analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 668 | Geschichte

In Knast und Parlament

Der Revolutionär Abdulrahman Babu verhalf Sansibar durch turbulente Zeiten in die Unabhängigkeit

Von Kofi Shakur

Abdulrahman Mohamed Babu gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten afrikanischen Marxist*innen – auch wenn sein Name heute nicht so bekannt ist wie der von Kwame Nkrumahs oder Sekou Tourés. Sein Leben war zu großen Teilen gezeichnet von den Widersprüchen der politischen Dynamik zwischen dem Westen, den realsozialistischen Staaten und dem Vermächtnis der Unabhängigkeitsbewegungen Asiens und Afrikas. Von dem Moment an, als er die Bühne des politischen Geschehens auf Unguja, Sansibar, betrat, war er für Jahre ein fester Teil der revolutionären Linken Sansibars und später Tansanias. Seine politische Biografie ist auch die Geschichte der Unabhängigkeit Tansanias.

Der Weg zur Unabhängigkeit

Sansibar war seit dem Mittelalter ein zentraler Knotenpunkt für den Handel entlang des Indischen Ozeans. Neben Afrikaner*innen leben dort seit langem Menschen aus Indien und dem heutigen Iran. Bis die Sklaverei 1897 abgeschafft wurde, waren Sklav*innen für den auf der Insel so wichtigen Nelkenanbau die notwendigen Arbeitskräfte. Der Großteil der Bevölkerung identifizierte sich folglich entweder als arabisch und damit historisch mit dem Besitz von Sklav*innen oder als afrikanisch und ehemals versklavt. Die Grenzen zwischen diesen beiden Gruppen waren jedoch fließend, sodass die Zugehörigkeit von Menschen sich auch ändern konnte. Nichtsdestotrotz war die soziale Struktur auf Sansibar auch von ethnisierten Konflikten geprägt. Um die ethnisierten Klassenunterschiede zu zementieren, schuf die britische koloniale Administration Vereinigungen für alle Gruppen, die jeweils von den Angehörigen der besitzenden Klassen geleitet wurden. Die Vereinigungen entsandten jeweils Delegierte in die koloniale Ratsversammlung, in der afrikanische Sansibaris jedoch unterrepräsentiert waren. Diese Assoziationen sollten durch die Betonung der gegenseitigen Differenzen die für Unabhängigkeitsbewegungen notwendige gesellschaftliche Solidarität untergraben.

In diese Gesellschaft wurde Abdulrahman Mohamed 1924 auf Sansibar geboren. In dem Manuskript seiner Biografie schreibt Babu, »das politische Bewusstsein meiner Generation wuchs aus den Ungerechtigkeiten und dem intensiven Kampf gegen Kolonialismus.«

Das politische Bewusstsein meiner Generation wuchs aus den Ungerechtigkeiten und dem intensiven Kampf gegen Kolonialismus

Abdulrahman Babu

Mit zwanzig fing er an, für ein teilstaatliches Unternehmen im Nelkenanbau zu arbeiten. So konnte er genug Geld sparen, um 1951 für ein Literatur- und Philosophiestudium nach England zu gehen. Dort kam er in Berührung mit Anarchismus und Marxismus und wurde schnell Teil der internationalistischen Bewegung und Mitherausgeber diverser Zeitungen. Er wurde zum Sekretär des Ost- und Zentralafrikanischen Komitees der 1954 in England gegründeten Bewegung für koloniale Freiheit. Diese Gruppe setzte sich für die Unabhängigkeit der britischen Kolonien ein und zählte einige Mitglieder der Labour Party zu ihren Unterstützer*innen. Die in dieser Zeit entstandene Sansibarische Nationalistische Partei (ZNP) organisierte für Babu eine Schulung durch die britische Labour Party. Als Babu daraufhin 1957 nach Sansibar zurückkehrte, wurde er zum Generalsekretär der ZNP ernannt, die er in der folgenden Zeit zu einer Partei mit Massenbasis machte.

