Gebären und Abtreiben
In ihrem neuen Film »April« zeigt Dea Kulumbegashvili viele Facetten patriarchaler Kontrollsucht über (potenziell) gebärende Körper
Gleich zu Beginn von »April« wird eine echte vaginale Geburt gezeigt. Von schräg oben ist die Kamera auf eine Gebärende im Kreißsaal gerichtet, die Perspektive offenbart alles ohne Barrieren: eine Vulva, Blut, einen Babykopf, der aus der Vagina gepresst und gezogen wird, das Durchschneiden der Nabelschnur. Die Bilder können schockieren oder beeindrucken, in jedem Fall ziehen sie eine*n direkt in den Film rein. Später ist eine Abtreibung zu sehen, die auf einem mit Plastikplane bedeckten Esstisch durchführt wird. Hier sind die Bilder weniger explizit. Dafür sind minutenlang in einer einzigen Einstellung nur Bauch und Beine eines Mädchens zu sehen, dessen Bewegen und Winden; zu hören sind die Geräusche, die sie von sich gibt, und die die Instrumente der Gynäkologin erzeugen. Gegen Ende des Films ist die Kamera auf einen OP-Saal gerichtet und zeigt eine (erneut echte) Kaiserschnittgeburt – das Tryptichon des Gebärens und Nicht-Gebärens ist nun komplett.
Die Protagonistin dieses zweiten Spielfilms von Dea Kulumbegashvili ist Nina (Ia Sukhitashvili), Geburtshelferin und Gynäkologin auf dem ostgeorgischen Land. Sie entbindet Babys in einer Klinik – und nach Feierabend führt sie in den Esszimmern der umliegenden Dörfer kriminalisierte bzw. stigmatisierte Abtreibungen durch. In Georgien ist eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen theoretisch legal, doch außer in der Hauptstadt Tiflis de facto nirgends zugänglich, geschweige denn sozial akzeptiert.
Die eingangs beschriebene Entbindung ist im Film eine Totgeburt. Nina wird beschuldigt, einen Fehler begangen zu haben. Gerüchte um ihre klandestinen Tätigkeiten helfen nicht gerade dabei, Ninas Entscheidung gegen einen Kaiserschnitt zu rechtfertigen, auch wenn diese ihrer Angabe nach auf dem Wunsch der Gebärenden basierte. Der Vater des toten Babys sagt, er wisse, was Nina in den Dörfern mache und als Oberarzt und Kollege den Besprechungsraum verlassen, spuckt er ihr mit solcher Wucht ins Gesicht, dass es sich beim Zusehen so anfühlt, als hätte es eine*n selbst getroffen. Auch in dieser Szene gelingt Kulumbegashvili eine enorme Intensität. Nina wischt sich die Spucke aus dem Gesicht und geht ihrer Arbeit unbeirrt weiter nach, überzeugt davon, das Richtige zu tun und auch in diesem Falle richtig gehandelt zu haben. Denn ihre Maxime ist die Selbstbestimmung der (potenziell) Gebärenden.
»April« fasziniert vor allem durch das gnadenlos ungeschönte und explizite Zeigen von Gebären und Abtreiben. Mit diesem Blick stört Kulumbegashvili Sehgewohnheiten klassischer filmischer Inszenierungen dieser beiden Aspekte der Reproduktionsfähigkeit. Statt bloßer Andeutungen muss das Publikum hinsehen und aus dem, was im Diskurs und in der filmischen Auseinandersetzung mit dem Thema oftmals abstrakt bleibt, wird etwas Konkretes.
Statt bloßer Andeutungen muss das Publikum hinsehen.
Viel Raum für Abstraktes lassen wiederum die ebenfalls minutenlangen Landschaftsshots, in denen sich bloß die Geräusche verändern, der Wind durch die Felder treibt, der Regen sich intensiviert, das Aprilwetter wechselt oder die Kamera wackelt. Wobei es eigentlich auch hier konkret wird, das genaue und lange Hinsehen wird hier ebenfalls gefordert: auf die Natur, wie sie eben da ist. Zwar braucht das viel Geduld und bedeutet streckenweise auch etwas Langeweile, viele Szenen sind rein formal und tragen nicht wirklich zur Geschichte bei. Gleichzeitig überträgt sich kontinuierlich ein Gefühl der Unbehaglichkeit und Schwere, getragen von Sounddesign, Kameraführung und einer mystischen Kreatur, die immer wieder auftaucht.
Kulumbegashvili zeigt mit ihrem zähen und trotz starkem Realismus auch mysteriösen Film definitiv, dass nicht nur Schwangerschaftsabbrüche eine brutale körperliche Erfahrung sein können, sondern auch Geburten. Sie zeigt den Frauenhass und die patriarchale, als Fürsorge getarnte Kontrollsucht über gebärende Körper sowie deren Missbrauch. Sie zeigt, wie unzureichende medizinische Versorgung, Religiosität und Konservatismus die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen in der georgischen Provinz einschränken. Dass Illegalisierung und Stigmatisierung nichts bringen, sondern nur alles schlimmer machen, denn wie Nina nüchtern sagt: »Wenn ich es nicht tue, dann wird es jemand anderes tun.«
April. Georgien, Frankreich 2024. 134 Minuten. Regie: Dea Kulumbegashvili. Als Stream auf mubi.com.