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»Der politische Handabdruck ist wichtiger als der ökologische Fußabdruck«

Der österreichische Skiprofi Julian Schütter über sein Engagement gegen den Klimawandel

Interview: Gabriel Kuhn

stilisierte vereiste Gipfel oder schneebedeckte Bäume, davor ein rot-gelber Streifen.
Ist es ökologischer Frevel, trotz Kilmawandel Ski zu fahren? Manche Gletscher müssen mit Maschinen bearbeitet werden, um überhaupt noch eine Piste zu generieren. Grafik: Melanie Nehls

Seit einigen Jahren entbrennt im Winter immer wieder die gleiche Diskussion: Ist es nicht ökologischer Frevel, Ski zu fahren, wenn die die Pisten aus Kunstschnee bestehen und rundherum alles grün ist? Julian Schütter ist Skirennfahrer, weiß aber um diese Problematik. Im Interview spricht er über sein Engagement für Fridays for Future und die Letzte Generation.

Für Leser*innen, die sich im Skirennsport nicht so auskennen: Was ist der Alpine Weltcup? Wie lange läuft der, wo wird gefahren

Jullian Schütter: Der Weltcup ist quasi die höchste Liga im Skirennsport. Die Saison läuft von Ende Oktober bis Mitte März. Die meisten Rennen finden in Europa statt, manche in Nordamerika. Auch in Asien wird gefahren, wenn dort Großveranstaltungen anstehen.

Es gibt unterschiedliche Disziplinen. Welche fährst du?

Es gibt vier Kerndisziplinen: Slalom, Riesenslalom, Super-G und Abfahrt. Beim Slalom sind die Tore eng zusammengesteckt, bei der Abfahrt fährst du den Berg hinunter und erreichst die höchsten Geschwindigkeiten. Riesenslalom und Super-G liegen dazwischen. Ich fahre Super-G und Abfahrt.

Wie kamst du zum Skirennsport, und warum hast du dich auf die sogenannten Speed-Disziplinen konzentriert?

Ich wuchs in einem kleinen Tal in der Steiermark auf; 200 Meter von unserem Haus entfernt gab es einen Skilift. Alle in unserer Familie waren im Verein. In Schladming schaffte ich die Aufnahmeprüfung für die Skihauptschule. Dann lief es bei Rennen immer besser, bis ich mich für internationale Wettbewerbe qualifizierte. Abfahrt und Super-G liegen mir am meisten.

Foto: Thomas Schrammel / ÖSV

Julian Schütter

ist 25 Jahre alt und österreichischer Skirennläufer. Er wurde 2019 Vize-Juniorenweltmeister im Abfahrtslauf. Heute gehört er dem B-Kader des Österreichischen Skiverbandes an und fährt im Weltcup. Außerdem ist er Klimaaktivist. Im Netz auf www.julian-schuetter.com zu finden und unter @schuetterboi auf Instagram.

In der Saison 2022/23 holtest du nicht nur deine ersten Weltcuppunkte, du erregtest auch als Klimaaktivist Aufsehen. Mit der Gruppe Protect Our Winters schriebst du einen offenen Brief an den Internationalen Skiverband FIS. Worum ging es darin?

Wir forderten einen glaubwürdigen Klimaschutz, konkret: ein Bekenntnis zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2035, eine Nachhaltigkeitsstrategie mit 50-prozentiger Emissionsreduzierung bis zum Jahr 2030, eine Nachhaltigkeitsabteilung bei der FIS und vollständige Transparenz. 500 Athlet*innen haben unterschrieben, darunter auch sehr prominente wie Mikaela Shiffrin, die erfolgreichste Skirennläuferin aller Zeiten.

Wie war die Reaktion der FIS?

Wir waren enttäuscht. Wir fanden, der Verband verpasste eine Chance, mit den Athlet*innen gemeinsam etwas zu ändern. Jetzt haben wir den Brief umgeschrieben; alle Menschen können unterzeichnen. Bis jetzt haben wir 38.000 Unterschriften gesammelt. 

