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Brüchiger Frieden für Tigray

Das neue Abkommen für Äthiopiens Nordprovinz muss seine Stabilität noch erweisen – eine wesentliche Kriegspartei war nicht eingebunden

Von Jonas Berhe

Demonstration immVordergrund eine Person, die spricht
Protest gegen den Krieg in Tigray. Foto: Brett Sayles / Pexels

Vor laufenden Kameras unterschrieben Redwan Hussein, Vertreter der äthiopischen Regierung, und Getachew Reda als Repräsentant der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) Anfang November nach rund zwei Jahren Krieg und zehntägigen Verhandlungen ein Friedensabkommen. Viele politische Beobachter*innen überraschte das. Die unter der Aufsicht der Afrikanischen Union vermittelten Gespräche wurden zwar mit konkreten Verabredungen beendet, allerdings fehlte die dritte große Kriegspartei: die Militärdiktatur des Nachbarn Eritrea. Dabei gibt es über ihre Teilnahme an dem Krieg keinen Zweifel. Diverse internationale Medien berichteten über deren Beteiligung (siehe ak 663 & 666), auch wenn sich Eritrea selbst bisher nicht konkret zu dieser äußert. Der Chefvermittler der Afrikanischen Union und frühere nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo sprach bei der Pressekonferenz in Pretoria anlässlich des Friedensabkommens dennoch von einer »Wiederherstellung von Recht und Ordnung«.

Mehr als eine halbe Million Tote

Das Friedensabkommen kam nach einem von allen beteiligten Seiten erbarmungslos geführten Krieg zustande. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge wurden über 500.000 Menschen in beiden Kriegsjahren getötet und rund 2,6 Millionen Menschen vertrieben. Eine Atempause für die Menschen in der Region gab es zuvor lediglich von März bis August dieses Jahres aufgrund einer kurzen Feuerpause. Begonnen hatte der Krieg, weil die ehemals selbst an der Vorgängerregierung beteiligte TPLF trotz Verbotes durch die Zentralregierung in der Provinz Tigray Wahlen durchführen ließ.

Nach ersten militärischen Erfolgen durch die TPLF wandte sich Äthiopiens Ministerpräsident Aby Ahmed dem Nachbarn Eritrea zu und bat um militärische Unterstützung. Schätzungen zufolge kamen phasenweise Zehntausende Soldat*innen ins Land. Genauer beziffern lässt sich die Zahl der eritreischen Soldat*innen nicht. Von Eritrea sind hierzu keine Zahlen zu bekommen, da sich das Land nicht detailliert zum Kriegseinsatz äußert.

Die Kernpunkte des Friedensabkommens sind schnell umrissen: ein Ende der militärischen Auseinandersetzungen, ungehinderter Zugang für Hilfsorganisationen in die Provinz Tigray sowie die Entwaffnung und Demobilisierung der TPLF-Kämpfer*innen. Hardliner aus Tigray lesen das Ergebnis nun vor allem als Kapitulation nach dem Krieg und lassen ihrer Unzufriedenheit freien Lauf. Organisationen wie die Global Society of Tigray Scholars and Professionals (GSTS), ein Zusammenschluss von über 5.000 einflussreichen Wissenschaftler*innen sowie Parteien wie die Tigray Independent Party lehnen ab, dass die TPLF laut Abkommen ihre Waffen abgeben muss, ebenso wie dass sie fortan anerkennen soll, dass es in Äthiopien nur ein einziges legitimes Militär geben kann. Sie verweisen dabei auf Menschenrechtsverbrechen durch die äthiopische Regierung.

Eine Atempause für die Menschen in der Region gab es zuvor lediglich von März bis August aufgrund einer kurzen Feuerpause.

Schwere Menschenrechtsverbrechen haben alle Kriegsparteien in den beiden Kriegsjahren verübt. Amnesty International berichtet von dokumentierten Gräueltaten durch die TPLF in und um Chenna und Kobo in der Amhara Region. Human Rights Watch hält fest, dass das äthiopische Militär verantwortlich ist für gezielte Menschenrechtsverbrechen an die tigrayische Zivilbevölkerung im westlichen Tigray. Zudem kritisiert Human Rights Watch, dass das Friedensabkommen keine klaren Verantwortlichen bei der Bearbeitung der zahlreich verübten Menschenrechtsverbrechen der Kriegsjahre benennt und die Unterzeichner das Abkommen selbst nur als »vorübergehende Rahmenregelung« verstehen.

