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| Alltag |Reihe: Corona bei der Arbeit

Das faulste Virus aller Zeiten? Corona bei der Arbeit (Teil 4)

Christoph (Tischler) und Sarah (Sozialarbeiterin)

Protokolle: Hannah Eberle und Nelli Tügel

Um Fabriken, Büros, Kitas und Kantinen scheint das Virus einen großen Bogen zu machen, oder? Foto: Christof Timmermann / Flickr, CC BY-ND 2.0

Man weiß inzwischen eine Menge darüber, wie und wo man sich mit Corona infizieren kann. Nur über einen großen Bereich des Lebens herrscht Schweigen, Daten sind kaum zu finden: die Arbeitswelt. In der Reihe »Corona bei der Arbeit« dokumentieren wir kurze Berichte aus dem Arbeitsalltag unter Corona. Wenn ihr auch über eure Erfahrungen berichten wollt, schreibt uns: redaktion@akweb.de

Wir haben momentan eher mehr zu tun als vor der Pandemie.

Christoph

Christoph, 34 Jahre, Tischler

Als Tischler arbeite ich überwiegend als Subunternehmer für andere Tischlereien. Gelegentlich mache ich auch eigene Aufträge. Wirtschaftlich negativ wirkt sich die Pandemie auf unsere Branche eigentlich gar nicht aus, im Gegenteil: Teilweise kriegen wir Material nicht, weil die Nachfrage so hoch ist. Wir haben momentan eher mehr zu tun als vor der Pandemie. Das höre ich im Übrigen aus allen handwerklichen Bereichen. Sowohl in Bauhauptgewerbe und Baunebengewerbe, von denen die Tischlerei und besonders der Möbelbau ja nur ein kleiner Teil ist.

Es gab bisher keinen Zeitpunkt in der Pandemie, an dem ich nicht gearbeitet habe. Die Diskrepanz zwischen: Privat geht nicht, aber arbeiten und konsumieren geht immer, stört mich sehr. Mir wäre wichtig, dass arbeiten nicht mehr vor alles andere gestellt wird. Das gilt nicht nur für Corona, sondern ist allgemein ein Problem, dass sich jetzt – wie so vieles – verstärkt. Damit meine ich zum Beispiel, dass es als völlig normal gilt, sich für die Arbeit ein Burnout zu holen und dann keine Kapazitäten mehr für soziale Kontakte zu haben.

In meinem Arbeitsalltag mache ich oft Wartungsarbeiten im Auftrag der Vermieter in Wohnungen, wenn zum Beispiel ein Fenster klemmt oder eine Tür kaputt ist. Mitunter baue ich auch ganze Wohnungseinrichtungen von Tischen über Einbaumöbel bis zu Küchen, oft auch für ältere Kunden, die eher wohlhaben sind und sich überhaupt einen Tischler leisten können. Das heißt, ich bin entweder in der Werkstatt oder in Privatwohnungen und habe auch entsprechend viele Kontakte. Das ist für mich persönlich okay, weil ich mich selbst nicht als Risikogruppe sehe – Angst habe ich eher davor andere anzustecken. Unangenehm ist, dass es insgesamt wenig Sensibilität gibt bezüglich der Pandemie-Situation: Es wird nur selten Maske getragen, Fenster werden selten geöffnet und so weiter – in der Werkstatt wird gar keine Maske getragen, außer bei Lackierarbeiten, und das hat mit der Pandemie nichts zu tun.

Von Corona-Leugnern habe ich wenig mitbekommen, es scheint eher so zu sein, dass die Situation insgesamt nicht so ernst genommen wird. Mit steigenden Fallzahlen finde ich es langsam unverantwortlich, was da stattfindet, ehrlich gesagt. Mir persönlich wäre es auch schon von Anfang an am liebsten gewesen, man würde probieren, das Virus global zu ersticken, in dem man es zwei bis drei Wochen mal richtig ernsthaft probiert, aus der Welt zu schaffen. Aber ich sehe dafür keine politische Durchsetzbarkeit.

Die fehlende Gesundheitsversorgung ist für Wohnungslose ein Dauerthema – egal ob Corona ist oder nicht.