FIS-Präsident Johan Eliasch erklärte, dass er die FIS zum ersten »klimapositiven« Sportverband machen wolle. Er verwies unter anderem auf Regenschutzprogramme.

Es ist bekannt, dass die meisten dieser Programme völlig wirkungslos sind. Das ist Greenwashing. Zudem fehlt die Transparenz. Wir haben keine Ahnung, was genau die FIS wie schützen will. Aber wenigstens spricht niemand mehr von »Klimapositivität«. Ich denke, das ist nicht zuletzt uns zu verdanken.

Je mehr ich mich mit der Geschichte des zivilen Ungehorsams beschäftigte, desto überzeugter war ich.

Julian Schütter

Hatte euer Brief sonst noch Auswirkungen?

Die FIS hat im Sommer eine »Nachhaltigkeitsdirektorin« angestellt. Ich denke, sie hat gute Absichten. Die Frage ist, ob sie sich durchsetzen kann.

Der Generalsekretär des Österreichischen Skiverbandes meinte Anfang dieser Saison, du müsstest dir die Frage stellen, ob »der Beruf mit deiner Ideologie übereinstimmt«. Ist das nicht Nestbeschmutzer*innen-Kritik?

Ich würde die Aussage nicht überbewerten. Ich weiß, wer ihn da interviewt hat. Es kann gut sein, dass das nicht so gemeint war. Ich fühle mich vom ÖSV nicht unfair behandelt. Für unseren Brief gab es einiges an Unterstützung.

Viele Kolleg*innen haben unterschrieben. Aber nicht alle.

Natürlich gibt es welche, die das Thema nervt. Aber es gibt auch welche, die mir persönlich gegenüber Sympathie ausdrückten, es aber nicht wagten zu unterschreiben. Sie sorgten sich um die Reaktionen der Verbände und Sponsoren.

Für Laien sind bestimmte Aspekte in der Weltcup-Planung nur schwer nachvollziehbar: Warum ein Saisonstart im Oktober? Warum eine neue Abfahrt am Matterhorn, die dann zwei Jahre nacheinander abgesagt wird? Warum fliegen Athlet*innen für zwei Rennen in die USA?

Der frühe Saisonstart ist ein Signal der Skiindustrie: Bald kommt der Winter, es ist Zeit, den Skiurlaub zu buchen und die neueste Ausrüstung zu kaufen. Mit den Rennen in den USA soll der nordamerikanische Markt bedient werden. Und die Abfahrt am Matterhorn ist ein Prestigeprojekt, mit Start in der Schweiz und Ziel in Italien. Das Problem ist die Ansetzung. Der frühe Saisonstart ist nicht mehr zeitgemäß. Heuer hat man den Gletscher bei Sölden mit Maschinen bearbeiten müssen, um überhaupt noch eine Piste zusammenzubekommen. Am Matterhorn ließe sich im Frühjahr besser fahren, aber da ist die Tourismussaison voll am Laufen. Dass wir in Nordamerika Rennen fahren, wenn es »Weltcup« heißt, finde ich legitim. Aber zweimal in der Saison dorthin zu fliegen, wie es auch schon war, das ist zu viel.

Der Skirennsport ist nicht für Aktive bekannt, die sich gesellschaftspolitisch engagieren. Woher kommt dein Engagement?

Als ich sieben Jahre alt war, zeigte mir ein Trainer auf dem Gletscher am Dachstein die Stelle, wo früher der Skilift anfing. Dort gab es aber weit und breit kein Eis mehr. Das hat bleibende Eindrücke bei mir hinterlassen. Dann ging es schrittweise weiter. Mit 20 Jahren realisierte ich, wie groß die Probleme waren und auch mein ökologischer Fußabdruck. Ich fühlte mich hilflos und wollte mit dem Skirennsport aufhören. Doch nach vielen Gesprächen kam ich zu dem Schluss, dass ich mehr erreichen kann, wenn ich versuche, den Skirennsport zu verändern. Ich begann, das Thema auf meinem Blog anzusprechen, und engagierte mich bei Fridays for Future.