Die ZNP sollte antikoloniale Forderungen durchsetzen. Seit Beginn des Jahrzehnts hatten soziale Spannungen zugenommen, ein Aufstand von Bäuerinnen und Bauern auf Unguja war brutal niedergeschlagen worden. Daraufhin hatte sich die Partei der Nationalen Einheit für die Untertanen des Sultans (PNUSS) gebildet – die erste ethnienübergreifende Unabhängigkeitspartei. Die ZNP entstand aus der PNUSS, nachdem diese sich aufgrund der britischen Repression nach dem Aufstand der Bäuerinnen und Bauern radikalisiert hatte.

Babu schuf Sektionen auf allen Teilen des Archipels und sorgte dafür, dass bei allen lokalen Treffen auch Mitglieder der Führungsebene anwesend waren. Dadurch wollte er lokalen Rivalitäten vorbeugen und übergreifende Einheit auf der Grundlage eines antikolonialen Bewusstseins schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, wollte Babu die Klassenspaltungen innerhalb der ethnisierten Gruppen deutlich machen und eine Allianz zwischen Arbeiter*innen und armen Bäuerinnen und Bauern bilden.

Zur Mobilisierung von Jugendlichen aus der Arbeiterklasse wurde daher eine eigene Jungendorganisation (Youth Own Union – YOU) gegründet. In einem Interview mit der Journalistin und Autorin Amrit Wilson erzählte das ehemalige YOU-Mitglied Shaaban Salim 2009: »Wir sind in der YOU aufgewachsen, mit Vorträgen und Diskussionen. Wir haben zum ersten Mal angefangen, bewusst über Kolonialismus und Imperialismus nachzudenken, und wie wir dagegen kämpfen.« Die YOU organsierte Bildungs- und Alphabetisierungskampagnen und Demonstrationen für die Freiheit von Algerien, Palästina und Südafrika. Sie forderte Bildung für alle und ein Ende von rassistischer Politik.

1958 kam es zu einem Konflikt innerhalb der Afro-Shirazi-Partei (ASP), einer muslimischen Partei. Ihre rechte Abspaltung nannte sich Zanzibar and Pemba People’s Party (ZPPP) und machte gegen die arabischen Sansibaris Stimmung. Unter der Führung Abeid Karumes, dem späteren Präsidenten Sansibars, richtete die ASP ihren Fokus zunächst auf die Verzögerung der von der ZNP geforderten Unabhängigkeit und die Kooperation mit England. »Unsere sorgfältige Arbeit für die Einheit des Volkes von Sansibar lag plötzlich in Trümmern«, schrieb Babu. Seine eigene Partei, die ZNP, kooperierte dabei zu seinem Unmut mit der ZPPP.

Spätestens nach Babus Rückkehr von einer Reise nach China hatte er die Aufmerksamkeit des britischen Geheimdienstes auf sich gezogen. Die Kolonialmacht suchte nach einer Möglichkeit, seine Tätigkeiten einzuschränken. 1962 wurde er des »Aufruhrs« angeklagt und zu einer Strafe von 18 Monaten verurteilt.

Kurz nach seiner Entlassung im April 1963 entschied er sich zusammen mit dem linken Flügel der ZNP für einen radikalen Bruch. Der linke Flügel konnte seine Position in Bezug auf eine sozialistische Landreform nicht mehr durchsetzen, da inzwischen Landbesitzer die Partei dominierten. Auch der multiethnische Anspruch wurde von der rechten Führung der ZNP abgelehnt. Auf einer Konferenz vor den Wahlen im Juni 1963 traten die radikalen Mitglieder schließlich aus. Sie gründeten gemeinsam die Umma Partei. Diese wurde schnell zu einer leninistischen Avantgarde-Partei mit Verankerung in den Gewerkschaften und hatte ein internationalistisches, panafrikanisches Programm. Nur Monate später, am 10. Dezember 1963, erlangte Sansibar formal die Unabhängigkeit.

