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Orcas sind scheiße

Warum die »Killerwale« keine Klima- oder Klassenkämpfer*innen sind, sondern die unsympathischen Schnösel der Weltmeere

Von Jan Ole Arps

Zwei Orcas schwimmen nebeneinander im Meer, auf dem Bild sind ihre Rücken, der weiße Fleck nebem dem Auge und die Rückenflosse zu sehen
Sie attackieren Schiffe, beißen Ruder ab, Kritik juckt sie herzlich wenig: Orcas. Foto: Maarten Visser / Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0

Inzwischen dürften es auch die größten Nachrichtenmuffel mitbekommen haben: Die Orcas greifen an. Seit Monaten machen die hübschen »Killerwale« mit dem schwarzweißen Farbmuster den Atlantik vor Spanien und Portugal unsicher. In Gruppen attackieren sie Schiffe, vornehmlich Segelyachten, beißen die Ruder ab und lassen sie manövrierunfähig zurück. Woher kommt die neue Angriffslust der großen Meeressäuger, die eigentlich in trauter Harmonie mit der Menschheit leben? Schlagen sie zurück gegen Klimawandel und Kapital? Versuchen sie, eine noch nicht entschlüsselte Warnung aus der Tiefsee zu überbringen? Oder handelt es sich bloß um einen Jugendtrend, wie er bei Schwertwalen (wie sie auch genannt werden) öfter vorkommt?

Schauen wir uns erstmal die Fakten an: Bereits im Mai und Juli 2020 attackierten Orcas Yachten in der Straße von Gibraltar und vor der portugiesischen Küste. Schon damals staunten Biolog*innen über das planvolle Vorgehen der Tiere, die sich gezielt an der Steuerung der Schiffe zu schaffen machten. Die drei Tiere, die die initialen Angriffe durchführten, haben den Namen Gladys verpasst bekommen (von Orca gladiator), die heute bekannteste ist White Gladys, ein ausgewachsenes Orca-Weibchen im jungen Erwachsenenalter, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, jüngeren Artgenoss*innen beizubringen, wie man das Bootezerstören am besten macht. Solche Trainings sind an sich nicht ungewöhnlich: Orcas leben in stabilen Gruppen, die von einem Weibchen angeführt werden, und geben Wissen untereinander weiter: Wie man jagt, was auf dem Speiseplan steht, alles das wird beigebracht. Immer wieder entwickeln die neugierigen Orcas dabei auch neue Verhaltensweisen, die sie ein paar Jahre beibehalten, nur um zum nächsten Hobby weiterzuziehen.

Doch die Angriffe dauern an, ihre Frequenz nimmt zu. Alles nur ein Hobby? Es gibt auch andere Theorien. Manche Forscher*innen vermuten, dass Gladys sich für ein schlechtes Erlebnis gerächt haben könnte. Wenn dem so sein sollte, ist Gladys’ Wut jedenfalls noch nicht verraucht. Auch dieses Jahr wurde sie schon bei der Yachtenjagd gesichtet.

Natürlich sind die großen Raubtiere mit ihrer feministisch anmutenden Anti-Reichen-Agenda längst zu Stars im Netz geworden. Als neue Freiheitskämpfer*innen der Weltmeere fliegen ihnen vor allem von links die Herzen zu. Deshalb sorry, dass ich an dieser Stelle die Stimmung killen muss. Aber Orcas sind keine Genoss*innen.

Problem eins: Orcas sind brutal. Sie greifen alle anderen, inklusive der süßesten Meereslebewesen (Robben, Pinguine) an, jagen sie bis zur Erschöpfung und prügeln und beißen sie dann tot. Klar, essen muss jede*r, aber – Problem zwei – Orcas sind verschwenderisch. Meist essen sie ihre Opfer nicht zu Ende auf, sondern knabbern nur an ihnen herum und werfen sie dann weg, um den nächsten Leckerbissen abzumurksen. Von großen Blauwalen, deren Kälber sie gern töten, essen sie nur die Zungen; Weißen Haien, deren Kadaver vor einigen Jahren massenhaft in Südafrika angespült wurden, fehlte lediglich die Leber. Der Rest der vom Aussterben bedrohten Tiere interessierte ihre Mörder (Orcas) nicht, den ließen sie einfach vergammeln. Das ist nicht nur schnöselhaftes Verhalten, sondern rücksichtslos.

Leisten können sich Orcas das, weil sie keine Fressfeinde haben, sie sind schlicht die stärksten Raubtiere der Weltmeere. Aber was, werden jetzt einige fragen, ist mit den Menschen? Sind die etwa keine Bedrohung für Orcas? Nein, und damit kommen wir zum dritten Problem: Orcas lieben Menschen. Nicht nur töten und essen sie uns nicht (obwohl sie es easy könnten), teilweise arbeiten sie sogar mit Menschen zusammen! So geschehen in Eden, New South Wales (Australien). Dort halfen Orcas zwischen ca. 1850 und 1925 Walfängern bei der Jagd auf Bartenwale. Sie trieben sie in die Bucht, informierten die Walfänger, und zusammen beendete man dann das Leben der imposanten Tiere. Dann ließen sich die Orcas die Lippen und Zungen der Beute schmecken, die Menschen kriegten den Rest. Der Deal wurde als »law of the tongue« von der lokalen Walfänger-Gemeinde idealisiert.

Wieso es jetzt zu Reibereien ausgerechnet mit Segelyachtbesitzer*innen gekommen ist? Schwer zu sagen. Angesichts all der Dinge, die man über Orcas weiß, liegt die Vermutung nahe, dass es sich schlicht um einen Streit zwischen Unsympathen handelt, den Linke getrost ignorieren können.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

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