analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 698 | Kultur

Bis zum Rohbau lief’s gut

Die Arte-Dokumentation »Capital B« erzählt, wie Berlin nach dem Mauerfall verkauft wurde und wohin das geführt hat

Von Jan Ole Arps

Ein Mann mit grauen Haaren in Anzug und Krawatte steht auf einem Balkon und blickt in die Ferne, im Fenster ist seine Spiegelung zu sehen
Klaus-Rüdiger Landowsky war zwar kein Berliner Bürgermeister, aber mindestens ebenso einflussreich: Als Banker und CDU-Fraktionsvorsitzender zog er die Fäden beim Ausverkauf der Stadt, die zum Berliner Bankenskandal führte. Foto: RBB / © Jens Rötzsch / Ostkreuz

Eines haben Berlins ehemalige Regierende Bürgermeister gemeinsam: Sie haben, gerade in der Rückschau, einfach alles richtig gemacht. Berliner Bankenskandal, BER-Baustelle, Mietenexplosion: Gehört dazu, Schuld waren andere, alles nicht so dramatisch. Oder wie Klaus Wowereit mit Blick auf das Milliardengrab Berliner Flughafen zu berichten weiß: »Bis zum Rohbau des Terminals ist ja nicht so viel schief gelaufen.«

Es ist eines von vielen denkwürdigen Zitaten, die der Filmemacher Florian Opitz seinen Gesprächspartner*innen in der fünfteiligen Doku-Serie »Capital B – Wem gehört Berlin?«, die nun auf Arte zu sehen ist, entlockt. Und vor die Kamera treten fast alle: Eberhard Diepgen (CDU, Berliner Bürgermeister von 1984 bis 1989 und von 1991 bis 2001) und seine rechte Hand Klaus-Rüdiger Landowsky, der den Ausverkauf der Stadt orchestrierte und Anfang der 2000er über den Bankenskandal stolperte; Klaus Wowereit (SPD, Bürgermeister von 2001 bis 2014) und sein damaliger Mann fürs Grobe im rot-roten Sparsenat, Finanzsenator Thilo Sarrazin; Franziska Giffey (SPD, Bürgermeisterin von 2021 bis 2023), die zum Zeitpunkt der Aufnahme noch amtierende Bürgermeisterin war. Alle plaudern freimütig und mit größter Selbstgewissheit über ihre politischen Hinterlassenschaften. Dagegen schneidet Opitz die Aussagen ihrer Antagonist*innen, von den Grünen oder aus der stadt- und mietenpolitischen Bewegung, die ein anderes Bild zeichnen. Auch prägende Figuren der Techno- und Clubszene kommen zu Wort, Investoren und Banker, Musiker*innen, Society-Figuren, Medien-Leute, Künstler*innen.

Die politische Klasse dieser eingemauerten Provinzstadt Westberlin erkennt ihre Chance und beginnt sofort, den Ausverkauf des hinzugewonnenen DDR-Hauptstadt-Territoriums in die Wege zu leiten.

In fünf Kapiteln erzählt Opitz die Entwicklung Berlins vom Mauerfall bis in die Gegenwart. Folge 1 (»Sommer der Anarchie«) beginnt im November 1989. Ehemalige Hausbesetzer aus Westberlin erinnern sich, wie sie den rechtsfreien Raum, der in unmittelbarer Nachbar*innenschaft zu Kreuzberg entstanden war, erkunden und bald in die leerstehenden Häuser einziehen, mietfrei natürlich, die Eigentumsverhältnisse sind ohnehin oft nicht bekannt. Interviewpartner*innen aus Ostberlin berichten, wie sie die Implosion ihres Staates und die in den Trümmern entstehenden Freiräume, aber auch die über sie hinwegrollende Übernahme durch den Westen erleben, Kulturschocks inklusive. »Am 10. November hab ich mal rübergemacht«, erinnert sich Tresor-Mitbegründer Johnnie Stieler, damals Student in Ostberlin, »und habe festgestellt, dass es genauso ist, wie ich’s mir vorgestellt hätte. Weil Westberlin ist so eine eingemauerte Stadt mit Günther-Pfitzmann-Gestalten gewesen. Gelbschwarze Hahnentritt-Jacketts und Schnurrbärte, es war furchtbar provinziell.«

