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Doppelter Putsch in Peru

Der gescheiterte Versuch Pedro Castillos, das Parlament aufzulösen, stellt auch einen Sieg rechter Parlamentarier*innen dar

Von Tobias Lambert

Anhänger*innen des vom Parlament gestürzten Präsidenten Pedro Castillo demonstrieren im Dezember in Lima für dessen Freilassung aus der Untersuchungshaft und für eine neue Verfassung. Foto: Mayimbú/Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Kurz nach Jahresbeginn war es mit der kurzen Ruhe in Peru wieder vorbei. Anfang Januar nahmen soziale Bewegungen und Anhänger*innen des am 7. Dezember 2022 vom Parlament abgesetzten Präsidenten Pedro Castillo nach einer weihnachtlichen Pause ihre Proteste wieder auf. Vor allem in südlichen Andenprovinzen versammelten sich Menschen auf Plätzen oder blockierten Straßenverbindungen.

Die Protestierenden haben unterschiedliche, nicht immer identische Forderungen, darunter die Auflösung des Parlaments, der Rücktritt der Interimspräsidentin Dina Boluarte, die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung und die Wiedereinsetzung des gestürzten Pedro Castillo. Dabei gilt noch immer der Ausnahmezustand, den die neue Regierung Mitte Dezember zunächst für 30 Tage verhängt hatte. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen starben bis Weihnachten mindestens 28 Menschen, darunter 22 infolge direkter Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften. Bis zum 9. Januar kamen infolge der jüngsten Proteste 17 weitere Todesopfer hinzu.

Parlament gegen Präsident  

Auslöser der Proteste waren ein gescheiterter »Selbstputsch«, also der Versuch der verfassungswidrigen Ausschaltung des Parlamentes durch den demokratisch gewählten Präsidenten Pedro Castillo, und dessen anschließender Sturz durch die Abgeordneten am 7. Dezember. Im Juni 2021 hatte der ehemalige Dorfschullehrer und Gewerkschafter in der Stichwahl um die Präsidentschaft hauchdünn gegen Keiko Fujimori gewonnen, die Tochter von Ex-Machthabers Alberto Fujimori. Der Überraschungskandidat Castillo galt angesichts einer völlig diskreditierten politischen Elite als Hoffnungsträger der historisch ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen und hatte vor allem im ländlichen, indigen geprägten Andenraum sowie dem dünn besiedelten Amazonas-Tiefland Rückhalt. Neben dem Kernthema soziale Gerechtigkeit vertrat Castillo im Wahlkampf allerdings auch reaktionäre Positionen. So betonte er etwa die Bedeutung »traditioneller« Familienwerte, was im konservativ geprägten ländlichen Peru kaum Kritik hervorruft. Zudem schürte er offen Ressentiments gegen venezolanische Migrant*innen. An die Macht kam Castillo mit Hilfe der marxistischen Partei Peru Libre, weil deren langjähriger Anführer Vladimir Cerrón aufgrund von Korruption nicht antreten durfte.

Der von rechten Mehrheiten dominierte Kongress, wie das Parlament in Peru genannt wird, war von Beginn an auf Konfrontationskurs gegen Castillo gegangen und torpedierte dessen Regierungsführung fortlaufend. Dass der Druck seitens der Rechten so stark war, liegt auch daran, dass der Kongress im peruanischen Regierungssystem eine starke Position innehat. So muss er zum Beispiel die Zusammensetzung der jeweiligen Kabinette absegnen und kann unter bestimmten Bedingungen die direkt gewählten Präsident*innen absetzen. Viele Abgeordnete nutzen das aus Privatinteressen heraus aus und instrumentalisieren das Parlament. Seit 2018 hatte Peru sechs Präsident*innen und ist seit vielen Jahren von zahlreichen Korruptionsskandalen gebeutelt. Castillo verschliss in anderthalb Jahren über 70 Minister*innen, konnte zu keinem Zeitpunkt eine stabile Regierung bilden, sah sich zuletzt ebenfalls Korruptionsvorwürfen ausgesetzt und stand am Ende ohne institutionelle Verbündete da.

Am 7. Dezember versuchte der Präsident dann, dem bereits dritten Amtsenthebungsverfahren gegen ihn zuvorzukommen. Kurzerhand löste Castillo den Kongress auf, kündigte eine Verfassunggebende Versammlung an und erklärte, zunächst per Notstandsdekret zu regieren. Laut Verfassung kann der Präsident das Parlament aber nur auflösen, wenn dieses zweimal hintereinander das komplette Kabinett durchfallen lässt, über das es auch nach Umbildungen abstimmen muss. Viele Beobachter*innen fühlten sich an den Selbstputsch von Alberto Fujimori im Jahr 1992 erinnert, als dieser den Kongress auflöste.

Castillos bisherige Vize-Präsidentin Dina Boluarte stellte sich am 7. Dezember ebenso wie zahlreiche Minister*innen, die Polizei und das Militär umgehend gegen ihn. Noch am selben Tag setzte ihn das Parlament aufgrund »moralischer Unfähigkeit« ab. Selbst linke Abgeordnete stimmten teilweise dafür. Auf dem Weg in die mexikanische Botschaft, in der Castillo um Asyl bitten wollte, wurde er dann festgenommen. Wenige Tage später verhängte ein Gericht aufgrund von »Rebellion und Verschwörung« eine 18-monatige Untersuchungshaft gegen ihn.

