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Am gedeckten Tisch, vor den Zäunen

Griechenland will seine Grenzen für ausländische Tourist*innen öffnen, um die Wirtschaft nach dem Lockdown zu stärken. Reisende werden auf verzweifelte Geflüchtete treffen.

Von Salinia Stroux und Chrisa Wilkens

Frau mit Fahrrad, Insel Kreta
Die Ruhe vor dem Sturm? Hier in Chania auf der Insel Kreta sollen bald wieder Tourist*innen flanieren und dem wirtschaftlich angeschlagenen Hotel- und Gaststättengewerbe auf die Beine helfen. Foto: Antoine Rossi

Das Griechenland der Tourist*innen, das »Land der Sonne«, liegt seit Covid-19 auf Eis. Am 26. Februar wurde der erste Corona-Fall diagnostiziert, knapp einen Monat später ging Griechenland in den Lockdown. Mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft. Nun öffnen sich die Tore des Landes wieder schrittweise, Griechenland wirbt um Besucher*innen. Auf den Urlaubsinseln der Ägäis harren derweilen weiter mehr als 37.000 Schutzsuchende unter lebensgefährlichen Bedingungen aus. Eine explosive Gemengelage, in der die Feindseligkeiten gegenüber den Geflüchteten weiter zunehmen.

Im Laufe der letzten Wochen hat sich die ganze Welt im Namen der Pandemiebekämpfung in ihre nationalen Grenzen zurückgezogen und abgeschottet. Auch die griechische Regierung unterwarf sich den Ratschlägen einer medizinischen Expertenkommission und erklärte die Gesundheit der Bevölkerung zum obersten Ziel. Zu groß war die Angst vor dem Tod, der die Nachbar*innen in Italien schon heimgesucht hatte.

Zudem hatte die harte Sparpolitik, die internationale Gläubiger*innen Griechenland nach der Schuldenkrise auferlegt hatten, zu einer signifikanten Schwächung des öffentlichen Gesundheitssystems geführt. Zehntausende gut qualifizierte Ärzt*innen hatten das Land verlassen – Richtung Deutschland oder in andere EU-Länder. Als im März klar wurde, dass die Epidemie auch in Europa angekommen war, verfügte Griechenland gerade mal über gut 560 Betten auf Intensivstationen, für eine Bevölkerung von knapp 11 Millionen Menschen. Griechenland befand sich damit auf den letzten Plätzen der weltweiten Rangliste. Den Krankenhäusern fehlte es zudem an nötiger Schutzausrüstung. In mehreren Orten begannen Bürgerinitiativen Masken für das Krankenhauspersonal zu nähen, auch Spenden aus China und anderen Ländern deckten einen Teil des Bedarfs.

Griechenland verbrachte insgesamt 42 Tage in Quarantäne. So konnte Schlimmeres verhindert werden.

Im Vergleich zu anderen Ländern hatte das Land den Lockdown des öffentlichen Lebens schnell und äußerst restriktiv umgesetzt, um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen. Griechenland verbrachte insgesamt 42 Tage in Quarantäne. So konnte Schlimmeres verhindert werden. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist die Anzahl der Infizierten und Toten immer noch niedrig. Bis 15. Mai waren landesweit 2.770 Corona-Patient*innen registriert, 160 Menschen sind nach offiziellen Angaben an den Folgen des Virus gestorben.

Die Pandemiebekämpfung in Griechenland wurde so zu einer kleinen Erfolgsgeschichte. Doch jetzt ist es aus Regierungssicht genug der Vorsicht: Die epidemiologischen Entwicklungen im Land geben Hoffnung. Die Ansteckungskurve hat sich weiter abgeflacht. Die Zahl der Intensivfälle hat sich verringert. Das Virus scheint unter Kontrolle. Die Politik setzt jetzt andere Schwerpunkte. Denn die Wirtschaft leidet, vielen Unternehmer*innen droht der Bankrott, Arbeitnehmer*innen bangen um ihre Jobs. Insgesamt 14 Prozent aller Unternehmen waren vom Lockdown betroffen. 25,4 Prozent der Beschäftigten des Landes wurden vorerst von ihrem Arbeitsplatz freigestellt. Anfang Mai wurde der Lockdown nun beendet. Jetzt muss sich die Wirtschaft erholen.

