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Wie ich die Sowjetunion rettete

Die UdSSR neu starten: Im PC-Spiel »Crisis in the Kremlin« übernehmen wir die Rolle des KPdSU-Generalsekretärs und geraten mitten in die Krisen des Realsozialismus

Von Sebastian Bähr

altertümlicher Computerbildschirm mit einem Bild von Lenin vor roter Fahne in einem computeranimierten Wohnzimmer
Spielbeginn 1985, das Ziel: die Implosion der UdSSR verhindern, die Nato überleben und im Idealfall sogar den Weltkommunismus aufbauen. Bilder: Nostalgames Studio, Collage: ak

Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.« Dieser Ausspruch des Fußballers Jürgen Wegmann wird gern verwendet, um eine Situation zu beschreiben, in der sich Misserfolge aneinanderreihen. Ich bin aktuell der Generalsekretär des sowjetischen Zentralkomitees, Michail Gorbatschow, und weiß, was er meint. Im kürzlich veröffentlichten Computerspiel »Crisis in the Kremlin: The Cold War« ist es 1985, und die Hütte brennt. Zähe Stellvertreterkriege mit der Nato von Angola über Nicaragua bis Afghanistan, nachlassende Produktivität und Technologiestärke, grassierende Korruption, aufbegehrende soziale und nationale Bewegungen – und dann fällt auch noch der Ölpreis, von dem meine Wirtschaft abhängig ist. (Ganz zu schweigen vom Konterrevolutionär Boris Jelzin, der nur darauf wartet, selbst an die Macht zu kommen.) Kann ich die Implosion des Sowjet-Reichs verhindern und in den Spieljahren bis zum Jahr 2000 den Spieß vielleicht sogar umdrehen? Weltrevolution auf Erden? Roboterkommunismus auf dem Mars? Eine Antwort auf die zersetzende Ideologie der Postmoderne finden?

Wodka eingeschenkt, Kippe angesteckt und rein in die multiple Krise des Realsozialismus. Auf meinem Bildschirm erscheint eine Weltkarte, auf der die Einflusssphären der Machtblöcke grob abgesteckt sind – der Globale Süden wird als umkämpft dargestellt. Verschiedene Indikatoren geben mir die wichtigsten Informationen: Kriegsgefahr mit den USA, Beziehungen zu den Großmächten, Stärke von Armee, Geheimdienst und Opposition – Finanzen.

Wenn man sich folgend durch die Menüs kämpft, entdeckt man viele Freiheiten: Ich kann Forschungsprojekte bestimmen, Intrigen im Politbüro spinnen, meinen Staat umbauen (haben wir Glaubensfreiheit, oder sind wir Atheist*innen? Welche Rolle haben eigentlich Gewerkschaften im Sozialismus?) und die Einnahmen und Ausgaben verwalten (soll ich mehr Geld für Luxusgüter ausgeben, um die Opposition zu besänftigen – oder doch für Interkontinentalraketen?).

Wie überlebe ich die Nato?

Dann geht es auch schon los, und die Zeit beginnt zu laufen: Alle paar Sekunden werde ich mit einer realen historischen Krisensituation konfrontiert und muss aus verschiedenen Optionen eine wählen, die den Fortgang des Spiels beeinflusst. Die USA kündigen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa an: Kontere ich mit eigener Stationierung, oder setze ich mich für Abrüstung ein? Das Alkoholismusproblem in der Bevölkerung nimmt überhand: Schnaps verbieten, mehr Bier als Alternative brauen – oder Aufklärungskampagnen versuchen?

Die Krisen umfassen sowohl geopolitische Entwicklungen und materielle Probleme wie den Mangel an Wohnraum, Versorgungsgütern und Arbeitskräften als auch Klimakatastrophen wie die fortschreitende Austrocknung des Aralsees. Das Spiel stellt die Nutzer*innen permanent vor Dilemma-Situationen: Ist es bei klammen Kassen wichtiger, in Behandlungsmethoden für HIV zu investieren, oder soll ich lieber versuchen, die Atomkraftwerke zu modernisieren, um die Tschernobyl-Katastrophe zu verhindern? Keine leichten Fragen.

Grundsätzlich macht es im Spiel Sinn, sich für eine Strategie und damit für eine politische Strömung zu entscheiden. Hier wird es interessant, denn es gibt mehrere Wege, um das vordergründige Spielziel – die Nato überleben – zu erreichen. Man kann sich für die Beibehaltung eines autoritären politischen Systems in Kombination mit »Marktsozialismus« (also die Zulassung von kapitalistischen Verhältnissen im kontrollierten Rahmen, die »chinesische Variante«) entscheiden und damit tatsächlich schnelle Erfolge erzielen. Ein geschickteres Agieren der Reformkräfte um Gorbatschow kann wiederum ebenso erfolgreich sein, würde aber letztlich wohl eher in einer marktliberalen Demokratie mit großen Klassenunterschieden enden. Vom Anspruch des Kommunismus bleibt in beiden Varianten nicht viel übrig.