Amerikanische Angst vor einem afrikanischen Kuba

Am 12. Januar 1964 revoltierten Jugendliche der oppositionellen ASP und von der regierenden ZNP-ZPPP-Koalition entlassene afrikanische Polizist*innen. Der Aufstand wurde vermutlich längere Zeit im Vorhinein von John Okello von der ASP organisiert. Die Kader der Umma Partei waren trotz ihrer geringen Zahl in der Lage, den Aufstand mit zu organisieren und inmitten von Straßenkampf und Guerrillataktik den Jugendlichen ihre Perspektive auf die Revolution näherzubringen. Die Umma Partei hatte afrikanische, arabische und asiatische Mitglieder und konnte durch ihre eigene Basis den Klassencharakter der Revolution gegen ethnisierende Lesarten in Stellung bringen. Doch trotz der Dominanz sozialistischer Forderungen kam es in manchen Teilen des Archipels zu Massakern von Anhängern der ASP an Menschen, die für Araber*innen und damit für Großgrundbesitzer*innen gehalten wurden.

Obwohl der Aufstand ein Ergebnis der Arbeit der Umma Partei war, konnte sich die ASP politisch durchsetzen. Der bürgerliche Abeid Karume dominierte den Revolutionsrat der neuen Volksrepublik Sansibar. Nur drei Kader der Umma Partei erhielten ihrerseits Positionen. Babu, der sich in Dar es Salaam aufhielt und nach Sansibar zurückkehrte, als er am Morgen des 12. Januar von der Revolution erfuhr, wurde Außen- und Handelsminister. Als Minister versuchte er, die Positionen seiner Partei umzusetzen. Auf der ersten UN-Konferenz für Handel und Entwicklung im Februar 1964 in Genf unterstützte die Delegation Sansibars Kuba und nahm bei der Gründung der Gruppe der 77 – einem ökonomischen Zusammenschluss von Ländern des Globalen Südens – eine wichtige Rolle ein. Auf Sansibar selbst wurde eine Volksbefreiungsarmee geschaffen. Jegliche Statusvorteile wurden abgeschafft, selbst als Präsident musste Karume mit seinem eigenen Auto fahren – ohne Fahrer.

Allerdings konnte Karume sich innerhalb der ASP konsolidieren und wandte sich immer mehr den USA zu. Als die revolutionären Gewerkschaften Sansibars sich öffentlich gegen den Vietnam-Krieg wendeten, wurden sie von Karume unter Druck gesetzt. Die Mitglieder der Umma Partei hatten nun immer mehr Probleme, ihre Politik durchzusetzen und mussten zunehmend Repression fürchten. Um einem möglichen Verbot zuvorzukommen, wurde die Partei am 8. März aufgelöst. Dennoch verfolgten ihre Mitglieder weiterhin die Ziele der Partei. Um das Land zu industrialisieren, verhandelte Babu mit Indonesien und der DDR. Der Plan, Handelsabkommen abzuschließen, konnte jedoch nie umgesetzt werden, da durch die Union Sansibars und Tanganjikas zur Vereinigten Republik Tansania Sansibar die notwendige Autonomie genommen wurde.

Besonders die Vereinigten Staaten fürchteten, dass die seit der Revolution von Babu aufgebauten Beziehungen zu anderen Befreiungsbewegungen und sozialistischen Staaten aus Sansibar ein afrikanisches Kuba machen würden. Daher übten sie im Hintergrund Druck auf Julius Nyerere, Präsident von Tanganjika, und Karume aus. Sie sollten zu einer Vereinigung von Tanganjika und Sansibar bewegt werden. Wieder wurden Babu und die linken Kräfte vor vollendete Tatsachen gestellt, als er aus dem Ausland zurückkehrte. Am 22. April 1964 unterschrieben die beiden Präsidenten die Verträge, ohne die Union jedoch durch ein Referendum durch das Volk bestätigen zu lassen. Tansania war geboren.

Kofi Shakur

arbeitet im Fachbereich afrikanische Geschichte der Humboldt-Universität und schreibt seine Masterarbeit über Globalgeschichte und die Revolution auf Zanzibar 1964. Nebenbei beschäftigt er sich mit Black Studies und kritischer Museumsforschung.