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|ak 685 | Geschichte

Rote Bandera-Konkurrenz

Die Kommunistische Partei der Westukraine scheiterte am Nationalismus ihrer Zeit – und ihrem eigenen

Von Ewgeniy Kasakow

Denkmal in Lwiw für den ukrainischen Spanienkämpfer, Juri Welikanowitsch, der Mitglied der KPSU war. Foto: JP06035 / Wikimedia , , CC BY-SA 3.0

Ist heute von der Geschichte der ukrainischen Nationalbewegung die Rede, fallen meist als erstes die Namen von Stepan Bandera und Andrij Melnyk. Sie führten die zwei Fraktionen der Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) an.  Bekannt wurde die OUN vor allem durch ihre zeitweilige Kollaboration mit Nazi-Deutschland und dem nationalistischen Terror, den sie gegen Minderheiten ausübte. Dass die 1930 gegründete Organisation lange Zeit mit linken Strömungen um die Umsetzung der »nationalen Befreiung« konkurrierte, ist für heutige Verteidiger*innen und Kritiker*innen der OUN unbequem und wird deshalb oft verdrängt.

In den Teilen der heutigen Ukraine, die vor 1918 zur Habsburger K.u.K.-Monarchie gehörten, war die sozialistische Bewegung von Anfang an entlang konfessionell-sprachlicher Grenzen gespalten. Gegenüber der polnischen, jüdischen, deutschen und ungarischen Bevölkerung war die ukrainische, im Habsburger Reich als »Ruthen*innen« bezeichnet, deutlich weniger urbanisiert. Deshalb fanden agrarsozialistische Ideen mehr Anklang in der ukrainischen Bevölkerung als marxistisch-sozialdemokratische. Durch das Anwachsen der Sozialdemokratie in Österreich-Ungarn und die Erfolge der Bolschewiki in Russland drangen auch sie in die schwach industrialisierten Gebiete Ostgaliziens vor.

Im Ersten Weltkrieg war die historische Landschaft Galizien, das heutige Südpolen und die Westukraine, heftig umkämpft: Die Regierung Österreich-Ungarns internierte der »moskauphilen« Propaganda verdächtige Ruthen*innen, die russische Armee siedelte ganze Dörfer zwangsweise ins östliche Hinterland um. Bereits 1915 entstand die illegale Internationale Revolutionäre Sozialdemokratie (IRSD) – eine ukrainischsprachige Organisation marxistischer Kriegsgegner*innen. Doch anderes als in Wien, Budapest oder St. Petersburg mündete der Erste Weltkrieg in Ostgalizien nicht in einer politischen Revolution, sondern in einen Konflikt der Nationalismen. Die im Oktober 1918 gegründete Westukrainische Volksrepublik (WUVR), von bürgerlichen Nationaldemokrat*innen regiert, verlor den militärischen Kampf gegen Józef Piłsudski und seine polnische Unabhängigkeitsbewegung. Im Februar 1919, als das Gebiet der WUVR bereits unter polnischer Kontrolle war, benannte sich die IRSD in Kommunistische Partei Ostgaliziens (KPSG) um. Viele KP-Mitglieder nahmen an den Kämpfen gegen Polen teil.

In den Teilen der heutigen Ukraine, die vor 1918 zur Habsburger K.u.K.-Monarchie gehörten, war die sozialistische Bewegung von Anfang an entlang konfessionell-sprachlicher Grenzen gespalten.

Wirren des Bürgerkriegs

Der linksnationalistische Machthaber der kurzzeitig bestehenden Ukrainischen Volksrepublik, mit der sich die WUVR nominell vereinigte, Simon Petljura, stimmte 1920 der Übergabe Ostgaliziens an Polen zu. Diese Entscheidung spaltete die ukrainische Nationalbewegung tief. Die Bolschewiki appellierten an die Frustration der Westukrainer*innen, prangerten Petljura als Verräter der ukrainischen Nationalinteressen an und riefen zum Befreiungskampf gegen Polen auf, mit dem Sowjetrussland sich bis 1921 im Krieg befand. Zwischen Juli und September 1920 existierte die Galizische Sowjetrepublik, doch das Revolutionskomitee wurde vor allem von Bolschewiken und linken Sozialrevolutionär*innen aus der Sowjetukraine besetzt. Schließlich verlor die Rote Armee den Kampf um Galizien und die dortigen Kommunist*innen wurden vom polnischen Staat in die Illegalität gezwungen.

Die Assimilationspolitik, die der polnische Staat gegenüber ostslawischen Minderheiten betrieb, stieß auf viel Gegenwehr. Dementsprechend änderte die an die Komintern angeschlossene KP ihren Namen – vom ethnisch neutralen Ostgalizien in Kommunistische Partei der Westukraine (KPSU). Von nun an wurden die ukrainischen Kommunist*innen im polnischen Galizien, der rumänischen Bukowina und dem tschechoslowakischen Transkarpatien genauso wie die belarussische Minderheit in Polen von ihr zum Kampf für die Vereinigung in »ethnischen Grenzen« mit der jeweiligen Sowjetrepublik aufgefordert. 

