»Wir wollen grundsätzlich nicht auf andere Gleichaltrige schießen, die im Kriegsfall eingezogen werden«
Gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht sollten nicht nur Schüler*innen, sondern alle auf die Straßen, sagt Ronja vom Schulstreik gegen Wehrpflicht-Bündnis
Interview: Hêlîn Dirik
Union und SPD haben beschlossen, dass ab 2026 alle 18-Jährigen einen staatlichen Fragebogen erhalten, der die Eignung für den Wehrdienst abfragt. Ab Juli 2027 soll die verpflichtende Musterung von Männern, die ab 2008 geboren sind, eingeführt werden. Reicht die Zahl der Freiwilligen in der Bundeswehr nicht aus, könnte die Wehrpflicht kommen. Gegen diese Pläne gehen am 5. Dezember Schüler*innen in ganz Deutschland in den Streik. ak hat mit einem Mitglied des Streikkomitees in Berlin gesprochen.
Schulstreik gegen Wehrpflicht ist ein bundesweites Bündnis. Wer ist Teil davon?
Ronja: Wir sind in erster Linie eine Initiative von aktiven Schüler*innen, die sich zusammengeschlossen haben. Lokal sind die Gruppen unterschiedlich zusammengesetzt. Oft werden sie unterstützt von Jugendorganisationen wie den Jusos, der Grüne Jugend, der Linksjugend Solid und der SDAJ, aber auch die Deutsche Friedensgesellschaft, die Jugendorganisationen von Gewerkschaften und weitere sind dabei. Parteien halten wir eher raus aus den Bündnissen, die Linkspartei unterstützt uns teilweise lokal, aber beteiligt sind vor allem die Jugendorganisationen. Neben den Bündnissen in den einzelnen Städten gibt es einen bundesweiten Austausch der Komitees über die Organisation der Streiks und Demos.
In euren Videos in den sozialen Medien kritisiert ihr, dass die Regierung sonst nichts für junge Menschen tut, jetzt aber erwartet wird, dass sie an die Front gehen. Gibt es darüber hinaus noch fundamentalere Gründe, warum ihr die Wehrpflicht ablehnt?
Ja – wir wollen nicht sterben und wir wollen grundsätzlich nicht auf andere Gleichaltrige und junge Menschen schießen, die im Kriegsfall eingezogen werden und, genau wie wir, ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Aber die ganze Debatte um die Wehrpflicht erreicht natürlich eine neue Ebene, wenn wir gleichzeitig sehen, dass an allen Ecken und Enden gespart und für junge Leute nichts getan wird, während es einen Blankoscheck für Aufrüstung und Militär gibt – da ist das Geld dann auf einmal da.

Ronja
ist beim Streikkomitee in Berlin, hat Demonstrationen in Berlin gegen die Wehrpflicht mitorganisiert und war auch schon bei den Fridays-for-Future-Schulstreiks aktiv.
Am 5. Dezember soll in mindestens neunzig Städten in Deutschland der Schulstreik stattfinden. Warum habt ihr als Aktionsform den Streik gewählt?
Spätestens seit Fridays for Future sind Schulstreiks schon bei vielen Schüler*innen bekannt. Es ist ein geeignetes Mittel, um auf die Dringlichkeit eines Themas hinzuweisen. Wir könnten zwar auch eine bundesweite Demo organisieren, aber es würde nicht so viele Schüler*innen selbst aktivieren oder dazu bringen, auf die Straßen zu gehen. Auch medial würde eine Demo weniger Aufmerksamkeit bekommen, es gäbe vielleicht eine Schlagzeile, dann wäre das Ganze aber auch wieder vorbei. Um zu zeigen, wie wichtig und ernst es uns ist, sagen wir, dass wir an dem Tag nicht in die Schule gehen, sondern auf die Straße, um für unsere Zukunft zu streiken, genau wie wir es damals bei Fridays for Future getan haben.
Wie mobilisiert ihr für den Streik?
Vor allem über die Streikkomitees – Schüler*innen mobilisieren andere Schüler*innen. Wir sprechen unsere Freund*innen an, wir erklären, warum es wichtig ist, auf die Straße zu gehen. In einigen Städten haben die Streikkomitees auch schon im Vorfeld des 5. Dezembers Aktionen organisiert. Wir verteilen Flyer und Sticker in den Schulen, hängen Poster auf und sind außerdem in den sozialen Medien unterwegs, um möglichst viele Jugendliche zu erreichen.
In Berlin ruft auch die GEW dazu auf, den Streik zu unterstützen, also auch Lehrkräfte, die dort organisiert sind, stehen hinter uns.
Du selbst bist in Berlin beim Streikkomitee aktiv. Wie läuft die Mobilisierung so?
Besser als erwartet. Wir hätten nicht gedacht, dass so viele Leute sich so schnell bereit erklären, auf die Straße zu gehen und mitzumachen. Bei Fridays for Future hat es ja schon etwas mehr Anlauf gebraucht, bis es funktioniert hat. Aber wir bekommen gerade ständig Nachrichten – von Eltern, von Schüler*innen und auch Lehrer*innen, die das Thema Wehrpflicht gerade sehr beschäftigt und die etwas dagegen tun wollen. Wie groß das Interesse und die Unterstützung sind, sehen wir auch daran, wie breit die Bündnisse teilweise sind. In Berlin ruft auch die GEW dazu auf, den Streik zu unterstützen, also auch Lehrkräfte, die dort organisiert sind, stehen hinter uns.
Habt ihr schon eine Idee, wie es nach dem Streik weitergeht? Was macht ihr, wenn die Regierung an ihren Plänen festhält?
Wir werden erst schauen, welche Reaktionen es auf unseren Schulstreik gibt. Aber wenn weitere Angriffe auf die Freiheit von Jugendlichen kommen, werden wir uns natürlich auch weiterhin dagegen organisieren. Wie das konkret aussehen wird, das haben wir bisher noch nicht beschlossen.
Rechnet ihr mit Repressionen durch Schulleitungen?
Die Schulleitungen und vereinzelt auch Lehrer*innen sehen es nicht so gern, dass wir an dem Tag nicht zur Schule gehen. Sicherlich wird es irgendeine Form von Konsequenzen geben, spätestens sobald Fehlstunden eingetragen werden. Bestenfalls kann man negative Konsequenzen abfedern, indem man Schüler*innenvertretungen mit ins Boot holt, die einen da freistellen können, oder Lehrer*innen, die gar nicht erst aufschreiben, wenn Leute fehlen, und sich für uns einsetzen. Aber ich denke, eine Fehlstunde kann man auch verkraften, verglichen damit, dass wir möglicherweise ein Jahr zur Bundeswehr sollen.
Was möchtest du noch loswerden?
Nicht nur Schüler*innen, sondern am besten alle sollten am 5. Dezember gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht auf die Straße gehen. Alle haben junge Menschen in ihrem Umfeld, niemand kann wollen, dass sie im Zweifelsfall an die Front und andere Menschen töten müssen. Deshalb hoffe ich, dass wir an dem Tag möglichst viele auf den Straßen sehen, auch Lehrer*innen, Eltern, Geschwister und Freund*innen.