Somit scheint dessen dauerhafte Belastbarkeit weder politisch noch zivilgesellschaftlich sichergestellt. Auch berichtete beispielsweise die niederländische Professorin für International Relations, Mirjam van Reisen, per Twitter nur wenige Stunden nach Unterzeichnung des Friedensabkommens von Raketenangriffen seitens der Zentralregierung auf Kilte Awulaelo, ein Distrik, der etwa 50 Kilometer von der tigrayischen Hauptstadt Mekelle entfernt liegt.

Einschränkung von Grundrechten nach innen

Während der äthiopische Regierungschef Aby Ahmed den Krieg auch zur flächendeckenden Rückführung von Grundrechten im eigenen Land nutzte – immer wieder wurde in verschiedenen Landesteilen der Internetzugang abgedreht, die Arbeit von unabhängigen Medien sowie Hilfsorganisationen der Zugang in die Krisengebiete erschwert oder gar nicht erlaubt – wird sich nun zeigen, wie sehr ihm am Frieden mit Tigray gelegen ist. Nach seiner Wiederwahl mitten im Krieg gab sich Aby Ahmed betont staatsmännisch und sprach von einer notwendigen staatlichen Versöhnung aufgrund der vielen Krisenherde im Land, die durch die Implementierung einer nationalen Dialogkommission umgesetzt werden soll. Die Dialogkommission ist zunächst bis 2024 angesetzt. Aufgrund der intensiven Konflikte in Äthiopien erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass in so kurzer Zeit eine nachhaltige Aussöhnung der verschiedenen Konflikte, geschweige denn der unmittelbaren regionalen Feindseligkeiten aufgrund des Krieges gelingen kann.

Da das Friedensabkommen von Pretoria ohne ein Einwirken auf die eritreische Regierung zustande kam, diese aber auf Seiten der äthiopischen Zentralregierung massiv in die Kämpfe involviert war, ist die längerfristige Haltbarkeit des Abkommens auch aufgrund dieser Machtdemonstration ungewiss. Zumal es den Abzug der eritreischen Truppen aus Tigray nicht regelt. Eritrea selbst scheint aktuell und auch in naher Zukunft kein Interesse an einer politischen Stabilisierung Tigrays zu haben.

Seit dem sogenannten Grenzkrieg von 1998 bis 2000 sind die Fronten sehr verhärtet. Zumal Eritrea mit dem Hinweis auf den politischen Gegner und Nachbarn Tigray den international kritisierten, da zeitlich unbefristeten Militärdienst im Lande aufrecht hielt. Eine dauerhafte militärische Präsenz in Tigray dürfte eventuell sogar im Sinne Eritreas sein. Denn dass sich Aby Ahmed auf ewig in Addis Abbeba hält, ist aufgrund der diversen regionalen Krisenherde im Land ungewiss, da käme eine dauerhafte militärische Pufferzone der eritreischen Regierung unter Umständen gerade recht. Allerdings wird Yemane Ghebremeskel, Informationsminister der eritreischen Regierung nicht müde zu behaupten, dass Eritrea »keine speziellen Interessen« in Tigray verfolge. Das werden die nächsten Monate zeigen.

Es ist zu befürchten, dass das Militärregime in Eritrea gerade mit dem Verweis auf den gewonnenen Krieg in Tigray das eigene Land weiterhin in einem Geiselzustand der dauerhaften militärischen Mobilisierung halten wird. Da dieser Umstand schon ohne den Krieg vor 2020 zu immensen Fluchtwellen gerade junger Menschen aus dem Land führte, bleibt anzunehmen, dass aufgrund des Friedensabkommens erneut viele Menschen die gefährliche Flucht antreten werden. Und diese führte auch schon in den letzten Jahren aufgrund der regionalen Nähe und der gleichen Sprache oft durch Tigray.

Jonas Berhe

ist Gewerkschafter und freier Journalist aus Frankfurt am Main.