Dieses irredentistische Programm stellte die ukrainischen Kommunist*innen vor ein Dilemma. Die Statuten der Komintern sahen eigentlich für jedes Land eine kommunistische Partei vor, doch die ukrainischen und belarussischen Kommunist*innen in Polen fühlten sich mehr mit den Parteien der Sowjetrepubliken verbunden. Obwohl sie die Ostgrenze  Polens nicht anerkannten, mussten sie sich nach dem Willen der Komintern in die Kommunistische Arbeiterpartei Polens (KPRP) integrieren. Durch die Ausrichtung der polnischen KP auf das Industrieproletariat sahen die ukrainischen Kommunist*innen ihre ländlich geprägte Bevölkerung unterrepräsentiert. Mit dem gleichen Problem war auch die KP der Sowjetukraine konfrontiert – die weniger urbanisierte ukrainische Bevölkerungsmehrheit war ebenfalls weniger proletarisiert und lange in der Parteiführung unterrepräsentiert. Diejenigen Kader, die die Ukrainisierung forcieren wollten, gerieten schnell in Verdacht, kleinbürgerlich-bäuerliche Interessen zu vertreten.

Neuer Nationalismus

In der KPSU kam es schnell zu einer Spaltung zwischen der moskauloyalen Minderheit, die nichtukrainische Mitglieder mobilisierte,  der »Kaperpowcy« um Kazimierz Cichowski und Czeslawa Grosserowa, und der Mehrheit »Wasylkiwcy« – der Anhänger*innen von Osip Krilyk (Wasylkiw). Die letzteren solidarisierten sich mit den »Nationalabweichlern« in der Sowjetukraine und wollten die organisatorische Unabhängigkeit der Partei erhalten.

Die weiterhin illegale KPSU schaffte es mit Tarnlisten ins polnische Parlament. Parallel dazu wurden 1928 Versuche unternommen, in Ostgalizien bewaffnet zu kämpfen. Heute gilt diese Region als Hochburg des ukrainischen Nationalismus, doch bis in 1920er Jahre war die dort lebende Bevölkerung unentschlossen, was ihre »Nationalität« betraf. Viele definierten sich nicht mal als polnisch oder ukrainisch, sondern verstanden sich vor allem konfessionell als römisch-katholisch, griechisch-katholisch oder orthodox. Es gab Bestrebungen, Rusinen, Bojken, Lemken und Huzulen nicht als Ukrainer*innen, sondern als eigenständige Völker zu sehen, innerhalb der polnischsprachigen Bevölkerung war häufig von Mazuren als eigene Identität die Rede. In allen Bevölkerungsgruppen gab es zudem eine Bereitschaft zur Polonisierung, denn höhere Bildung und damit der soziale Aufstieg war nur mit der polnischen Sprache zu haben. Die ukrainischen und belarussischen Nationalbewegungen in Polen waren stark von den Kämpfen der Bäuer*innen gegen Grundbesitzer*innen und der am sozialen Aufstieg in den Städten gehinderten Jugend aus den Dörfern geprägt. Der Prozess der »Ethnisierung des Sozialen« nahm seinen Lauf.

Die KPSU ging aber von der konstanten Existenz einer ukrainischen Nationalidentiät aus, die durch die Ukrainische Sowjetrepublik einen eigenen sozialistischen Nationalstaat bekam. Sie sollte von nun an die Heimat aller Ukrainer*innen sein.

Die polnische KP, die anfänglich den Mai-Staatsstreich von 1926 von Piłsudski unterstützte, blieb der ukrainischsprachigen Bevölkerung weiterhin fremd. Der III. Parteitag der KPSU fand im ostukrainischen Charkiw statt, die Führer der Wasylkiwcy gaben sich reumütig und reisten aus Polen in die UdSSR aus, wo sie in den nächsten Jahren Opfer der Repression wurden.

Im  polnischen Galizien wuchs hingegen der Einfluss des nationalrevolutionären Flügels der OUN um Stepan Bandera. Noch beim sowjetischen Einmarsch 1939 kam es in einigen Dörfern Galiziens zu Begrüßungskundgebungen der OUN-Anhänger*innen mit roten Fahnen, in anderen von KP-Mitgliedern mit gelb-blauen Fahnen. Allerdings wechselten einige westukrainische Kommunist*innen unter dem Eindruck der sowjetischen Politik die Seite. Beispielsweise wurde der ehemalige Kommunist Mihajlo Stepanjak zu einem wichtigen Funktionär der Bandera-OUN.

Die KPSU existierte zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Sie wurde 1938 zusammen mit der polnischen und der westbelarussischen KP von der Führung der Komintern statutenwidrig aufgelöst, wegen angeblicher Infiltration durch die Geheimdienste Polens. Bis zum XX. Parteitag 1956 blieb die Geschichte der KPSU ein Tabu im Ostblock. Lange wurde verschwiegen, dass eine Einheit aus westukrainischen Kommunist*innen im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte. Da die gesamte Führung der Partei durch Repressionen umkam, waren es eher Mitglieder aus der zweiten Reihe, die nach 1945 noch in Erscheinung traten. Das ehemalige Mitglied der KPSU, Roman Rosdolsky, wurde nicht nur zu einem wichtigen Theoretiker des westlichen Marxismus, sondern arbeitete auch weiterhin zur Agrarfrage, die für das Ostgalizien der Zwischenkriegszeit immer noch wichtig blieb. Auch die Anführerin der ukrainischsprachigen kommunistischen Frauenbewegung in Ostgalizien, Nina Kuchartschuk, erlangte nach Stalins Tod eine gewisse Weltbekanntheit, allerdings nicht als marxistische Feministin, sondern als Ehefrau des sowjetischen Partei- und Regierungschefs Nikita Chruschtschow.

Ewgeniy Kasakow

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven.