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Von Hölle zu Hölle

Der Krieg in Sudan zwingt vor allem »wehrfähige« Teenager zur Flucht – für viele von ihnen endet die Reise in griechischen Gefängnissen

Von Ibrahim Izzeldeen

Das Bild zeigt ein Gerichtsgebäude auf Kreta. Davor packen zwei Autos. Eine Person steht vor der Treppe, die ins Gebäude führt, und schaut richtung Kamera
Gerichtsgebäude auf Kreta: Von »Recht sprechen« kann hier keine Rede sein. Foto: Ibrahim Izzeldeen

In griechischen Gefängnissen von Kreta bis Volos sitzen derzeit über 200 sudanesische Jugendliche und junge Männer hinter Gittern. Vorgeworfen wird ihnen nicht Gewalt, Diebstahl oder Ausbeutung. Betraft werden sie vielmehr für ihren Versuch zu überleben: Der Krieg in ihrer Heimat hat sie zur Flucht über das Mittelmeer gezwungen, auf der Suche nach Sicherheit. Statt in der Schule oder bei der Ausbildung verbringen sie ihre Jugend nun in Gefängniszellen, Tausende Kilometer entfernt von zuhause. Die meisten sind zwischen 17 und 26 Jahren alt.

Seit April 2023 wird der Sudan von einem brutalen Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) erschüttert. Was in Khartum als Machtkampf begann, hat sich rasch auf das gesamte Land ausgedehnt und zu einem zerstörerischen Krieg entwickelt. Laut UNO wurden über zehn Millionen Menschen vertrieben – derzeit die weltweit größte Flüchtlingskrise. Städte wie Khartum, Omdurman, El Fasher und El Geneina sind weitgehend zerstört. Besonders junge Männer sind Opfer von Massentötungen, sexuellem Missbrauch und Zwangsrekrutierungen. Bildungseinrichtungen sind zusammengebrochen, Lebensgrundlagen vernichtet, Familien auseinandergerissen.

Bis zu 25 Jahre

Für viele sudanesische Jugendliche war die Flucht keine Wahl – sondern Überlebensnotwendigkeit. Doch selbst wenn sie es aufs europäische Festland schaffen, erwarten sie neue Formen der Bedrohung: Wer in Griechenland ankommt – häufig nach einer gefährlichen Reise über Ägypten und Libyen – läuft Gefahr, direkt inhaftiert zu werden. Der Vorwurf lautet dann zumeist, Teil der »organisierten illegalen Fluchthilfe« zu sein.

Das griechische Recht stuft das Steuern von Booten oder die Hilfe beim Durchqueren von Bootspassagen als »Schmuggel« ein – und droht mit Strafen bis zu 25 Jahren. Das heißt: Ein 17-jähriger Junge auf der Flucht, der sich auf griechischem Hoheitsgebiet am Steuer eines Schlauchboots festhält, kann als krimineller Menschenschmuggler angeklagt werden.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die Verfahren meist kurz sind, Übersetzungen mangelhaft, Rechtsbeistand kaum vorhanden und die Unschuldsvermutung selten wirksam ist. Das Gefängnis kostet nicht nur Lebensjahre, sondern viele ihre Hoffnung auf ein besseres Leben. Viele der inhaftierten Jugendlichen berichten von Isolation, Verzweiflung, psychischer Belastung. Familien, die vor dem Krieg fliehen mussten, sind oft weit entfernt – viele wissen nicht einmal, ob ihre Söhne und Brüder noch leben.

Und häufig haben die Jugendlichen, die als vermeintliche Kriminelle in griechischen Gefängnissen landen, bereits eine Odyssee hinter sich. So berichtet es etwa der 19-jährige Bada Ruman Steven in einer Sprachnachricht: Er verlor seine Eltern im sudanesischen Krieg, überlebte mit seinen Schwestern in Ägypten, floh dann nach Libyen, wo er unter ausbeuterischen Bedingungen arbeitete. Bei der Überfahrt nach Griechenland wurde er mit vorgehaltener Waffe gezwungen, das GPS-Gerät zu halten – der offizielle Grund, weswegen er sechs Monate später immer noch im Gefängnis sitzt, getrennt von seinen Schwestern. »Ich bin kein Verbrecher«, sagt Bada Ruman Steven. »Ich bin ein Opfer des Krieges.«

