auf einen Teil seines Geldes oder auf alles verzichten. Als Ausgleich für das Risiko erhält der Investor vom Rückversicherer einen Zins.

Bei den Pandemie-Anleihen emittierte die Weltbank zusammen mit den deutschen und Schweizer Rückversicherern Munich Re und Swiss Re 2017 Anleihen im Wert von insgesamt 320 Millionen US-Dollar. Das Interesse war riesig. Pensionskassen, Vermögensverwalter und Stiftungen rissen sich förmlich um die Wertpapiere und gaben Gebote in doppelter Höhe aus. Der Grund: Die Zinsen für das neue Finanzprodukt sind mit bis zu elf Prozent recht üppig – zumal Deutschland, Australien und Japan zugesagt haben, für die Zinszahlungen zu garantieren. Das PEF enthält neben den Anleihen noch eine Bargeldkomponente, die vor allem von Deutschland finanziert wurde.

Pandemie-Anleihen sind ziemlich genial – für Finanzinvestoren.

Die Investoren müssen dann ihr Geld abschreiben, wenn zahlreiche der auf mehreren Hundert Seiten exakt definierten Ereignisse eintreten. Diese rigiden Kriterien führten dazu, dass die Pandemie-Anleihen 2018 öffentlich in Verruf gerieten. Damals wütete im Kongo das Ebola-Virus, mehrere Tausend Menschen erkrankten, über 2.000 starben. Es war der zweitschwerste Ausbruch der Erkrankung überhaupt. Aber es wurde kein Geld ausgezahlt, das durch die Ebola-Bonds eingesammelt worden war. Denn das Kleingedruckte der Anleihen besagt: Geld fließt erst, wenn die Seuche die Landesgrenze zu zwei Nachbarstaaten überschreitet und dort binnen eines bestimmten Zeitraumes mindestens 20 Opfer zu beklagen sind. In Uganda, einem Nachbarland des Kongo, starben drei Menschen. Glück für die Investoren. Der Kongo erhielt lediglich 61 Millionen Dollar aus der Barreserve des PEF.

»Wenn die Welt wirklich ein Interesse daran hat, die Epidemie einzudämmen, dann müssen jetzt alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden«, forderte Gisela Schneider vom Deutschen Institut für Ärztliche Mission 2018. Es sei ein Skandal, dass auf dem Rücken der Menschen im Kongo Zinsen verdient werden.

Überdies wird kritisiert, dass das Geld aus den Pandemie-Anleihen erst drei Monate nach Ausbruch der Epidemie ausgezahlt wird. Viel zu spät, sagen Mediziner*innen. Gerade bei Epidemien komme es darauf an, möglichst schnell zu handeln, um die Ausbreitung einzudämmen.

Das zeigt sich nun auch im Rahmen der Corona-Krise. Noch sind die Kriterien nicht erfüllt, noch wurde kein Geld an die betroffenen ärmeren Staaten überwiesen. Ob es überhaupt dazu kommt, wird bezweifelt Olga Jonas, eine Gesundheitsökonomin mit Vergangenheit bei der Weltbank, angesichts der »verworrenen Kriterien«. – »Es ist obszön, dass die Weltbank die Anleihen auf diese Weise eingerichtet hat. Sie wartet ab, während Menschen sterben.«

Abgesehen davon machen die Pandemie-Anleihen ohnehin keinen Sinn. Industriestaaten wie Deutschland können sich in Zeiten von niedrigen Zinsen schnell und günstig Geld an den Kapitalmärkten beschaffen und damit Hilfe für betroffene Staaten in die Wege leiten. Der Weg über Pandemie-Anleihen ist kompliziert und teuer. Eine Studie ergab, dass bis dato mehr Geld für die Zinsen aufgewendet wurde als für von Ebola betroffene Staaten. »Finanzielle Verblödung« nannte das der frühere Chefvolkswirt der Weltbank, Larry Summers. Damit ist klar: Pandemie-Anleihen sind ziemlich genial – für Finanzinvestoren.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.