analyse & kritik

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|ak 653 | Alltag |Kolumne: Torten & Tabletten

Fickt euch alle!

Von Frédéric Valin

Fuck me sideways, das denke ich inzwischen oft. Ich bin müde geworden. Manchmal denke ich, ich hab die Schnauze gestrichen voll. Gestrichen voll mit Fremdscheiße, gestrichen voll davon, 300 mal am Tag den gleichen Schnulli zu erzählen, gestrichen voll auch davon, dass kaum mehr jemand mitarbeitet.

Ich bin Germanist. Ich bin Quereinsteiger. Ich mache Pflege, weil ich keinen Bock auf Werbung hatte, auf diese ganze verfickte Startup-Kultur, auf Uni sowieso nicht. Ich find mich halt am geilsten, wenn ich jemandem helfe. Das ist keiner meiner Verdienste, so ticke ich halt. Dann fühle ich mich gut, das ist besser für mich und besser für Leute, die mit mir U-Bahn fahren oder eine Beziehung führen.

Was mich nervt, ist Folgendes: Die Räume, in denen meinesgleichen sich wiederfinden, werden kleiner. Momentan muss ich mich ständig mit irgendwelchen Arschlöchern auseinandersetzen, die hier als Leasingkräfte eingesetzt werden, weil den Trägern das Personal ausgeht. Und wenn keine*r mehr kommt, dann bucht man halt eine Leasingkraft dazu.

Jetzt wird jede*r aufrechte Linke sagen: Leasing! Ausbeutung! Die armen Schweine! Ja, von wegen, in der Pflege ist das alles nochmal ganz anders. Zuallererst: Leasingkräfte verdienen weit mehr als ich, der ich eine ungelernte Kraft bin und deswegen – fick dich, Kirche – tariflich nicht mit gelernten Fachkräften gleichzusetzen bin. Das ist deswegen grandios zum in die Ecke scheißen, weil ich – die Fachkräfte sind inzwischen ja alle in Rente oder im Burnout – die Dienstpläne schreibe und die Dokumentation verantworte. Wird das honoriert? Nein. Obendrein werde ich nächstes Jahr für alle Bewohner*innen die Beurteilungen schreiben, weil das – danke, Bundesteilhabegesetz – dann halt gesammelt ansteht und ich das am schnellsten kann. Ich schreib ganz okay, deswegen ja auch diese Kolumne (für lau, aber das ist okay, hier beuten sich alle selber aus; ich schreib’s dazu, damit ihr, werte Leser*innen, das auch mal gehört habt).

Und dann sitzt da so eine Kackbratze von Leasingkraft vor mir und sagt: Leasing ist super, ich verdien mehr als vorher, ich kann mir meine freien Tage legen, wie ich will, und obendrein hab ich keine Verantwortung. Ja, im Ernst, da kommt mir das kalte Kotzen. Wie kann man so ein Arschloch sein? Wie kann man derart unsolidarisch sein? Was ist mit den Bewohner*innen?

Neulich hatte ich Dienst im Haus, es war Sommer, Leute mit Gedächtnis werden sich erinnern, es ist noch nicht so lang her. Im Sommer kommen zwei Dinge zusammen: Urlaub und Grippe. Eigentlich korreliert das immer, deswegen sind wir im Sommer immer dramatisch unterbesetzt. Ich hatte das verschissene Glück, an einem Wochenende da zu sein, als von allen vier Gruppen dieses Hauses im Spätdienst drei mit Leasingkräften besetzt waren. Obendrein waren davon auch noch zwei Kindergärtner*innen, und ich hab weiß Gott nichts gegen Kindergärtner*innen, ich finde wichtig und richtig, was Kindergärtner*innen tun, aber man sollte hierher schon auch Leute schicken, die jemanden lagern können. Und das können Kindergärtner*innen nicht. Jedenfalls nicht die, die man an dem Wochenende geschickt hat.

Gut, okay, dann spring ich zwischen vier verschiedenen Gruppen hin und her, das sind 34 Bewohner*innen, davon ein Dutzend pflegebedürftig, ein Dutzend psychisch auffällig, und in so einem Setting kommen noch zehn weitere psychisch Auffällige drauf, was ich verstehen kann, ich dreh ja selber durch, fickt euch alle, das ist bloß ein Überschlag, ich kenne nicht alle gut, aber immerhin weiß ich ihre Namen, während die verkackten Leasingkräfte das Elend verwalten, was nur deswegen ein Elend ist, weil sie da sind, aber dafür haben sie ja samstags frei, wenn sie wollen, und können sich auch noch den vierten Gin Tonic leisten, weil sie ja so viel mehr verdienen, und keine Sau juckt es, leckt mich alle. Echt. Weil: Ich bin zu müde, um euch zu lecken.

Ich krieg viel Lob für das, was ich mache, alle finden das toll. Was Soziales! Ich sag’s mal so: Das Soziale bricht gerade vor unseren Augen zusammen. Und nicht nur die sogenannte Behindertenhilfe, alle Bereiche. Die Berliner Jugendämter sind derart schlecht besetzt, hinter vorgehaltener Hand wird schon der erste Todesfall prophezeit. Ja, so sieht’s aus. Ich will nicht mehr gelobt werden, ich will entlastet werden, danke vielmals.

Frédéric Valin

ist Autor. In ak schrieb er die Kolumne »Torten & Tabletten«. Zuletzt erschien sein autobiografischer Roman »Ein Haus voller Wände« (Verbrecher-Verlag 2022) über seine Arbeit als Pfleger.