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Theoretiker im Angesicht der Totalität

Felix Klopotek hat ein Buch über den weithin unbekannten Heinz Langerhans geschrieben

Von Sebastian Klauke

Portät von Heinz Langerhans
Heinz Langerhans 1966 Foto: Photo Winterhoff (Photoatelier)

Der Name Heinz Langerhans fiel dem Verfasser dieser Zeilen zum ersten Mal auf, als er als Randfigur in Felix Klopoteks Buch zum Rätekommunismus aus dem vergangenen Jahr auftauchte. Nun hat der Kölner Autor eine Werkbiografie und Chronik über den weitgehend unbekannten Langerhans, der von 1904 bis 1976 lebte, in der Reihe »Dissidenten der Arbeiterbewegung« vorgelegt. Die Entstehung zu diesem Buch verdankt sich einem überaus glücklichen Überlieferungszufall. Der Autor stieß in Kartons eines anderen Nachlasses an der Uni Gießen überraschend auf die Kisten des als verschollen angenommenen Langerhans-Nachlasses. Damit verfügte Klopotek über genügend Material, um die bislang alles in allem nur spärlichen Informationen über Langerhans anzureichern. Dem Verfasser ist eine lesenswerte und Neuland betretende Biografie über einen Denker gelungen, der von Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht, Arkadij Gurland, Max Horkheimer, Karl Korsch und Paul Mattick gelesen und geschätzt wurde. Von letzteren beiden war er dazu auch ein langjähriger Genosse und Diskussionspartner, im Falle Korschs eingebunden in ein Lehrer-Schüler-Verhältnis.

Von Adorno, Brecht und Korsch gelesen

In einem kritisch-solidarischen, lockeren Ton ohne akademische Attitüden entfaltet Klopotek Leben und Wirken dieses nicht schreib-, aber wohl veröffentlichungsscheuen Menschen, dessen radikales Denken uns heute fern ist, weil die politische und ökonomische Situation im Zuge der kapitalistischen Globalisierung heute eine ganz andere ist, vor allem auch mit Blick auf die Arbeitsorganisation. Zu Lebzeiten hat Langerhans kaum veröffentlicht, vor allem keine längeren Monografien, auch wenn er über genügend Material verfügte. Sein Hauptwerk »How to Overcome Totalitarianism«, das das Zentrum von Klopoteks Buch ausmacht, zirkulierte zwar als Manuskript, ist bis auf einen Auszug aber nicht erschienen. 

Marx und Engels seien den bürgerlichen Kategorien von Demokratie und Nationalstaat verhaftet, kritisiert Langerhans.

Langerhans‘ Kernthese ist, dass Staat und Kapital im Zuge der Weltkrise, kumulierend im Zweiten Weltkrieg, eins geworden sind. Er bestimmt das als Staatssubjekt Kapital. Den Bolschewismus sah Langerhans nicht als Wiederbelebung eines revolutionären Marxismus und marxistischer Theorie an, sondern beurteilte ihn als kapital-affirmativ, also als selbst von der Kapitallogik durchdrungen. Denn er zielte auf die radikale Entfaltung der Produktivkräfte ab, nicht auf die freie Entfaltung der Einzelnen. Langerhans argumentiert dabei nicht ökologisch, sondern im Namen der Freiheit des individuellen Menschen, gegen einen bolschewistischen Kapitalismus, der den »Westen« ein- und überholen wollte. Die marxistische Revolutionstheorie stellte Langerhans auf den Kopf, weil Revolutionen im Grunde immer ins Konterrevolutionäre hinübergehen würden; jegliche revolutionäre Dialektik verabschiedet er; auch erweist er sich als kluger Kritiker Rosa Luxemburgs und ihrer Spontanitätserwartung. Langerhans übt ebenfalls Kritik an Marx und Engels: Diese seien den bürgerlichen Kategorien von Demokratie, Nationalstaat und so weiter verhaftet. Das »Prinzip der Befreiung« ist für Langhans allein »in den Arbeitsbeziehungen selbst« zu suchen. 

Als SPD-Mitglied Rätekommunist

Langerhans Wurzeln liegen im Rätekommunismus, und diesem bleibt er sein Leben lang verbunden, selbst als SPD-Mitglied im Nachkriegsdeutschland. Klopotek verfolgt Langerhans Weg über die mehrjährige Haft im Konzentrationslager, aus dem er 1939 entlassen wurde, und über das Exil in den Vereinigten Staaten. Dort war er unter anderem durch eine Unterstützung durch das Institut für Sozialforschung mehrere Jahre Lehrer an einem College. Als Langerhans mit der Antistalinistin Ruth Fischer einen Bund einging, trieb ihn das bis zur Denunziation anderer Kommunist*innen. Als Hochschullehrer in Gießen ab 1966 setzte er sich unter anderem kritisch-politisch mit dem Buddhismus auseinander. Schließlich stirbt Langerhans einsam und unter erschreckenden Umständen, deren Zustandekommen nicht geklärt sind, in einer geschlossenen Anstalt. 

Klopotek zeichnet neben der Personenbeschreibung auch die Rezeptionsgeschichte detailliert nach. Selbst wenn man als Leser*in nur wenig mit den Ausführungen und der Gedankenwelt Langerhans‘ anfangen kann, ist Klopotek eine wunderbare biografische Darstellung über einen Menschen gelungen, der sich stets am Rande des politischen Denkens bewegte und zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus sowie durch den späteren Antikommunismus in den USA und der BRD ein mühseliges Leben führte. Der Autor komponiert ein mit verschiedenen Nebensträngen durchbrochenes biografisches Puzzle, verfolgt intensiv Langerhans‘ Argumentation, bettet sie in den politischen Kontext ein, leistet die nötige Übersetzungsarbeit. Er liefert Kommentare, zitiert aus Briefen, Werken und Manuskripten und fügt obendrein eigene Analysen der damaligen wie heutigen Zeit hinzu. Auch Weggefährten Langerhans werden näher beleuchtet. Es wäre zu begrüßen, wenn sich eine am Ende des Buches vorsichtig angekündigte Werkauslese realisieren ließe, damit man sich selbst ein Bild von dem Material machen kann. 

Sebastian Klauke

verfasst regelmäßig Buchrezensionen für ak.

Felix Klopotek: Heinz Langerhans: Die totalitäre Erfahrung. Werkbiografie und Chronik (=Band 5 der Reihe »Dissidenten der Arbeiterbewegung). Unrast, Münster 2022, 372 Seiten, 24 EUR.