Castillo liefert Anlass

Allem Anschein nach hätte es auch im dritten Versuch, Castillo abzusetzen, ursprünglich keine Mehrheit gegeben. Der Präsident selbst lieferte einen perfekten Anlass, den das Parlament dankend annahm. Die rechten Abgeordneten hatten Castillo vor sich hergetrieben und nur auf den richtigen Moment gewartet, um ihn loszuwerden. Noch immer ist unklar, wer aus seinem engsten Berater*innenkreis ihm zu dem aussichtslosen Schritt geraten hatte. Castillos Anwalt behauptet, sein Mandant sei unter Drogen gesetzt worden, Belege dafür gibt es nicht. Ein schleichender parlamentarischer Putsch mündete somit in der letztlich zwar legalen Absetzung Castillos. Aufgrund der völligen Diskreditierung des Kongresses hält das Vorgehen außerhalb der traditionellen peruanischen Machtzirkel, die sich vor allem in der Hauptstadt Lima konzentrieren und überwiegend von europäischen Familien abstammen, jedoch kaum jemand für legitim. Die meisten der Parlamentarier*innen, die sich nun als Retter*innen der Demokratie aufspielen, gelten als korrupt.

Noch immer ist unklar, wer aus seinem engsten Berater*innenkreis Castillo zu dem aussichtslosen Schritt geraten hatte.

Boluarte, die Anfang 2022 nach ideologischen Differenzen aus der Partei Peru Libre ausgeschlossen wurde, gab zunächst an, Castillos Mandat bis 2026 regulär beenden zu wollen. Nach Beginn der Proteste ruderte sie zurück. Der Kongress verabschiedete nach einigem Hin und Her Ende Dezember in erster Lesung den Vorschlag einer Neuwahl im April 2024. Zwar stammt auch Boluarte nicht aus Lima, steht der politischen und wirtschaftlichen Elite Perus an sich nicht nahe und wurde als Castillos Vizepräsidentin von rechten Abgeordneten immer wieder offen angefeindet. Doch ist sie nun durch die Unterstützung der rechten Parteien und des Militärs an die Macht gekommen. Sie wird sich nur halten können, wenn sie rechte Positionen weitgehend übernimmt. Durch die teils tödliche Gewalt gegen Protestierende verspielte Boluartes Regierung innerhalb weniger Wochen einen großen Teil des Rückhalts, den sie unmittelbar nach Castillos Absetzung noch bis in gemäßigt linke Kreise hinein besaß. Die Tötungen während der Proteste sollen laut Regierung vor Militärgerichten untersucht werden – ein Hohn für die Opfer und ein Verstoß gegen internationale Menschenrechtsabkommen.

Castillo ist vor allem an eigenen Fehlern gescheitert. Sein Putschversuch ohne jeglichen Rückhalt in Militär, Parteien und organisierten Bewegungen ist tragischer Ausdruck seiner glücklosen Amtszeit, in der er keines seiner Versprechen durchbrachte. Weder kam er einer Verfassunggebenden Versammlung näher, um die neoliberale Fujimori-Verfassung von 1993 abzulösen, noch tastete er wirklich Privilegien an oder sorgte für eine gerechtere Reichtumsverteilung in dem Bergbauland.

Klar ist aber auch, dass die rassistische und klassistische Elite aus Lima von Beginn an nicht wollte, dass jemand aus den ländlichen Regionen ohne elitären Hintergrund das Land regiert. Schon im Wahlkampf hatten sie eindringlich vor dem »Kommunisten« und »Terroristen« gewarnt, der Peru in ein zweites Venezuela verwandeln wolle. Linke Politik hat in Peru traditionell einen schweren Stand und wird propagandistisch immer wieder mit der Geschichte der Guerilla Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) in Verbindung gebracht.

Ende des linken Regierungsprojektes

Um gut regieren zu können hätte Castillo eine verlässliche Basis gebraucht. Peru Libre, die ihn ins Präsidentenamt brachte, aber eigentlich auf ihren Anführer Cerrón eingeschworen ist, war dies nicht und verfügt über deutlich weniger als ein Drittel der Parlamentssitze. Im Juni 2022 trat Castillo sogar aus der Partei aus. Die moderate Linke stützte ihn nur kurz. Starke Bewegungen hatte Castillo auch nicht hinter sich. Und so endet vorerst der Versuch, im strukturell konservativen Peru ein linkes Regierungsprojekt zu entwerfen.

Neuwahlen alleine werden die Krise allerdings kaum beenden. Dauerkandidatin Keiko Fujimori würde wohl wieder antreten. Auf der linken Seite könnte die indigene, sogenannte ethnoceceristische Bewegung um Antauro Humala mit ihrem fragwürdigen Linksnationalismus versuchen, Boden gutzumachen. Humala hatte Boluarte zunächst als Präsidentin anerkannt, sich nach der Repression gegen die Proteste aber wieder deutlich distanziert. Auf der extremen Rechten wiederum wäre der neue Bürgermeister von Lima, Rafael López Aliaga, möglicherweise ein aussichtsreicher Kandidat. Der auch als »Bolsonaro Perus« bekannte Geschäftsmann hatte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2021 den dritten Platz belegt.

Es bleibt dabei, dass nur eine Verfassunggebende Versammlung mit tiefen strukturellen Reformen im politischen und wirtschaftlichen Bereich ein Ausweg aus der politischen Dauerkrise sein könnte. Doch unter den derzeitigen Kräfteverhältnissen ist diese unter Linken verbreitete Forderung nicht durchsetzbar. Die Zeichen stehen weiterhin auf Krise.

Tobias Lambert

arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika.

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