Auch Mousab, 19 Jahre alt, wurde unter Gewaltandrohung gezwungen, zwölf Stunden lang das Boot zu steuern – anstelle der Schlepper. Dafür wurde er in Griechenland zu 25 Jahren Haft verurteilt. Seit sieben Monaten hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Mousab berichtet, dass er zwar vor Gericht zu seinem Fall gesprochen habe, ihm aber niemand zuhören wollte. Sofort verhaftet wurde auch Suleman Mazen, 18 Jahre alt, als er griechischen Boden betrat. »Wir sind nur Menschen, die überleben wollen«, schreibt er in einem Brief an die Gruppe de:criminalize aus dem Gefängnis. Der erst 17-jährige Chol Hani Zacheria wurde in eine Zelle mit älteren Männern gepfercht. In Libyen hatte er zuvor Gelegenheitsjobs angenommen, um sich die Überfahrt zu finanzieren.

Vier Freisprüche

In ganz Europa haben sich mittlerweile Solidaritätsnetzwerke unter dem Motto #FreeTheBoys formiert: Anwälte, Aktivist*innen und die sudanesische Diaspora setzen sich für die Freilassung der Inhaftierten und für eine Reform der Anti-Schmuggelgesetze ein. In Athen etwa bietet die Alma Community psychologische Unterstützung, Kunstprojekte und Workshops an – Orte, an denen Geflüchtete nicht nur Empfänger*innen von Hilfe sind, sondern aktiv mitgestalten können.

Die Alma Community organisiert Aufklärungsveranstaltungen, Spendenaktionen und Briefeschreibaktionen. »Wir arbeiten mit Anwälten zusammen, um Gerichtsverfahren zu verfolgen, unterstützen Freigelassene bei der Beantragung von Asyl und helfen ihnen bei der Wohnungssuche. Es geht darum, ihnen zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind«, sagt Mustafa, der sich bei der Organisation engagiert, gegenüber ak.

Zum ersten Mal wurden auch internationale Beobachter*innen bei den Prozessen zugelassen.

Anfang September 2025 standen in Kreta 14 Migranten, darunter mehrere sudanesische Jugendliche, wegen der Anti-Schmuggelgesetzgebung vor Gericht. Zum ersten Mal wurden auch internationale Beobachter*innen bei den Prozessen zugelassen. Die Urteile fielen sehr unterschiedlich aus. Vier Sudanesen wurden freigesprochen – das Gericht erkannte an, dass die Flucht vor Krieg nicht mit Schleusung gleichgesetzt werden kann. Andere jedoch, darunter Männer aus Ägypten und Nigeria, erhielten Strafen zwischen zehn und 25 Jahren.

Nicht nur sei die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen gegen Flüchtende gemäß Artikel 31 der Genfer Konvention verboten, wenn diese aus einem Gebiet kämen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind, argumentierte die griechische Hilfsorganisation HIAS. Wer während der Einreise Maßnahmen ergreift, um sein eigenes Überleben zu erleichtern, sei zudem vom Geltungsbereich des Menschenschmuggel-Straftatbestands ausgenommen.

Aktivist*innen warnen davor, dass Gerechtigkeit nicht von der Nationalität oder dem Asylstatus abhängen darf. »Es ist gefährlich, Unschuld mit Nationalität zu verknüpfen«, stellt das Border Violence Monitoring Network fest.

Mehr Straftat als Menschenrecht

Das Schicksal sudanesischer Jugendlicher in Griechenland wirft ein Schlaglicht auf einen allgemeinen Trend in der EU: Migration wird schon längst mehr als Straftat, denn als Menschenrecht behandelt. Grenzen werden militarisiert, unregulierte Fluchtbewegungen kriminalisiert, während diejenigen, die aus den gefährlichen Überfahrten Profit schlagen, ungestraft bleiben.

Gesetze wie die im Rahmen Mai 2024 beschlossene EU‑Facilitation‑Richtlinie, die Beihilfe zur Migration unabhängig vom Motiv unter Strafe stellt, widersprechen laut Menschenrechtsorganisationen internationalen Flüchtlingsrechten. Ohne Reformen werden sich Fälle wie jene der sudanesischen Jugendlichen in Kreta häufen.

Ibrahim Izzeldeen

lebt in Berlin. Er ist Sozialarbeiter, Schriftsteller und Filmemacher und engagiert sich in der sudanesischen Diaspora, unter anderem bei SudanUprisingGermany.

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