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Kein Bock auf Chef*innenetage

Dass Erfolg im feministischen Mindset angekommen ist, macht das Leben anstrengender, sagt Nadia Shehadeh im Interview

Interview: Jacinta Nandi

Dann doch lieber chillen. Foto: Ken Teergardin/Flickr, CC BY-SA 2.0

Aufsteigen und den Weg für andere Frauen freimachen, das ist das Konzept der Girlbosses. Eine neoliberale Ideologie, wie die Autorin Nadia Shehadeh findet. Sie hat das Buch »Anti-Girlboss« geschrieben. Darin empfiehlt sie, es sich lieber gemütlich zu machen.

Ich liebe dein Buch, und was ich beim Lesen bemerkt habe, du bist nicht nur das Gegenteil eines Girlbosses, sondern tatsächlich Anti. Was genau ist ein Girlboss, und was ist daran so schädlich?

Nadia Shehadeh: Die einfache Definition von Girlboss geht ungefähr so: Selfmade, unabhängig, erfolgreich, gut verdienend. Man ist entweder Boss oder besser noch Chefin im eigenen Unternehmen. Die Frauen aus den USA, die die Ideen hinter diesem Begriff geprägt haben, so wie Sophia Amoruso und Sheryl Sandberg, waren selbst Unternehmerinnen beziehungsweise bekannte Führungspersönlichkeiten und haben aus dem Nähkästchen geplaudert, wie sie erfolgreich geworden sind. Damit wollten sie auch andere Frauen inspirieren, mit Ehrgeiz und harter Arbeit ein besseres Leben zu führen. Die Idee war, dass man damit nicht nur für sich, sondern auch für andere Frauen Möglichkeiten schaffen  kann: im Arbeitsleben und anderswo. Und die Girlbosses sind überzeugt: Jede kann es schaffen. Dieses Mindset negiert natürlich systemische Ungleichheiten und schiebt die Verantwortung für Partizipation den Individuen in die Schuhe. Am Ende ist es eine sehr alte neoliberale Idee, die hinter den Girlboss-Inspirationen steht. Ein Mythos, der davon ausgeht, dass es Chancengleichheit für alle gibt, und man sich einfach nur anstrengen muss, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Dass alles wird von sehr privilegierten Personen gepredigt, die davon ausgehen, dass ihre Lebensrealität jederzeit die von Millionen anderen sein könnte – wenn man sich nur ein Beispiel an ihnen nimmt. Da bin ich natürlich Anti. Ich bin kein »Boss«, so wie die Mehrheit aller Frauen. Das Girlboss-Mindset ist keines, dass sich irgendwie großflächig auf Angestellten- oder Arbeiterinnen-Realitäten anwenden lässt. Außerdem wird die Idee, dass man sich »einfach mehr anstrengen muss«, gern auf Gruppen angewandt, die von sozialer Ungleichheit betroffen sind: Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung, Menschen aus anderen Klassen. Damit werden Ungleichheitsstrukturen nicht nur negiert, sondern auch zementiert – weil neoliberale Thesen vor allem aus den Mündern derjenigen kommen, die von diesen Systemen profitieren. Das finde ich natürlich schädlich.

Nadia Shehadeh

ist Kolumnistin, Autorin und Soziologin. Sie lebt in Bielefeld (nicht Berlin!). Im Februar ist ihr Buch »Anti-Girlboss« erschienen. Zuvor hat sie an den Sammelbänden »Eure Heimat ist unser Albtraum«, »Mehr Kopf als Tuch« und »NSU-Terror. Ermittlungen am rechten Rand. Ereignis, Kontexte, Diskurse« mitgewirkt. Von 2019 bis 2022 schrieb sie im Missy Magazine eine Kolumne, deren Texte unter dem Titel »Ist gut jetzt« als Buch erschienen sind.

Was spricht manche Frauen an Girlbosses an?

In den Ländern des Globalen Nordens waren Girlboss-Ideen natürlich schon im Umlauf, noch bevor der Begriff überhaupt eingeführt wurde.  Das Bild von der erfolgreichen, hart arbeitenden, immer gut gelaunten, unabhängigen, glücklichen, sexy und in allen Lebensbereichen absahnenden Frau, die auch noch ein perfektes und zwar bestenfalls heterosexuelles Privatleben hat – das existiert ja schon lange. Und klar, am Ende steckt eine Wunschvorstellung dahinter: Ein glückliches und sorgenfreies Leben zu führen, und in einer Situation zu sein, in der man das selbst kontrollieren kann. Ein ganz großer Wunsch nach Selbstwirksamkeit verbirgt sich dahinter, und ich verstehe natürlich, warum das so verführerisch ist – gerade in eher unsicheren Zeiten. Und ein gutes Leben, hallo? Das wünschen wir uns doch alle. Deswegen verstehe ich, warum sich diese neoliberalen Ideen so oft durchsetzen – aber viele stören sich auch an dem Begriff. Es gibt eine Gegenbewegung, die sich formiert: inhaltlich, aktivistisch, auch pop-kulturell.