Die politische Klasse dieser eingemauerten Provinzstadt allerdings erkennt ihre Chance. Und beginnt sofort, den Ausverkauf des neu hinzugewonnenen DDR-Hauptstadt-Territoriums in die Wege zu leiten. Der Plan – Berlin soll Weltstadt werden und internationales Kapital anlocken – ein paar Nummern zu groß für seine Akteure, vor allem aber eine vergebene Chance, eine Stadt nach den Bedürfnissen ihrer Bewohner*innen zu gestalten. Doch all das wird einer breiteren Öffentlichkeit erst Jahre später richtig klar werden – Rückschläge, Patzer, Skandale gibt es in der Zwischenzeit genug. Auf lange Sicht wird der Plan trotzdem aufgehen, zu Lasten der Berliner*innen. Aber erstmal werden Häuser besetzt, Technoclubs wie der Tresor gegründet, mit neuen Möglichkeiten selbstorganisierten Radiomachens experimentiert, während ein paar Hundert Meter weiter die Filetstücke des historischen Berliner Zentrums, der Hackesche Markt, der Potsdamer Platz, verscherbelt werden.

Florian Opitz schneidet beeindruckendes Archivmaterial mit unzähligen Interviews, dazu gibt es viel Musik, persönliche Erinnerungen an Wendeschocks, aber auch an die Wunder einer Stadt im Umbruch, wie sie heute kaum mehr vorstellbar sind. Aus all dem Material entsteht eine überraschend stringente Geschichte, die in gerader Linie vom Goldrausch der frühen 1990er über die Vergesellschaftung privater Schulden im Berliner Bankenskandal, das anschließende Spar- und Sellout-Jahrzehnt, in dem Klaus Wowereit Berlin als Arm-aber-sexy-Partymetropole vermarktet, bis zur Mietenexplosion und den neue Kämpfen um eine bezahlbare und lebenswerte Stadt führt, die im Volksentscheid zur Vergesellschaftung der großen Wohnungskonzerne münden – dabei geht es zum Teil um dieselben Immobilienbestände, die erst einige Jahre zuvor weit unter Wert privatisiert wurden.

Es ist ein Verdienst, diese Geschichte so verständlich wie unterhaltsam zu erzählen, die politischen Verbrechen seit der Wende nachzuzeichnen – besonders schön, wenn sich ihre Architekt*innen um Kopf und Kragen reden –, aber genauso die Hoffnungen und Träume und das gelebte Leben, das in der Zwischenzeit geschah. Dass das gelingt, dazu tragen auch die Gesprächspartner*innen bei, die, teils über mehrere Folgen, ihre Erinnerungen teilen – auch oder gerade, weil sie einem dabei hin und wieder auf die Nerven gehen.

Größtes Manko dieser sehenswerten Berlin-Geschichtsstunde ist, dass die Erzählung allzu sehr auf den Antagonismus Politik und Kapital gegen Club- und Subkultur getrimmt ist. Sprechen können wieder vor allem die, die sowieso oft zu hören sind, weil sie zum kulturellen Milieu gehören, das längst in die Marke Berlin integriert ist. Es fehlen dann doch die Stimmen »normaler« Leute, die den Umbruch ja ebenfalls erlebt haben: der Späti-Betreiber*innen oder Kneipenwirt*innen, Busfahrer*innen oder BSR-Mitarbeiter*innen – überhaupt derjenigen, die tatsächlich aus ihren Quartieren verdrängt wurden und nicht nur die Verdrängung großer Teile der Berliner Stadtgesellschaft von ihren hübschen Altbauwohnungen aus beschreiben. In den schönsten Archivszenen sind die Wut und Verzweiflung dieser Berliner*innen über den Wandel der Stadt zu sehen und hören. In den fünf Folgen fehlen ihre Stimmen leider weitgehend.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

Die Doku-Serie »Capital B – Wem gehört Berlin?« ist seit Ende September in der Arte Mediathek zu sehen.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 36 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Das Probeabo pausiert für die Dauer unserer Abokampagne, danach bieten wir es wieder an.