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Gefährliche Bürokratie

Die Initiative Familiennachzug Eritrea fordert sofortiges Handeln der Bundesregierung

Von Kochob Mihretaab und Mihir Sharma

Demonstrationsteilnehmer:innen stehen mit Abstand vor dem Bundeskanzler:innenamt
Angehörige warten teils schon seit Jahren auf ihre Familienangehörigen. Eine Antwort von der Bundesregierung gab es noch nicht. Foto: Almaz Haile

Am 30. November verbrachten aus Protest Dutzende Menschen die Nacht vor dem Kanzleramt. Der Dezember begann in bitterer Kälte – für viele Teilnehmer*innen des Protests jedoch auch mit Sehnsucht, denn die meisten – selbst aus Eritrea geflüchtet – haben Familien in der Grenzregion Tigray in Äthiopien, wo nun Krieg herrscht. Laut Almaz Haile vom Flüchtlingsrat Berlin und Vertreterin der Initiative Familiennachzug Eritrea ist das Ziel der Demonstration, dem Außenministerium von SPD-Bundesminister Heiko Maas zur Kenntnis zu bringen, »dass dieser Familiennachzug erforderlich, notwendig und dringender denn je ist. Insbesondere, da sie einen Rechtsanspruch darauf haben.«

Seit dem Amtsantritt des äthiopischen Premierministers Abiy Ahmed 2018 ist das Verhältnis zur Regionalregierung Tigrays (TPLF), die vorher fast 30 Jahre lang in Äthiopien regierte, extrem angespannt. Seit einem Monat führt Ahmed eine Kriegsoffensive gegen die TPLF durch (siehe Seite 4). Besonders die Leben der 96.000 geflüchteten Eritreer*innen in Tigray ist enorm gefährdet. Sie fliehen vor der Militärdiktatur in Eritrea, wo die Mehrheit der Bevölkerung den sogenannten National Service leisten muss, wo sie als Rekruten Zwangsarbeit auf unbestimmte Zeit verrichten und ihnen körperliche Folter droht.

Augenzeug*innen berichten, dass geflüchtete Eritreer*innen vom eritreischen Militär, das in Tigray gesichtet worden sei, misshandelt und einige vermutlich auch wieder nach Eritrea gebracht worden seien. Mehrere Hunderte Menschen sind in den Kämpfen ums Leben gekommen und über 40.000 Menschen sind mittlerweile in den Sudan geflohen. Die Internet- und Telefonverbindungen in Tigray sind weiterhin gekappt. »Diese Situation führt zu Unmut und Zerrissenheit zwischen Familien, die sich seit Jahren nicht gesehen haben wie meine auch«, kommentierte Hanaan von der Initiative Familiennachzug Eritrea. »Die Verantwortung für den Familiennachzug liegt bei der Bundesregierung. Was die Familien immer noch zusammenhält, ist der gemeinsame Kampf für unsere Menschenrechte«, so Hanaan.

Dies war bereits die dritte Aktion der Initiative dieses Jahr. Am Morgen des 1. Dezember haben die Demonstrierenden einen offenen Brief an das Kanzleramt überreicht, wo ihre Forderungen bezüglich des Familiennachzugs stehen. Der Brief wurde von über zwanzig Vereinen und Organisationen aus verschiedenen Regionen in Deutschland unterzeichnet, unter anderem von den Flüchtlingsräten Hessen, Bremen und Schleswig-Holstein, Die Urbane Partei, ISD Bund, und Romaniphen e.V.

Im Brief wird gefordert, »die Visaverfahren zugunsten der betroffenen Menschen schnell, flexibel und unbürokratisch zu gestalten«. Almaz Haile von der Initiative betont im Gespräch mit ak: »Europäische Richtlinien besagen, dass es keinen Grund gibt, einen Familiennachzug aufgrund von fehlenden Dokumenten abzulehnen.« Konkret geht es in den meisten Fällen darum, dass Heiratsurkunden vom Auswärtigen Amt nicht anerkannt werden, wenn sie nicht standesamtlich erstellt oder bestätigt sind, obwohl sie sowohl in Eritrea, als auch in Frankreich, den Niederlanden, und anderen europäischen Ländern als rechtmäßig gelten. Dabei werden in Eritrea die meisten Taufurkunden, Eheschließungen und Todesfälle nicht standesamtlich registriert, sondern religiös. Gleichzeitig weigert sich das Auswärtige Amt jedoch alternative Arten der Glaubhaftmachung von familiären Bindungen wie Privatdokumente, Familienfotos oder DNA-Tests als gültige Nachweisform zuzulassen. Beispielsweise kämpft Hanaan seit vier Jahren genau darum, während ihre Kinder und ihr Ehemann in Uganda warten. »Das Außenministerium in Deutschland fordert die Geflüchteten auf, diese Dokumente beim eritreischen Außenministerium in Asmara beurkunden zu lassen. Das ist jedoch für die meisten Geflüchteten weder möglich noch machbar«, so Haile. Denn sie müssen eine Reueerklärung für ihre Flucht unterschreiben und eine Strafe akzeptieren, die ihre hinterbliebenen Familienangehörigen in Gefahr bringt. Außerdem müssen sie eine »Aufbausteuer« von zwei Prozent ihres Einkommens an den Staat überweisen.

Die Demonstration wurde von Pro Asyl, der Initiative für Familienleben für Alle und Mitgliedern des Berliner Flüchtlingsrates unterstützt. Auch waren Aktivist*innen von Migrantifa Berlin nachts vor Ort, um Schutz vor möglichen rassistischen Angriffen zu bieten. »Es waren vor allem junge eritreische Frauen, die diese Kälte erträglich gemacht haben; mit der Lieferung von Essen und warmen Getränken oder indem sie dafür gesorgt haben, dass es Nachts nicht so düster wird, mit Lichterketten oder Kerzen«, sagte Haile.

Besonders wegen der Abschottung Tigrays von der Außenweltund und von humanitären Organisationen, wird die Situation für sie mit jedem Tag lebensbedrohlicher. Am 7. Dezember veröffentlichte das Auswärtige Amt einen Sicherheitshinweis für Reisende nach Äthiopien. Eine Antwort auf den Brief der Initiative gab es jedoch keine. »Wir werden um unsere Menschenrechte weiterkämpfen«, sagt Hanaan.

Kochob Mihretaab

lebt und studiert in Berlin. Sie ist in antirassistischen, feministischen und linken Initiativen organisiert.

Mihir Sharma

ist Mitglied der Arbeitsgruppe Anthropologie globaler Ungleichheiten bei der Bayreuth International Graduate School for African Studies (BIGSAS) und lehrt an der Universität Bayreuth. Er schreibt zu Anti-Rassismus, politischer Ökonomie und sozialen Bewegungen.