Rätedemokratie? Schwierig

Am schwierigsten ist es, eine reformierte Rätedemokratie in Verbindung mit einer digital koordinierten Planwirtschaft zu erschaffen. Die Ausgangsbedingungen dafür sind schlecht, die Parteibürokratie nicht begeistert. Je nach Spielstil und konkretem Verlauf sind dann viele Enden möglich: Vom Nuklearkrieg über Weltkommunismus bis zu einer neoliberalen UdSSR kann man sich austoben.

Das Entwicklerteam um Vasily Kostylev und Maksym Chornobuk hat mit dem Spiel eine komplexe und kluge Simulation einer spätsowjetischen Gesellschaft geschaffen. Das verantwortliche Studio Nostalgames gibt auf seiner Webseite an, selbst aus dem »postsowjetischen Raum« zu stammen. Interessant ist, dass das Studio bis vor wenigen Jahren noch Kremlingames hieß, sich dann aber ohne größere Erklärung umbenannte.

Um zu gewinnen, muss ich dreckig spielen: Nato-freundliche Regierungen im Globalen Süden werden aus dem Weg geputscht, den US-Markt überschwemme ich mit Gen-Weizen.

Bereits 2017 hatte es einen Vorgänger von »Crisis in the Kremlin« veröffentlicht (mit schlechterer Grafik und Spielmechanik) sowie Erweiterungen, die das Spielen von einzelnen Staaten wie der DDR, Ungarn, Albanien, Nordkorea, Polen, China oder Jugoslawien ermöglichten. All diese Spiele funktionieren ähnlich und sind ein wahrer Schatz für linke Geschichts-Nerds, auch wenn man nicht immer alles versteht (was teilweise auch an groben Übersetzungen liegt). Die Veröffentlichungen nach 2017 basieren wiederum auf einer allerersten Spielversion aus dem Jahr 1991 von dem Entwickler Spectrum Holobyte, in der praktisch in Echtzeit der Zusammenbruch des Ostblocks verarbeitet wurde – und bereits eine Sehnsucht nach gelungener Transformation durchschimmerte.

An dieser Transformation versuche ich mich nun im Spiel mit mehreren Anläufen – meist scheitere ich, weil meine Wirtschaft kollabiert. Meine Strategie: Ich arbeite mich in Richtung digitaler Planwirtschaft vor und investiere in Rechenzentren und das OGAS-Netzwerk, eine Art sowjetisches Internet. Dazu baue ich parallel Sowjeträte neu auf, rehabilitiere Dissident*innen, baue Kaderprivilegien ab und reformiere die Staatenunion auf Augenhöhe. Irgendwann gelingt es sogar, kritische Marxist*innen wie Boris Kagarlizki in führende Positionen zu bringen. (In unserer realen Zeitlinie wurde er 2023 vom Putin-Regime festgenommen.)

No more Mr. Nice Guy!

Die bittere Erkenntnis: Es reicht alles nicht. Um wirklich zu gewinnen, muss ich dreckig spielen: Nato-freundliche Regierungen im Globalen Süden werden rigoros aus dem Weg geputscht, mein Geheimdienst finanziert linksradikale und separatistische Bewegungen in den USA, den dortigen Markt überschwemme ich mit Gen-Weizen. Zur kompletten Demoralisierung des Westens baue ich dann eine Mondbasis – das Geld habe ich, weil ich meiner Bevölkerung wieder eine 48-Stunden-Woche auferlegt habe. Als letztes Aufbäumen der USA wird Donald Trump (!) zum Präsidenten gewählt, nach ihm dann der Politiker Ron Paul. Mit ihm beginnt das Land zu zerfallen. Kann nun der Siegeszug des Kommunismus beginnen? Das ist nicht mehr meine Entscheidung. Meine internen Demokratisierungsmaßnahmen liefen so erfolgreich, dass ich als Generalsekretär praktisch machtlos bin und das Spiel vorzeitig beenden muss. Irgendwie ja auch eine Art Happy End.

»Crisis in the Kremlin« klärt nicht nur auf unterhaltsame Weise über Geschichte auf, es vermittelt auch gekonnt die Herausforderungen, Widersprüche und Dilemmata, die politische Macht mit sich bringen. Kann man was daraus lernen? Die gesellschaftliche Linke ist momentan weltweit bis auf wenige Orte von Macht ausgeschlossen. Wenn sich das für emanzipatorische Bewegungen ändern sollte, werden sie keine perfekten Bedingungen vorfinden. Mangel, Feinde, Chaos und Fehler werden auch hier die Spielregeln beeinflussen – der Rahmen jedes Handelns wird dazu von der Klimakrise und ihren Folgen geprägt sein. »Crisis in the Kremlin« akzeptiert dies als Bedingung und ermutigt, das politische Handgemenge nicht zu fürchten, sondern zu gestalten.

Zudem vermittelt das Spiel die bedeutsame Erkenntnis, dass Geschichte nicht in Stein gemeißelt ist: Gelegentlich öffnen sich Fenster, die verschiedene Verläufe möglich machen. Dieses Bewusstsein nicht zu verlieren, kann in unseren zunehmend dystopischen Zeiten ja schon helfen.

Crisis in the Kremlin: The Cold War, Nostalgames Studio 2025, Steam. 7,79 EUR.

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