Kann ein Girlboss überhaupt politisch sein? Ist das Bedürfnis, Boss zu sein, an sich ideologisch inkorrekt? Gleichzeitig wollen die Verfechter*innen Girl bleiben – ungefährlich, süß, eigentlich perfekt für das Patriachat? Warum kann kein Girlboss für Geflüchtete oder gegen den Kapitalismus kämpfen?

Ich finde, dass das Streben nach einem Dasein als Boss schon ein Geschmäckle hat. Die Idee, dass man Positionen anstreben sollte, die für ein gewisses Hierarchiedenken und Machtverhältnisse stehen, ist auch nicht besonders subversiv. Ein Girlboss wird zudem wahrscheinlich nicht die Verhältnisse kritisieren, sondern sich darüber freuen, das Bestmögliche für sich selbst aus dem System herausgeholt zu haben. Und warum soll man über ein System klagen, das einem selbst das vermeintlich beste Leben beschert hat? Klar, Girlbosstum ist jetzt nicht unbedingt das klassische »nach unten treten«. Aber ein Konzept, dass das »unten« nicht richtig mitdenkt. Man kann zwar erfolgreich Chefin sein und trotzdem solidarisch – das eine schließt das andere nicht aus. Aber es geht nicht nur um die eigene Position, sondern auch um das Mindset, das man hat: Und das kann antikapitalistisch und antirassistisch sein – auch wenn man selbst formal Erfolg hat.

Das Streben nach einem Dasein als Boss hat ein Geschmäckle.

Sich auszuruhen ist ein revolutionärer Akt, schreibst du. Sind wir alle so traumatisiert vom Kapitalismus?

Ich glaube, ja.  Vor allem die Erschütterungen der letzten Jahre haben eventuell bei vielen nochmal dazu beigetragen, dass eine Grunderschöpfung sich mit widerständigen Ideen vermischt – in alle Richtungen, von denen manche nicht so gut, sondern wirklich besorgniserregend sind.  In Deutschland hat das jahrelange De-Thematisieren von Armut, das Ethnisieren sozialer Missstände und das Sympathisieren mit anti-feministischen Ideen Spuren hinterlassen, mit denen wir noch lange zu tun haben werden.

In deinem Buch findet sich nicht nur ein Recht auf Faulheit, sondern auch ein Recht auf Gemütlichkeit. Was bedeutet für dich Gemütlichkeit? Ich will mit dir mal nach Cambridge und in einem Pub mit Kamin sitzen und Shepherd’s Pie essen. 

Gerade beim Thema Faulheit und Gemütlichkeit hatte ich beim Schreiben auch mit meinen eigenen inneren Widerständen zu kämpfen. Aber ich habe mir immer gesagt: Ich stehe dazu, dass ich Wochenenden gut finde, gerne abends meine Kerzen anzünde und Serien am Stück glotze und dabei keine Minute an mein berufliches Fortkommen oder irgendeine ominöse »Karriere« denke. Für mich bedeutet Gemütlichkeit tatsächlich, dass ich so weit es geht, bei mir sein kann – in einem Setting, das mir gefällt, beschäftigt mit Dingen, die ich mag. Und mich eben nicht ständig dafür verurteile, angeblich meine Zeit falsch zu nutzen. Ich würde es so beschreiben: Dieser Zustand vom Teenager-Dasein, der nah genug dran war an der Kindheit, und noch weit entfernt vom kapitalistischen Erwachsensein, das man irgendwann zwangsläufig mitmachen musste, das ist mein Idealzustand. Und natürlich habe ich lange Zeit gedacht, dass ich mir das als erwachsene Frau nicht zugestehen darf, weil es ein bisschen kindisch ist. Irgendwann habe ich mir gedacht: Wen kümmert es? Ich habe in meinem Leben schon so viel gearbeitet und ich habe mich dabei auch um viele andere Menschen gekümmert – ich kann mir rausnehmen, meine eigene Zeit so zu nutzen, wie ich will. Einen Shepherd’s Pie mit dir in einem Pub essen, passt da hundertprozentig rein. Sag mir einfach wann und wo, ich bin dabei!

Jacinta Nandi

ist Autorin und lebt in Berlin, außerhalb des S-Bahn-Rings. Ihr letztes Buch heißt »50 Ways to Leave Your Ehemann« – ein Manifest, das alle Frauen in Deutschland ermutigen soll, ihre faulen Ehemänner zu verlassen (mehr oder weniger).

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