Heute tust du einiges für deinen ökologischen Fußabdruck. Du benutzt, so oft es geht, öffentliche Verkehrsmittel und ernährst dich vegan.

Ja, aber es ist wichtig, dass wir uns nicht zu sehr auf den ökologischen Fußabdruck konzentrieren. Der politische Handabdruck ist wichtiger. Mit ständigen Verweisen auf den ökologischen Fußabdruck von Einzelnen wollen auch die großen Unternehmen von ihrer Verantwortung ablenken. Aber der Systemwandel kommt nicht, nur wenn wir uns alle ein bisschen am Riemen reißen. Wie müssen Einfluss auf das System nehmen, wo wir es können, vor allem, wenn es dort um die Nachhaltigkeit besonders schlecht bestellt ist. 

Du hast Fridays for Future erwähnt. Auch für die Letzte Generation hast du Stellung bezogen.

Ich habe viel darüber nachgedacht, ob die Methoden zielführend sind. Aber je mehr ich mich mit der Geschichte des zivilen Ungehorsams beschäftigte, desto überzeugter war ich. Ich nahm an einem Aktionstraining teil und merkte, das sind nicht nur nette Leute, die haben auch einen Plan. Ich unterstützte eine Blockade, bei der ich Kaffee ausschenkte und mit den Autofahrer*innen sprach.

Zwei Aktivist*innen der Letzten Generation sitzen mit einem Transparent (Aufschrift: "Und wenn die Regierung keinen Plan hat?") auf der Straße. Zwischen ihnen steht Julian Schütter. Er hält ein Schild mit der Aufschrift "Heldenhaft" und dem durgestrichenen Wort "kriminell" in der Hand.
Klare Botschaft: Solidaritätsgeste von Julian Schütter mit der Letzten Generation. Foto: privat

Auch beim Weltcup-Slalom in Gurgl führte die Letzte Generation eine Aktion durch. Das Rennen musste für zehn Minuten unterbrochen werden. Wie fandest du das?

Es tut mir für die Rennläufer*innen leid, die davon betroffen waren. Und es ist schade, dass solche Aktionen notwendig sind. Aber das Problem der Klimakrise ist wichtiger als ein Skirennen.

Einige deiner Kolleg*innen reagierten erbost. Henrik Kristoffersen wurde handgreiflich.

Ich verstehe, dass man in einer solchen Situation wütend wird. Es ist Wettkampf, du bist mit Adrenalin vollgepumpt, und auf die Impulskontrolle ist kein Verlass. Aber es wäre schön, wenn sich die Wut gegen die Politik richten würde. Mit entsprechenden Klimaschutzmaßnahmen ließen sich solche Aktionen leicht verhindern. Außerdem sollte man sich Fehler eingestehen. Kristoffersen meinte nachher, er würde wieder so reagieren, und andere feierten ihn auch noch dafür. Das ist bedauerlich. Kristoffersen ist einer der größten Stars im Weltcup, da geht es auch um die Vorbildfunktion, gerade der Jugend gegenüber. 

In der diesjährigen Weltcup-Saison wurden von den ersten acht Herren-Rennen sechs abgesagt, die Damen fuhren in Lienz auf einem weißen Band. Wie lange kann es den Alpinen Skiweltcup überhaupt noch geben?

Mit der Technik kann man ihn sicher lange am Leben erhalten. Die Frage ist, wie lange sich das auszahlt. Werden die Investitionen durch Fernsehgelder und Werbeeinnahmen nicht mehr gedeckt, rentiert sich der Weltcup nicht mehr. Auch das Publikum geht verloren. Je teurer und elitärer der Skisport wird, desto uninteressanter wird er für die meisten Menschen.

Die FIS hat in Dubai schon Rennen in Skihallen veranstaltet. Ist das die Zukunft?

Ausschließen kann ich es nicht. Aber wenn es so weit kommt, wird uns die Durchführung von Skirennen wenig Kopfzerbrechen bereiten. Dann haben wir andere Sorgen.

Gabriel Kuhn

lebt als Journalist und Autor in Schweden.

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