Grenzkonflikt im Shutdown

Auch im Nachbarland Türkei hatte es kurzfristig massive Einschnitte in die Bewegungsfreiheit von Menschen und Gütern gegeben. Vorangegangen war jene zweiwöchige Phase der politischen Machtspiele auf Kosten Geflüchteter, die Ende Februar mit der »Freilassung« von Asylsuchenden an der türkischen Grenze zu Europa ihren Anfang genommen hatte (ak 658). Etwa zeitgleich, am 26. Februar, war in Thessaloniki der erste Corona-Fall bestätigt worden. Griechenland machte die Grenzen dicht – auch im Namen der Pandemie – und stockte Grenzpolizei und Soldaten auf. Es folgte eine trügerische Ruhephase im türkisch-griechischen Grenzgebiet. Die Ausgangssperren, die am 23. März landesweit verhängt wurden, ließen auch die Fluchtbewegungen über die Grenze pausieren.

Die rechtskonservative griechische Regierung nutzte diese Zeit, um das Land weiter gegenüber Asylsuchenden abzuschotten.

Die rechtskonservative griechische Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis nutzte diese Zeit, um das Land weiter gegenüber Asylsuchenden abzuschotten und die schon im Landesinneren befindlichen Menschen weiter zu entrechten.

Am 13. März schloss die griechische Asylbehörde ihre Türen für die Öffentlichkeit. Bereits am 18. März – noch vor dem landesweiten Lockdown – beschloss die griechische Regierung weitreichende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Geflüchtete in den ägäischen Hotspots. Sie durften von da an nur noch kontrolliert in kleinen Gruppen rausgehen. Gleichzeitig wurde Helfer*innen der Zugang zu den Geflüchteten verwehrt.

Das Anfang November verabschiedete neue Asylgesetz wurde außerdem weiter verschärft. Es regnete 11.000 Asylablehnungen in den letzten zwei Monaten. Etwa 8.000 anerkannte Geflüchtete sollen Ende Mai die staatlichen Lager und Wohnungen verlassen. Ihnen droht Obdachlosigkeit. Neuankömmlinge sollen direkt in administrative Haft, Abgelehnte auch. Die direkte Abwehr von Geflüchteten an den Grenzen durch illegale Zurückweisungen ist zum Alltag geworden. Geplant sind zudem tausende Abschiebungen in Herkunftsländer sowie Rückführungen in die Türkei im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens. Athen setzt deutliche Zeichen. In Griechenland ist kein Platz für noch mehr Geflüchtete.

Reisen ins Land der Sonne

Nun, kurz nach Beendigung der Ausgangssperre und trotz der nach wie vor unsicheren Pandemie-Lage weltweit, drängt Griechenland wieder auf die Öffnung des Landes für Tourist*innen, um die stark angeschlagene Wirtschaft wieder anzukurbeln. Tatsächlich hat der Lockdown der griechischen Wirtschaft schwer zugesetzt. Die Europäische Kommission rechnet für Griechenland dieses Jahr mit einem Wachstumsrückgang von 9,7 Prozent, das wäre die schlimmste Rezession unter den Ländern der Eurozone. Die nationale Arbeitslosigkeit könnte sogar die 22-Prozent-Marke erreichen, so prognostiziert der Internationale Währungsfonds.

Laut Medienberichten sind das deutsche und griechische Tourismusministerium schon in engem Kontakt, um ein bilaterales Reiseabkommen zu verhandeln. Auch auf europäischer Ebene drängt Griechenland auf eine schnelle Rückkehr von Reisefreiheiten. Am Montag, den 18. Mai, soll das Reiseverbot zunächst für das griechische Inland schrittweise aufgehoben werden. Zeitgleich wird auch die griechische Asylbehörde eingeschränkt ihre Arbeit wiederaufnehmen. Die Öffnung des Landes für den internationalen Tourismus plant die griechische Regierung für den 1. Juli.

Expert*innen betonen, dass das Risiko einer zweiten Welle groß sei.

Ob Griechenland allerdings in der Lage ist, Tourist*innen, Geflüchtete und Einheimische gleichermaßen vor dem Virus zu schützen, ist fraglich. Expert*innen betonen, dass das Risiko einer zweiten Welle oder gar multipler Neuausbrüche sehr groß sei. Die Tatsache, dass in Griechenland weiterhin nur wenige Tests durchgeführt werden, führe dazu, dass es kein klares Bild über die wahre Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung gebe, so die Kritik. Die Empfehlungen der Expert*innen, die Testkapazitäten deutlich zu erweitern, um auch asymptomatische Patient*innen identifizieren zu können, werden nur begrenzt umgesetzt. Insgesamt wurden bis dato nur etwa 116.200 Tests durchgeführt.

Frau im Lager Malakasa, nahe Athen
Für die Geflüchteten in den beengten Unterkünften im Lager Malakasa, nahe der Hauptstadt Athen, ist »social distancing« unmöglich. Foto: Salinia Stroux

Für die Geflüchteten im Land birgt das eine große Gefahr. Über 120.000 befinden sich derzeit in Griechenland, gut ein Drittel von ihnen harrt in den überfüllten Hotspots auf den ägäischen Urlaubsinseln aus – unter katastrophalen sozialen und hygienischen Bedingungen. Menschenrechtsorganisationen warnen seit Wochen vor einer flächendeckenden Ausbreitung des Virus in den Camps, sie fordern die Evakuierung der Menschen. Nach wie vor gibt es keine ausreichenden Kapazitäten in den Krankenhäusern, sollte die Zahl der Corona-Fälle auf den Inseln steigen.

Auf dem Festland war bereits Ende März der erste Covid-19-Fall einer Geflüchteten entdeckt worden, im Lager Ritsona in der Nähe von Athen. Eine junge Frau wurde nach der Geburt ihres Kindes in einem Athener Krankenhaus positiv auf das Virus getestet. Das Lager wurde unter Quarantäne gestellt. 20 weitere Camp-Bewohner*innen wurden positiv getestet. Ein paar Tage später folgten auch das offene Lager Malakasa und eine Flüchtlingsunterkunft in Peloponnes, wo mehrere Infizierte registriert wurden. Die Bewohner*innen der Lager klagten, man habe Gesunde und Infizierte gemeinsam eingesperrt. Die Quarantäne-Maßnahmen dienten offenbar nur dem Schutz der griechischen Bevölkerung und nicht der Geflüchteten. In den Lagern haben sie weder Masken noch Desinfektionsmittel, sie wissen nicht, wie sie sich so schützen sollen. In Malakasa lebten zu diesem Zeitpunkt 450 Geflüchtete in Zelten. Anfang Mai wurden auch auf Lesvos die ersten vier Geflüchteten positiv auf Corona getestet – in einer Noteinrichtung für Neuangekommene. Mittlerweile wurden die 70 Bewohner*innen getestet. Auch die Angestellten und Beamt*innen, die mit den Menschen in Kontakt gekommen waren, sollten getestet werden.

Brennende Hotels

Um der Gefahr einer Ausbreitung in den Lagern entgegenzuwirken, will die Regierung Geflüchtete nun von den Inseln aufs Festland bringen. Mit Finanzmitteln der EU sollen dafür 2.380 Plätze in Hotels gemietet werden.

Die letzten Transfers in gecharterte Hotels endeten allerdings in einem Fiasko. Anwohner*innen blockierten den Zugang. Hotels wurden in Brand gesetzt. Und das, obwohl die Unterbringung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter die stark angeschlagene Hotelbranche in Zeiten von Corona hätte stützen können. 38.000 Hotels und Touristenunterkünfte gibt es in Griechenland, sie beschäftigen über 400.000 Menschen. Die Hotelbranche steuert ein Viertel des griechischen Bruttoinlandsproduktes bei. Mit der wirtschaftlichen Krise und der geplanten Öffnung des Landes für Tourist*innen aber, wächst auch die Feindseligkeit gegenüber den Geflüchteten weiter. Die dramatische Situation in den Lagern trübt das Bild des »Landes der Sonne«.

Während einige Hotels für die Touristensaison aufpoliert werden, brennen andere, damit keine Geflüchteten einziehen. Und nebenan werden schon die neuen Gefängnisse gebaut, um Geflüchtete am Bleiben oder Weiterreisen zu hindern.

Von Touristen und Vagabunden schrieb Zygmund Baumann schon vor über zwanzig Jahren, die nach Herzenswunsch bleiben oder gehen können. Und von den Unwillkommenen, die wissen, sie werden nie lang bleiben können, wie sehr sie es sich auch wünschen. Für die einen ist die Welt unwiderstehlich attraktiv. Für die anderen ist sie unerträglich ungastlich. Sie reisen, weil die Flucht die weniger gefährliche Entscheidung ist und weil es keine lebbare Alternative für sie gibt. Covid-19 hat für einen Moment die Welt innehalten lassen. Jetzt beginnen die Menschen wieder, sich zu bewegen. Während wir für die einen die Tische gedeckt und die Unterkünfte hergerichtet werden, wird das Leben der anderen immer wieder erneut aufs Spiel gesetzt. Die Saison ist eröffnet!

Salinia Stroux

Salinia Stroux ist Aktivistin bei *welcome to europe* und Watchthemed Alarm Phone und arbeitet unter anderem als freie (Foto-)Journalistin. In griechischen Aufnahmelagern dokumentiert sie Menschenrechtsverletzungen für RSA/PRO ASYL.

Chrisa Wilkens

arbeitet als freie Journalistin in Griechenland. Seit mehr als zehn Jahren berichtet sie für griechische und ausländische Medien über Migration, Menschenrechte und Austeritätspolitik.