Sarah

Sarah, 31 Jahre, Sozialarbeiterin in einem Nachtquartier für Wohnungslose in Wien

Das Absurde gleich vorweg: Corona hat eine Verbesserung für die Nächtiger*innen im Wohnungslosenquartier mit sich gebracht. Das ist natürlich eine provokante Aussage, denn die Menschen, mit denen ich zu tun habe, gehören definitiv zu den vulnerabelsten Gruppen. Aber vor dem Ausbruch der Pandemie hatten die Notschlafquartierte, in denen zwischen 50 und 70 Menschen in Mehrbettzimmer schlafen, immer nur zwischen Ende Oktober und Anfang Mai von 22 Uhr bis 6 Uhr offen. Das bedeutete, um 6 Uhr alle Nächtiger*innen zu wecken und rauszuschmeißen, was bei allen Beteiligten für Stress und Unruhe sorgte. Abends ging dann alles von vorne los.

Die Stadt Wien präsentierte jeden Herbst aufs Neue die Angebote als Vorzeigeprojekte: »Schaut’s unsere tolle Versorgung für Wohnungslose und gerade für Frauen.« Aber was ist mit den Frauen im Sommer? Es kann kalte Nächte im Sommer geben, und draußen schlafen ist auch dann gefährlich. Seit Corona können auch EU-Bürger*innen in den Quartieren unterkommen. Ich glaube, die Stadt Wien hat Angst vor unkontrollierter Ansteckung, wenn Wohnungslose ständig wechselnde Schlafplätze haben.

Das, was die Initiative Sommerpaket schon lange gefordert hat, nämlich die Quartiere rund um die Uhr geöffnet zu haben, Sommer wie Winter, ist also vorläufig umgesetzt worden. Es ist eine merkliche Entlastung für die Nächtiger*innen, aber auch für uns Sozialarbeiter*innen. Es gibt außerdem spezielle Quarantänestationen – dazu wurden auch Hotels geöffnet – für Wohnungslose mit Symptomen. Allerdings kann genau diese Quarantäne für Wohnungslose oder suchtkranke Menschen, lebensbedrohlich werden. Sie sind angewiesen auf medizinische Versorgung oder Substitute, die sie sich sonst jeden Morgen bei einer Apotheke abholen würden. Plötzlich haben sie keinen Zugang mehr dazu. Dann sterben Menschen an einem epileptischen Anfall oder versuchen sich umzubringen, weil sie einfach so in einem kalten Entzug sind. Es gibt kaum ein Problembewusstsein dafür. Um das zu vermeiden, bräuchte es mehr Sanitäter*innen, die auch einen Notvorrat an entsprechenden Medikamenten und Substituten anlegen dürfen.

Die fehlende Gesundheitsversorgung ist für Wohnungslose ein Dauerthema – egal ob Corona ist oder nicht. Auf der Prioritätenliste stehen die Wohnungslosen mit als letztes. Wenn jemand krank wird, müssen wir auch im Normalfall entweder gleich die Rettung rufen oder es dauert zwei Tage, bis ein Arzt vorbeikommt.

Ich finde den Aufruf von ZeroCovid prinzipiell gut, aber für meinen Arbeitssituation bringt er nicht so viel. Was unsere Hauptforderungen sein müssen, sind vor allem, dass es mehr medizinisches Personal gibt und einen Gesundheitszugang für alle Menschen − einschließlich der notwendigen Medikamente für Wohnungslose in Quarantäne. Und natürlich die utopische Forderung nach einer menschenwürdigen Unterbringung für Nächtiger*innen. Bei der Forderung nach mehr Lockdown, bin ich ein bisserl kritisch.

Meine Arbeitssituation ist aber auch okay. Ich arbeite seit einem Jahr immer mit der gleichen Kollegin. Wir haben Ganzkörperschutzausrüstungen, Teamsitzungen sind online, und seit Anfang Dezember werde ich einmal pro Woche getestet – wobei ich mich schon Frage, warum das erst seit Dezember möglich ist? Ich kann meinen Beruf nicht von zu Hause aus machen, und ich lass es mir auch nicht nehmen, mal eine Freundin zu treffen. Die Sanitäter*innen, die bei uns arbeiten, werden übrigens nicht getestet. Ich glaube, deren Träger hat Angst, dass dann jemand in Quarantäne muss. Die sind zurecht sauer: Wir werden getestet, und sie nicht. Mehr Gesundheitspersonal würde kranken Kolleg*innen ermöglichen, in Quarantäne zu gehen.

Die Nächtiger*innen können sich übrigens mittlerweile auch bei uns testen lassen. Das erfordert von uns manchmal viel Geduld und Zeit, denn manche haben Angst, sich den Stab in die Nase stecken zu lassen. Sich dafür dann die Zeit zu nehmen und mit der Angst umzugehen, ist unser Job und sollte dem Rest der Gesellschaft schon etwas wert sein.